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VwGH vom 20.01.2011, 2008/22/0490

VwGH vom 20.01.2011, 2008/22/0490

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des C in W, geboren am 1979, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 149.857/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) den vom Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, am per Post eingebrachten Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner Ehefrau, einer österreichischen Staatsbürgerin, gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Die belangte Behörde legte dieser Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zu Grunde, der Beschwerdeführer sei am illegal eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, den er während des anhängigen Berufungsverfahrens am zurückgezogen habe. Am habe er einen zweiten Asylantrag gestellt, der am gemäß §§ 7 und 8 AsylG in zweiter Instanz "rechtskräftig negativ abgeschlossen worden" sei.

Am habe der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet; seit sei er durchgehend in W gemeldet.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Hinweis auf § 82 Abs. 1, § 81 Abs. 1, § 21 Abs. 1 und 2 Z. 1 sowie § 74 und § 72 NAG - im Wesentlichen aus, Erstanträge seien grundsätzlich im Ausland zu stellen und die Entscheidung darüber sei im Ausland abzuwarten. Ein unrechtmäßiger Aufenthalt stehe der Bewilligung eines Antrags auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung entgegen. Ein längerer unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertige in jedem Fall die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, sei daher entbehrlich.

Der Beschwerdeführer habe auch in seiner Berufung keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe im Sinn des § 74 iVm § 72 NAG angegeben. Solche hätten auch von der belangten Behörde nicht eruiert werden können. Die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin stelle "keinen verwertbaren humanitären Grund dar". Das "Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland" und "die Integration in Österreich" stellten ebenfalls keine Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall dar. Eine Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde den Antrag im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zutreffend nach der Rechtslage des (am in Kraft getretenen) NAG beurteilt hat (§ 82 Abs. 1 und § 81 Abs. 1 NAG).

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er sich seit 2002 im Inland aufhält und seine beiden asylrechtlichen Verfahren negativ abgeschlossen wurden.

Auch wenn Fremde im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 als Ehepartner eines österreichischen Staatsbürgers und somit als begünstigte Drittstaatsangehörige einen Niederlassungsbewilligungsantrag im Inland stellen durften, war - entgegen der Beschwerdeansicht - zur Rechtmäßigkeit des Aufenthalts grundsätzlich eine konstitutiv wirkende Niederlassungsbewilligung erforderlich (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0797, mwN). Da dem Beschwerdeführer eine solche nicht erteilt wurde, hielt er sich nach negativer Beendigung seiner asylrechtlichen Verfahren unrechtmäßig im Inland auf. Nach Inkrafttreten des NAG mit wäre er gemäß § 21 Abs. 1 NAG verpflichtet gewesen, die Entscheidung über seinen Antrag im Ausland abzuwarten.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG (jeweils in der Stammfassung) in Betracht. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen - nach ständiger hg. Judikatur - besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0458, mwN).

Die Beschwerde bringt diesbezüglich vor, die belangte Behörde habe auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers keine Rücksicht genommen und diese in ihre Entscheidung und Interessenabwägung nicht einbezogen. Der Beschwerdeführer halte sich seit 2002 in Österreich auf und sei nach wie vor mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet.

Bereits in seiner Berufung wies der Beschwerdeführer u.a. auf die Notwendigkeit einer Prüfung im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 EMRK hin.

Nach der hg. Rechtsprechung ist bei der Prüfung, ob humanitäre Gründe in dem beschriebenen Sinn vorliegen, eine Gesamtbetrachtung aller vom Fremden geltend gemachten sozialen und beruflichen Bindungen vorzunehmen. Somit ist bei dieser Beurteilung neben der Dauer des Aufenthaltes des Fremden in Österreich und seiner familiären Bindungen im Bundesgebiet - insbesondere die aufrechte Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin - auch die berufliche Integration einzubeziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0307, mwN).

Aus dem Verwaltungsakt ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner Befragung am angegeben hat, seit erwerbstätig zu sein. Dem Verfahrensakt liegt auch eine Arbeits- und Lohnbestätigung eines näher genannten Unternehmens vom bei, worin die Beschäftigung des Beschwerdeführers in ungekündigter Stellung seit sowie sein durchschnittlicher Monatsnettobezug in der Höhe von EUR 1.220,-- bestätigt werden.

Die belangte Behörde hat in Verkennung der Rechtslage zur beruflichen Bindung des Beschwerdeführers im Inland keine Feststellungen getroffen. Sie hat sohin den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom ).

Im Übrigen hat die belangte Behörde durch ihre Ansicht, eine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin stelle "keinen verwertbaren humanitären Grund dar" (vgl. im Gegensatz dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0688, mwN, wonach der familiären Bindung an einen österreichischen Ehepartner grundsätzlich hohes Gewicht beizumessen ist) und das "Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland" sowie die "Integration in Österreich" seien von vornherein als "Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall" ungeeignet, die Rechtslage schon vom Ansatz her verkannt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0258, mwN).

Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am