VwGH vom 09.09.2010, 2008/22/0465

VwGH vom 09.09.2010, 2008/22/0465

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 150.584/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid des - auf Grund eines Devolutionsantrages zuständigen - Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bangladesch, vom auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung mit dem Zweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 FrG" gemäß § 21 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und am einen Asylantrag gestellt habe, der am in zweiter Instanz rechtskräftig abgewiesen worden sei. Am habe der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet; er sei seit durchgehend in Österreich gemeldet. Aus dem erstinstanzlichen Verfahrensakt sei ersichtlich, dass der Verdacht einer Aufenthaltsehe bestehe.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, das Verfahren über den gegenständlichen Antrag vom sei gemäß § 82 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen. Auf Grund der nunmehr geltenden Rechtslage sei der Antrag als solcher auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit dem Aufenthaltszweck "Familienangehöriger" zu werten. Da sich der Beschwerdeführer seit seiner illegalen Einreise im Jänner 2000 und somit auch zum Zeitpunkt seiner Antragstellung nicht rechtmäßig im Inland aufgehalten habe, stehe § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegen; der Beschwerdeführer habe die Entscheidung über seinen Antrag vom nicht im Ausland abgewartet.

Die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin allein stelle "noch kein Aufenthaltsrecht" nach dem NAG dar. Der Beschwerdeführer habe auch in seiner "Devolution" keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe angegeben. Unter Berücksichtigung, dass die Einreise des Beschwerdeführers illegal erfolgt und er allein wegen seines Asylantrages vorübergehend aufenthaltsberechtigt gewesen sei, hätten seitens der belangten Behörde keine humanitären Gründe im Sinn des § 72 NAG erkannt werden können. Eine Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland sei daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen worden.

Der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, dass seine Ehefrau ihr Recht auf die gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeit in Anspruch genommen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, in seinem Fall sei die Richtlinie 2004/38/EG anwendbar, die belangte Behörde sei somit nicht zuständig gewesen, auch aus Art. 6 EMRK ergebe sich die Notwendigkeit der Entscheidung durch ein Gericht und der Beschwerdeführer sei durch die Anwendung des NAG gegenüber der zuvor geltenden Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1997 (FrG) benachteiligt worden, weil ihm nach den Bestimmungen des FrG Niederlassungsfreiheit zugekommen sei, wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom , 2009/22/0347, verwiesen. Die belangte Behörde hat aus den dort genannten Gründen ihre Zuständigkeit zu Recht in Anspruch genommen.

Die Beschwerde bestreitet nicht, dass die Erledigung des gegenständlichen Antrages im Inland abgewartet wurde. Beim gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels handelt es sich um einen Erstantrag im Sinn des § 21 Abs. 1 NAG. Dem in dieser Bestimmung verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend hätte der Beschwerdeführer jedenfalls die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Ausland abwarten müssen.

Der Beschwerdeführer bringt unter Hinweis auf § 72 NAG vor, er sei seit sieben Jahren in Österreich aufhältig, seit vier Jahren hier beschäftigt, mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, führe ein rechtstreues Leben und habe in Anbetracht seines langen Aufenthalts und seiner nachhaltigen persönlichen und wirtschaftlichen Integration einen aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruch auf Familienzusammenführung.

Gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) kann die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG (in der Stammfassung) erfüllt werden. Nach § 72 Abs. 1 NAG kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegen eines Erteilungshindernisses (ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes) in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist die im § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , mwN).

Bereits in seinem Antrag vom hat der Beschwerdeführer vorgebracht, als Lagerarbeiter unselbständig erwerbstätig zu sein, und eine Bestätigung eines näher genannten Unternehmens vom vorgelegt, wonach er bei diesem Unternehmen seit beschäftigt sei. Dies wird auch durch einen im Verfahrensakt einliegenden Versicherungsdatenauszug vom bestätigt. Weiters sind dem Akt Lohn- und Gehaltsabrechnungen für die Monate Mai und Juli 2007 zu entnehmen. Dennoch hat die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage die berufliche Integration des Beschwerdeführers nicht für relevant erachtet, in dieser Hinsicht keine Feststellungen getroffen und somit im angefochtenen Bescheid eine umfassende Interessenabwägung unterlassen. Hätte aber eine derartige Interessenabwägung zur Bejahung der besonderen Berücksichtigungswürdigkeit im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG geführt, was in Anbetracht des beinahe achtjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, seiner langjährigen Erwerbstätigkeit und seiner familiären Bindungen zu seiner österreichischen Ehefrau nicht von vornherein zu verneinen ist, wäre die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen gewesen, was die Abweisung des Antrages nach § 21 Abs. 1 NAG ausschließen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0455, mwN).

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am