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VwGH vom 27.05.2020, Ra 2019/19/0410

VwGH vom 27.05.2020, Ra 2019/19/0410

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler, die Hofrätin Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des M R R, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W235 2181097-1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der Antragsteller, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers gemäß § 4a AsylG 2005 zurück, stellte fest, dass er sich nach Griechenland zurückzubegeben habe, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, ordnete gegen ihn die Außerlandesbringung an und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Griechenland zulässig sei. Dieser Bescheid wurde dem Revisionswerber (seinen eigenen - unbedenklichen - Angaben zufolge) am zugestellt.

3Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde und beantragte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. In der Beschwerde brachte er u.a. vor, die Lage für Flüchtlinge in Griechenland sei von systemischen Mängeln im Bereich der Daseinsvorsorge geprägt, sodass er dort mit hoher Wahrscheinlichkeit in einen Zustand existenzieller Not und Obdachlosigkeit geraten werde. Bei einer Abschiebung nach Griechenland drohe ihm daher die konkrete Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC.

4Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, dem Revisionswerber sei in Griechenland der Status des subsidiär Schutzberechtigten eingeräumt worden. Das BVwG traf Feststellungen zur Lage von Schutzberechtigten in Griechenland und folgerte, dass Griechenland grundsätzlich ausreichend Schutz für international Schutzberechtigte gewährleiste. Für den Revisionswerber, der keiner vulnerablen Personengruppe angehöre, bestehe kein reales Risiko, bei einer Rückkehr nach Griechenland einer Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Auch die Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 8 EMRK bzw. Art. 7 GRC bestehe nicht. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG seien zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens vorgelegen.

6Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, nach der im Revisionsfall maßgeblichen Rechtslage trete eine zurückweisende Entscheidung nach § 4a AsylG 2005 gemäß § 4 Abs. 5 AsylG 2005 außer Kraft, wenn die von der Außerlandesbringung betroffene Person aus faktischen Gründen, die nicht in ihrem Verhalten begründet seien, nicht innerhalb von drei Monaten nach Durchsetzbarkeit der Entscheidung abgeschoben werden konnte. Im Revisionsfall sei der angefochtene Bescheid auf Grund dieser Bestimmung während des Beschwerdeverfahrens außer Kraft getreten. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, welche Auswirkungen dieses Außerkrafttreten auf das anhängige Beschwerdeverfahren habe.

7Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

8Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

9Mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012, wurde in das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, ein § 4a eingefügt, der in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017 wie folgt lautete:

„Schutz im EWR-Staat oder in der Schweiz

§ 4a. Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat. § 4 Abs. 5 gilt sinngemäß.“

10Der in § 4a letzter Satz AsylG 2005 in der Fassung des FNG verwiesene § 4 Abs. 5 AsylG 2005 lautet:

„(5) Kann ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Abs. 1 als unzulässig zurückgewiesen wurde, aus faktischen Gründen, die nicht in seinem Verhalten begründet sind, nicht binnen drei Monaten nach Durchsetzbarkeit der Entscheidung zurückgeschoben oder abgeschoben werden, tritt die Entscheidung außer Kraft.“

11In den Gesetzesmaterialien (RV 1803 BlgNR XXIV. GP 36) wird zu § 4a AsylG 2005 Folgendes ausgeführt:

„... Abs. 1 bestimmt, dass der Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen ist, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten bereits zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Gleichzeitig mit der zurückweisenden Entscheidung ist festzustellen, in welchen Staat der Fremde sich zurückzubegeben hat. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass der Fremde, dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 4a als unzulässig zurückgewiesen wurde, aus faktischen Gründen, die nicht in seinem Verhalten begründet sind, nicht in den Staat, in welchen er sich zurückzubegeben hat, reisen und auch dazu nicht verhalten werden kann, sich in diesen Staat zu begeben, so soll der Bescheid, mit dem der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wurde, ex lege außer Kraft treten. ...“

12Durch Art. 3 Z 3 des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2018 - FrÄG 2018, BGBl. I Nr. 56, ist der letzte Satz in § 4a AsylG 2005 entfallen. Diese Änderung ist gemäß § 73 Abs. 20 AsylG 2005 mit in Kraft getreten.

13In den Gesetzesmaterialien (RV 189 BlgNR XXVI. GP 21) wird dazu Folgendes ausgeführt:

„Vor dem Hintergrund des Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU ... wird vorgeschlagen, den letzten Satz mangels Erforderlichkeit entfallen zu lassen.“

14Der zitierte Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), ABl. L 180/60, lautet auszugsweise:

Unzulässige Anträge

(1) Zusätzlich zu den Fällen, in denen nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ein Antrag nicht geprüft wird, müssen die Mitgliedstaaten nicht prüfen, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU zuzuerkennen ist, wenn ein Antrag auf der Grundlage des vorliegenden Artikels als unzulässig betrachtet wird.

(2) Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn

a)ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat;

...“

15Ebenfalls mit dem FNG wurde in das Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein § 45a eingefügt, der auszugsweise wie folgt lautet:

Verbot der Zurückweisung und Zurückschiebung (Refoulementverbot)

§ 45a.

...

(4) Erweist sich die Zurückweisung oder die Zurückschiebung Fremder, deren Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 wegen der Unzuständigkeit Österreichs zurückgewiesen worden ist, in den Drittstaat als nicht möglich, so ist davon das Bundesamt unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

...“

16Im Revisionsfall kam der Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des BFA vom gemäß § 16 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung nicht zu. Dieser Bescheid war somit gemäß § 16 Abs. 4 erster Satz BFA-VG mit dem Zeitpunkt seiner Erlassung () durchsetzbar.

17Die dreimonatige Frist des § 4 Abs. 5 AsylG 2005 endete daher am . Zu diesem Zeitpunkt galt diese Bestimmung zufolge des Verweises in § 4a letzter Satz AsylG 2005, der erst mit außer Kraft trat, auch (noch) für zurückweisende Entscheidungen nach § 4a AsylG 2005.

18Das angefochtene Erkenntnis enthält keine Feststellungen zur Frage, aus welchen Gründen der Revisionswerber innerhalb dieser Frist nicht nach Griechenland abgeschoben wurde. Aus den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verfahrensakten ergeben sich keine Hinweise auf Gründe, die im Verhalten des Revisionswerbers begründet wären.

19Der Bescheid des BFA vom (Zurückweisung des Antrages gemäß § 4a AsylG 2005, die darauf aufbauende Anordnung zur Außerlandesbringung und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung) ist folglich gemäß § 4a iVm. § 4 Abs. 5 AsylG 2005 mit - ex lege - außer Kraft getreten.

20Zwar hat das BVwG seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Rechtslage auszurichten (vgl. ), und war der Verweis auf § 4 Abs. 5 AsylG 2005 in § 4a letzter Satz leg.cit. zu diesem Zeitpunkt bereits außer Kraft getreten. Es besteht aber keine Bestimmung, wonach das BVwG das bereits erfolgte Außerkrafttreten des angefochtenen Bescheides bei seiner Entscheidung nicht zu berücksichtigen gehabt hätte.

21Das BVwG hätte daher über die Beschwerde des Revisionswerbers nicht in der Sache selbst (durch Abweisung der Beschwerde) entscheiden dürfen, sondern vielmehr das Beschwerdeverfahren gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als gegenstandslos geworden einstellen müssen (vgl. ).

22Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

23Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

24Durch das Außerkrafttreten des Bescheides des BFA vom ist der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vom wieder unerledigt. Das Verfahren ist vom BFA fortzusetzen (vgl. ).

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190410.L00
Schlagworte:
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

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