VwGH vom 27.07.2016, 2013/13/0085

VwGH vom 27.07.2016, 2013/13/0085

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wimberger, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 8/16/17 in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/3392-W/07, betreffend Einkommensteuer 2003 (mitbeteiligte Partei: Dkfm. Dr. S in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, erzielte im Streitjahr 2003 u.a. Einkünfte aus der Tilgung eines im Jahr 1997 gezeichneten Wertpapiers (einer im Privatvermögen gehaltenen Index-Anleihe), von denen die Bank Kapitalertragsteuer abzog.

2 In seiner Einkommensteuererklärung machte der Mitbeteiligte geltend, dieser Abzug sei im Hinblick auf § 124b Z 85 EStG 1988 zu Unrecht erfolgt, denn es sei "keine höhere Kapitalrückzahlung als die geleisteten Anschaffungskosten garantiert" gewesen.

3 Das Finanzamt folgte dieser Ansicht nicht und führte dazu in einer teilweise stattgebenden Berufungsvorentscheidung über die vom Mitbeteiligten erhobene Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid aus, nach den vom Mitbeteiligten vorgelegten Bedingungen sei ein "garantierter Mindestrückzahlungsbetrag von 118 % des Nominales" vereinbart gewesen. Die vom Mitbeteiligten in Anspruch genommene Bestimmung setze allerdings voraus, dass rechtlich oder faktisch eine Kapitalrückzahlung von nicht mehr als 20 % des bei der Begebung eingesetzten Kapitals garantiert werde.

4 In seinem Vorlageantrag hielt der Mitbeteiligte dem entgegen, die Voraussetzungen der erwähnten Bestimmung seien erfüllt, "da lediglich ein Mindestrückzahlungsbetrag von 118 % garantiert wird (somit weniger als 20 % Wertsteigerung)".

5 Mit dem angefochtenen Bescheid schloss sich die belangte Behörde dieser Rechtsmeinung an.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Finanzamtes, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie Erstattung einer Gegenschrift durch den Mitbeteiligten erwogen hat:

7 Strittig ist im vorliegenden Fall nur die Auslegung der in Reaktion auf das Erkenntnis vom , 99/15/0159, VwSlg 7767/F, eingefügten Übergangsbestimmung des § 124b Z 85 EStG 1988, deren für das Streitjahr maßgebliche (ursprüngliche) Fassung wie folgt lautet:

"85. § 27 Abs. 2 Z 2 ist nicht auf Kapitalanlagen anzuwenden, deren Verzinsung nur von der Entwicklung eines (bestehenden oder künstlich geschaffenen) Wertpapierindex oder eines vergleichbaren Index abhängig ist, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:


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a)
Die Kapitalanlagen wurden vor dem begeben und
b)
es ist rechtlich oder faktisch eine Kapitalrückzahlung von nicht mehr als 20% des bei der Begebung eingesetzten Kapitals garantiert."
8 Schon der Wortlaut der Bestimmung steht der Rechtsmeinung des Mitbeteiligten und der belangten Behörde entgegen. Die strittige Voraussetzung bezieht sich auf die "Kapitalrückzahlung" des "eingesetzten Kapitals" (die "Kapitalgarantie") und nicht auf dessen "Wertsteigerung" (die Rendite).
9 Bestünden daran - unter dem Gesichtspunkt der in den Gegenschriften erhobenen, aber der Lebenserfahrung widersprechenden Behauptung, kein Anleger riskiere den Verlust von bis zu 80 % des Kapitals - noch Zweifel, so wäre auf die Entstehungsgeschichte zu verweisen. § 124b Z 85 EStG 1988 geht auf das Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl. I Nr. 71, zurück und wurde in der Regierungsvorlage, 59 BlgNR 22. GP 273, wie folgt erläutert:
"In seinem Erkenntnis vom , 99/15/0159 hat der Verwaltungsgerichtshof die bisher von der Verwaltungspraxis vertretene Rechtsmeinung (EStR 2000, Rz 6192 ff), wonach Wertveränderungen bei sogenannten Indexprodukten nur dann Kapitaleinkünfte sind, wenn das eingesetzte Kapital mindestens zu 20 % garantiert ist, nicht gestützt. Es bestünde damit die Gefahr, dass sich am Markt befindliche Wertpapiere dieser Art gleichsam rückwirkend einem neuen Besteuerungsregime (Kapitaleinkünfte auch bei geringerer Kapitalgarantie) unterworfen werden. Die gegenständliche Regelung schließt dies aus."
10 Das Erkenntnis betraf einen Fall einer "garantierten Kapitalrückzahlung mit 95 % des Nominalbetrages" und somit eines Verlustrisikos von nur 5 %, der Verwaltungsgerichtshof bejahte das Vorliegen von Kapitalerträgen aber ohne Bezugnahme auf einen bestimmten Mindestprozentsatz an garantierter Kapitalrückzahlung. Er verwies auch auf einen Artikel von
Heinrich , ÖStZ 2000, 469 ff, der sich kritisch mit dem von der Finanzverwaltung - als Geringfügigkeitsgrenze gegenüber dem völligen Fehlen einer gesicherten Kapitalrückzahlung - angenommenen Erfordernis eines Mindestrückzahlungsbetrages ("Floor") von 20 % des eingesetzten Kapitals auseinandergesetzt hatte.
11 Dieser auch in einem Erlass und im Schrifttum erörterte Hintergrund der Regelung (vgl. nur etwa die Erläuterung zur Anpassung der EStR 2000, AÖF 2004, 951, mit Hinweis auf die gesetzliche Verankerung der "alten Rechtslage" für Altemissionen;
Plott
in Hofstätter/Reichel, Die Einkommensteuer - Kommentar, 56. Lfg, § 27 Abs. 4 EStG 1988 neu, Tz 17;
Kirchmayr
in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG16, Anhang I zu § 27, Tz 89 f) lässt keinen Zweifel daran, dass der Wortlaut des § 124b Z 85 EStG 1988 mit den Absichten des Gesetzgebers übereinstimmt.
12 Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
13 Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am