VwGH vom 14.12.2010, 2008/22/0480
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des D, vertreten durch Mag. Dr. Peter Hombauer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Weyrgasse 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 316.539/2- III/4/06, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom wurde ein am gestellter Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Mutter gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung - soweit hier entscheidungsrelevant - die Feststellungen zu Grunde, dass der Beschwerdeführer vom bis über eine Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" verfügt, danach aber keinen Aufenthaltstitel mehr erhalten habe, sodass der gegenständliche Antrag als Erstantrag zu werten sei. Bei Erstanträgen sei § 21 Abs. 1 NAG zu beachten. Der gegenständliche Antrag sei am durch einen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers bei der Behörde erster Instanz eingebracht worden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe sich der Beschwerdeführer im Inland aufgehalten, was durch eine seit durchgehende polizeiliche Meldung bestätigt und auch vom Beschwerdeführer in seiner Berufung nicht bestritten werde.
Als humanitäre Gründe im Sinn des § 72 NAG habe der Beschwerdeführer in seiner Berufung geltend gemacht, dass sein erwachsener Sohn D seit November 2005 unter einer peripartalen Hirnschädigung mit spastischer Tetraparese und Epilepsie leide und nicht in der Lage sei, die Schule zu besuchen. Der behinderte Sohn des Beschwerdeführers bedürfe einer intensiven "Rund um die Uhr Pflege", woran sich der Beschwerdeführer beteiligen wolle, weil seine Mutter nicht mehr in der Lage sei, allein das Kind zu betreuen.
Auf Grund dieses Vorbringens habe die belangte Behörde eine Überprüfung im Sinn des § 72 NAG durchgeführt. Der Sohn des Beschwerdeführers leide laut vorgelegtem ärztlichen Sachverständigengutachten seit vielen Jahren an dieser schweren Krankheit. Er verfüge über einen unbefristeten Aufenthaltstitel und werde von der österreichischen Mutter des Beschwerdeführers betreut. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom sei der Mutter des Beschwerdeführers die Obsorge für deren behinderten Enkelsohn übertragen worden. Warum die Mutter nicht mehr in der Lage sei, den behinderten Sohn allein zu betreuen, habe der Beschwerdeführer in der Berufung weder begründet noch belegt. Laut Angaben des Rechtsvertreters beziehe der behinderte Sohn des Beschwerdeführers Pflegegeld der Stufe sechs. Schon allein aus diesem Grund sei die Möglichkeit der medizinischen Betreuung des kranken Sohnes in Österreich abgesichert. Der zweite Sohn des Beschwerdeführers, M, geboren 1992, befinde sich ebenfalls bei der Mutter des Beschwerdeführers, welcher mit einer Erklärung vom auch für den jüngeren Sohn die Obsorge übertragen worden sei. Die Ehefrau des Beschwerdeführers verfüge über keinen Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet. Auch die vorgebrachte Krankheit und Pflegebedürftigkeit des Sohnes könnten keinen Anspruch auf Familiennachzug begründen.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom sei gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden, das derzeit noch aufrecht sei. Aus der Aktenlage ergebe sich, dass der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt, verurteilt worden sei.
Der Beschwerdeführer habe durch seine Straffälligkeit und seinen seit dem Jahr 2002 andauernden unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gezeigt, dass er nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltende Rechtsordnung zu halten. Diese Tatsache stelle jedenfalls eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Dieses nach wie vor gegebene Gefährdungspotential basiere einerseits auf der Straffälligkeit des Beschwerdeführers, andererseits auf dem Umstand, dass er das gegen ihn am auf Grund dieser Verurteilung erlassene Aufenthaltsverbot völlig ignoriere und weiterhin illegal im Bundesgebiet aufhältig sei.
Ein "ausreichender besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt" sei somit nicht gegeben.
Der Beschwerdeführer könne auch kein Recht auf Freizügigkeit nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften in Anspruch nehmen.
Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 1093/07-8, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:
Ausgehend von der - unbestrittenen - Feststellung im angefochtenen Bescheid, dass der Beschwerdeführer seit über keinen Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet verfügt, begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels um einen Erstantrag im Sinn des § 21 Abs. 1 NAG handelt, keinen Bedenken. Nach dieser Gesetzesbestimmung sind Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.
Die Beschwerde bestreitet auch nicht, dass gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren verhängt wurde. Diesem Aufenthaltsverbot lag eine Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt, zu Grunde. Dass dieses Aufenthaltsverbot nicht rechtskräftig sei, wurde nicht vorgebracht und ist auch dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Die belangte Behörde zog zur Abweisung des gegenständlichen Antrages jedoch nicht den Bestand des Aufenthaltsverbotes heran.
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK bringt die Beschwerde vor, der Beschwerdeführer lebe seit November 2001 mit seinen beiden Söhnen und seiner Mutter, einer österreichischen Staatsbürgerin, zusammen. Das Sorgerecht für die beiden Söhne sei der Mutter des Beschwerdeführers übertragen worden. Der Sohn D leide unter einer peripartalen Hirnschädigung und einer spastischen Tetraparese sowie Epilepsie, sitze im Rollstuhl und sei zu 100 % behindert. Er beziehe Pflegegeld der Stufe 6 und benötige eine Betreuung "rund um die Uhr". Die Mutter des Beschwerdeführers sei bereits 66 Jahre alt, ihr könne auf Grund ihres Alters die benötigte intensive Pflege der Kinder nicht mehr allein zugemutet werden. Die Pflege des behinderten Sohnes erfordere neben der finanziellen Hilfestellung auch eine persönliche Betreuung, die am besten durch die Hilfe nächster Angehöriger geleistet werden könne. Der Beschwerdeführer könne unmöglich ein Familienleben in Bosnien und Herzegowina führen, weil er auf Grund des Obsorgerechts seiner Mutter die Kinder nicht ins Ausland bringen könne. Darüber hinaus bleibe die ärztliche Versorgung in Bosnien-Herzegowina weit hinter der in Österreich zurück; daher wäre eine weitere Verschlechterung des Zustandes des behinderten Sohnes zu befürchten.
Gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) hat die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder die Heilung von sonstigen Verfahrensmängeln zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt werden. Gemäß § 72 Abs. 1 erster Satz NAG (ebenfalls in der Stammfassung) kann die Behörde im Bundesgesetz aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung erteilen.
§ 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0654, mwN).
Im vorliegenden Fall kann eine Anwendung der §§ 72 Abs. 1 und 74 NAG schon wegen des gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom rechtskräftig verhängten und im Entscheidungszeitpunkt nach wie vor aufrechten Aufenthaltsverbotes diesem nicht zum Erfolg verhelfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0654).
Die belangte Behörde hat den gegenständlichen Antrag somit zutreffend gemäß § 21 Abs. 1 NAG abgewiesen, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
HAAAE-84828