VwGH vom 20.01.2011, 2008/22/0493
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der AS in W, geboren am 1974, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Türkenstraße 25/11, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 317.328/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zwecks Familienzusammenführung mit ihrem österreichischen Ehemann gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, aus der Aktenlage gehe nicht hervor, wie die Beschwerdeführerin in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei. Auf dem Antragsformular sei lediglich der Vermerk "illegal in Österreich" gemacht und angegeben worden, dass sie Kriegsflüchtling gewesen sei, wobei sie nie um Asyl angesucht habe. (Weiters ist dem Antragsformular unter der Rubrik "letzte Aufenthaltsberechtigung in Österreich (Art)" die Eintragung "seit 11 Jahren" zu entnehmen.)
Am habe die Beschwerdeführerin einen österreichischen Staatsbürger geheiratet und - auf diese Ehe gestützt - persönlich den gegenständlichen Antrag gestellt. Seit liege eine durchgehende polizeiliche Meldung der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet vor. Seit sei sie laufend als Raumpflegerin bei einem näher genannten Unternehmen in W beschäftigt, obwohl sie über keinen Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet verfüge.
Da sich die Beschwerdeführerin zweifellos sowohl zum Zeitpunkt der Antragstellung als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag nicht rechtmäßig im Inland aufgehalten habe, stehe § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegen.
Die Ehe mit einem österreichischen Staatsangehörigen allein stelle "noch kein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht dar". Ein längerer unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertige in jedem Fall die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin sei - auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK - entbehrlich.
Besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Sinn des § 72 NAG, bei deren Vorliegen die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG zugelassen werden könnte, seien weder im Antrag noch im Berufungsschreiben der Beschwerdeführerin enthalten. Der bloße Umstand, dass ihr Ehemann österreichischer Staatsbürger sei, stelle "keinen humanitären Aspekt dar".
Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 133/08-3, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Unbestritten ist davon auszugehen, dass es sich beim Antrag der Beschwerdeführerin um einen Erstantrag handelt, auf den § 21 NAG Anwendung findet, und dass die Beschwerdeführerin auch nach Inkrafttreten des NAG mit im Inland geblieben ist.
Nach Ansicht der Beschwerde habe sich die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Angehörigeneigenschaft zu einem österreichischen Staatsbürger seit Eheschließung am rechtmäßig in Österreich aufgehalten. Diese Rechtmäßigkeit habe bis zum gedauert. Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin sei nur deshalb seit unrechtmäßig, weil die erstinstanzliche Behörde nicht innerhalb der sechsmonatigen Entscheidungsfrist entschieden habe. Auf Grund des nunmehrigen dreijährigen Zusammenlebens mit ihrem Ehemann stelle die Nichterteilung des Aufenthaltstitels einen massiven Eingriff in das nach Art. 8 EMRK gewährte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar.
Diesem Vorbringen ist zunächst entgegenzuhalten, dass Fremde im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 als Ehepartner eines österreichischen Staatsbürgers und somit als begünstigte Drittstaatsangehörige zwar den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsberechtigung im Inland stellen durften, zur Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes war außerhalb des Anwendungsbereiches des Gemeinschaftsrechts dennoch eine konstitutiv wirkende Niederlassungsbewilligung erforderlich (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur beispielsweise das Erkenntnis vom , 2008/22/0797, mwN). Da ihr eine solche - unbestritten - nicht erteilt wurde, hielt sich die Beschwerdeführerin durchgehend unrechtmäßig im Inland auf. Nach Inkrafttreten des NAG mit wäre sie daher gemäß § 21 Abs. 1 NAG verpflichtet gewesen, die Entscheidung über ihren Antrag im Ausland abzuwarten.
Entgegen der Beschwerdeansicht liegt im vorliegenden Fall keine dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , B 1593/99, entsprechende Konstellation vor.
Das Recht, die Entscheidung über den Erstantrag im Bundesgebiet abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, so ist die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , mwN).
Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit den persönlichen Interessen des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Hinsichtlich der persönlichen Interessen eines Fremden sind - nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) - u.a. die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens und der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, maßgeblich (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0747, mwN).
Dazu hat die belangte Behörde lediglich festgestellt, aus der Aktenlage gehe nicht hervor, wie die Beschwerdeführerin in das Bundesgebiet eingereist sei. Auf dem Antragsformular sei ein Vermerk "illegal in Österreich" angebracht und es sei angegeben worden, dass die Beschwerdeführerin als Kriegsflüchtling eingereist sei, jedoch nie um Asyl angesucht habe. Sie sei seit Jänner 2005 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und seit der Eheschließung im Bundesgebiet beschäftigt.
Da die belangte Behörde jedoch - in Verkennung der Rechtslage - die Dauer des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet für nicht weiter relevant erachtete, traf sie dazu keine näheren Feststellungen, obwohl im Antrag unter der Rubrik "letzte Aufenthaltsberechtigung in Österreich (Art)" die Angabe "seit 11 Jahren" eingetragen wurde. Sollte es nämlich zutreffen, dass sich die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung im März 2005 bereits seit elf Jahren im Bundesgebiet aufhielt - worauf der Vermerk "war Kriegsflüchtling" hindeutet -, wäre unter Berücksichtigung ihrer Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger seit Jänner 2005 und ihrer Berufstätigkeit davon auszugehen, dass eine besondere Berücksichtigungswürdigkeit im Sinn des § 72 NAG gegeben und infolge dessen die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen gewesen wäre. In diesem Fall hätte die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin nicht gemäß § 21 Abs. 1 NAG abweisen dürfen.
Sohin war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das über den Pauschalbetrag hinausgehende Mehrbegehren war abzuweisen; die Umsatzsteuer ist in dem in der genannten Verordnung festgelegten Pauschalsatz bereits enthalten.
Wien, am
Fundstelle(n):
RAAAE-84842