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VwGH vom 21.09.2016, 2013/13/0097

VwGH vom 21.09.2016, 2013/13/0097

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wimberger, über die Beschwerde des V in W, vertreten durch Dr. Peter Gatternig und Mag. Karl Gatternig, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Renngasse 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/0897-W/13, betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO (Umsatzsteuer für das Jahr 1995), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Beschwerdeführer wurde - zusammen mit seinem 2011 verstorbenen Mitgesellschafter in einer GesbR - zur Entrichtung von Umsatzsteuer für das Jahr 1995 in der Höhe von rund EUR 150.000,-- herangezogen, weil ein von der GesbR betriebenes Bauprojekt, für das wegen beabsichtigter Vermietung Vorsteuern in Anspruch genommen worden waren, gescheitert war und statt der beabsichtigten Vermietung über Andrängen der finanzierenden Bank ein Verkauf stattgefunden hatte.

2 Mit Ansuchen vom beantragten der Beschwerdeführer und sein Mitgesellschafter die Nachsicht der Umsatzsteuer für das Jahr 1995 samt Nebengebühren im Wesentlichen mit der Begründung, das Scheitern des Projektes beruhe auf dem Verschulden des beauftragten Bauunternehmers und die Gesellschafter seien infolge des unter den Gestehungskosten erfolgten Verkaufs hoch verschuldet. Zu den finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers wurde dargelegt, er beziehe eine unter dem Existenzminimum liegende Pension, zu der er eine Ausgleichszulage erhalte, und habe schon in einem früheren Nachsichtsansuchen mitgeteilte Sorgepflichten.

3 In der Berufung gegen die Abweisung des Antrages auf Nachsicht durch das Finanzamt machten der Beschwerdeführer und sein Mitgesellschafter zur sachlichen Unbilligkeit der Einhebung geltend, das auf ein schweres Verschulden des beauftragten Bauunternehmers zurückzuführende Scheitern des Projektes sei "nicht unter den Begriff des gewöhnlichen Unternehmerrisikos einzuordnen". Die persönliche Unbilligkeit liege darin, dass die den Kreditinstituten bekannten Abgabenverbindlichkeiten den Berufungswerbern die Möglichkeit nähmen, "einen kleineren Kredit aufzunehmen, um ein übliches Leben zu führen". Darüber hinaus werde nun auch die Abschreibung der Abgabe wegen Uneinbringlichkeit beantragt.

4 Den Bescheid der belangten Behörde vom , mit dem sie die Berufung abwies, hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , 2012/15/0021, 0022, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, weil die beantragte Berufungsverhandlung unterblieben war. Eine Relevanzprüfung habe nicht stattzufinden, da der Beschwerdefall in den Anwendungsbereich der Grundrechtecharta falle.

5 Zur Vorbereitung der mündlichen Berufungsverhandlung im fortgesetzten Verfahren erstattete der Beschwerdeführer mit Beweisantrag vom ein ergänzendes Vorbringen, in dem er darlegte, die nach mehr als 15-jähriger erfolgloser Betreibung anhaltenden Maßnahmen des Finanzamts, darunter ein (2012 eingebrachter) Antrag auf Konkurseröffnung, der mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen worden sei, hinderten den Beschwerdeführer an der Aufnahme einer Beschäftigung. Er müsse in Bewerbungsgesprächen auf Befragen die Möglichkeit von Pfändungsmaßnahmen bestätigen, woran das Zustandekommen der Beschäftigung meist scheitere. Zuletzt sei es ihm im Februar 2013 jedoch gelungen, eine Beschäftigung als Handelsvertreter zu finden. Kurz nach Vertragsabschluss habe der Vertragspartner vom Finanzamt aber einen Pfändungsbescheid erhalten, worauf das Vertragsverhältnis gelöst worden sei. Die Verweigerung der Nachsicht gefährde den Beschwerdeführer daher in seiner Existenz.

6 In der Berufungsverhandlung am wurden u. a. die Bankverbindlichkeiten des Beschwerdeführers erörtert. Er gab dazu - nach der unwidersprochenen Darstellung im angefochtenen Bescheid (die Niederschrift wurde nicht vorgelegt) - an, die Bankverbindlichkeiten würden mit rund EUR 800.000,-- aushaften, seien von der Bank aber "seit weit über zehn Jahren ruhend gestellt worden. Außerdem wären ca. zwei Drittel der Verjährungsfrist von 30 Jahren seit der Schaffung des Exekutionstitels bereits abgelaufen".

7 Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie legte ihrer Entscheidung den vom Beschwerdeführer dargestellten Sachverhalt zugrunde, verneinte eine sachliche Unbilligkeit der Einhebung, weil die Abgabenschuld die vorhersehbare Folge eines dem Bereich des Unternehmerwagnisses zuzuordnenden Geschehens sei, und verwies zur persönlichen Unbilligkeit auf das Fehlen eines pfändbaren Einkommens des Beschwerdeführers sowie darauf, dass die Bank ihre Forderung nur ruhend gestellt, aber nicht darauf verzichtet habe. Zum in der Berufung auch gestellten Antrag auf Löschung der Abgabenschuld wegen Uneinbringlichkeit merkte sie an, dass diesbezüglich kein Antragsrecht bestehe und die Abgabenbehörde zweiter Instanz für die Löschung auch nicht zuständig sei.

8 Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

9 Soweit die Beschwerde in Bezug auf die Löschung wegen Uneinbringlichkeit geltend macht, der darauf abzielende Antrag sei "gemäß § 280 BAO" (idF vor dem FVwGG 2012) "zulässig" gewesen, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach auf die Löschung wegen Uneinbringlichkeit kein Rechtsanspruch besteht (vgl. die Nachweise dazu bei Ritz , BAO5, § 235 Tz 2). Mit dem angefochtenen Bescheid, dessen Spruch nur den Bescheid des Finanzamtes bestätigte, ist über die Löschung wegen Uneinbringlichkeit aber auch nicht abgesprochen worden.

10 Gemäß § 236 BAO können Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, "wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre".

11 Die dazu ergangene Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005 (in der hier noch maßgeblichen Fassung vor der Änderung durch BGBl. II Nr. 449/2013) konkretisiert das Erfordernis der Unbilligkeit wie folgt:

"§ 1. Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein.

§ 2. Eine persönliche Unbilligkeit liegt insbesondere vor, wenn die Einhebung

1. die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde;

2. mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme.

§ 3. Eine sachliche Unbilligkeit liegt bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches

1. von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;

2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die

a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde erster Instanz geäußert oder

b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung veröffentlicht

wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;

3. zu einer internationalen Doppelbesteuerung führt, deren Beseitigung ungeachtet einer Einigung in einem Verständigungsverfahren die Verjährung oder das Fehlen eines Verfahrenstitels entgegensteht."

12 Die in den §§ 2 und 3 der Verordnung "insbesondere" genannten Fälle schließen Fälle anderer Art nicht aus (vgl. dazu schon das Erkenntnis vom , Ra 2015/13/0044). In Bezug auf die Verneinung der sachlichen Unbilligkeit, für die der beschwerdegegenständliche Sachverhalt keinen der in § 3 der Verordnung angeführten Anknüpfungspunkte bietet, ist der belangten Behörde aber beizupflichten. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers war die Planungsänderung, die letztlich zum Verlust des Vorsteuerabzuges führte, die Folge erstens mangelhafter Leistungen des beauftragten Bauunternehmers und zweitens für einen solchen Fall nicht ausreichender finanzieller Mittel der Gesellschafter. Es handelt sich damit um Folgen des allgemeinen Unternehmerwagnisses, die nach der von der belangten Behörde ins Treffen geführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung begründen (vgl. dazu die Nachweise bei Ritz , a.a.O., § 236 Tz 13). Wer sich unter finanziellen Verhältnissen, die ihm - wie in der Beschwerde vorgebracht - im Fall mangelhafter Leistungen des beauftragten Bauunternehmers weder die Beauftragung eines anderen Unternehmers zur Fertigstellung noch die gerichtliche Verfolgung von Verbesserungs- oder Preisminderungsansprüchen ermöglichen, zur Bauführung entschließt, geht bewusst ein solches Risiko ein. Dass mangelhafte Leistungen eines Bauunternehmers "nicht vorhersehbar" seien, wie die Beschwerde an einer Stelle geltend zu machen scheint, ist nicht nachvollziehbar. Dass sie, wie auch dargelegt wird, nicht dem "typischen Geschäftsverlauf" entsprächen, reicht nicht aus, um sie nicht mehr dem allgemeinen Unternehmerwagnis zuzuordnen.

13 In Bezug auf die persönliche Unbilligkeit der Einhebung ist der belangten Behörde nicht zu folgen, wenn sie meint, dem Vorbringen über die Verhinderung der Aufnahme einer Beschäftigung durch die anhaltenden Einhebungsbemühungen des Finanzamtes unter Hinweis auf die Maßgeblichkeit der Verhältnisse zum Entscheidungszeitpunkt entgegenhalten zu können, der Beschwerdeführer weise "derzeit eben keinen Zusatzverdienst auf". Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das schon zitierte Erkenntnis vom verwiesen werden.

14 Die Beschwerde geht aber an keiner Stelle auf die Bankverbindlichkeiten ein, zu denen die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt, die Ruhendstellung diene dazu, nicht zielführende, aber Kosten verursachende Exekutionen vorerst zu vermeiden, um dann im Falle von späteren Einbringungsmöglichkeiten diese auch wahrzunehmen. Im Beweisantrag vom hat der Beschwerdeführer dargelegt, das sofortige Einschreiten des Finanzamtes habe - ohne Tätigwerden auch der Bank - zum Verlust der Beschäftigung als Handelsvertreter geführt. Er hat dies in diesem Antrag aber dahingehend kommentiert, dass "die Finanzverwaltung offensichtlich über bessere Informationen als normale Gläubiger verfügt", und nie behauptet, dass die Forderungen der Bank im Falle der Erzielung eines pfändbaren Einkommens durch den Beschwerdeführer nicht mehr geltend gemacht werden würden. Käme die Nachsicht nur anderen Gläubigern zugute, so ist die persönliche Unbilligkeit der Einhebung nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch zu verneinen (vgl. auch dazu - mit weiteren Nachweisen - das Erkenntnis vom ).

15 Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

17 Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am