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VwGH vom 10.11.2010, 2008/22/0461

VwGH vom 10.11.2010, 2008/22/0461

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/30, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 316.630/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den am vom Beschwerdeführer, einem serbischen Staatsangehörigen, gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit dem Zweck "Familienangehöriger" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte sie im Wesentlichen aus, seit dem Jahr 2002 habe für den Beschwerdeführer unter seinem früheren Namen "J" ein Aufenthaltsverbot bestanden, das mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom gemäß § 65 Fremdenpolizeigesetz (FPG) aufgehoben worden sei.

Laut Berufungsvorbringen habe sich der Beschwerdeführer vom bis mit einer Niederlassungsbewilligung in Österreich aufgehalten; der fristgerecht eingebrachte Verlängerungsantrag sei mit der Begründung abgewiesen worden, dass ein Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer bestanden habe; dieses sei am aufgehoben worden.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die erstinstanzliche Behörde sei zu Recht davon ausgegangen, dass ein Erstantrag vorliege, der im Inland eingebracht worden sei. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung im Ausland abwarten müssen, weil er nicht die für die Inlandsantragstellung genannten Voraussetzungen erfülle.

Weder im Antrag noch im Berufungsschreiben werde das Vorliegen humanitärer Gründe behauptet. Der bisherige Aufenthalt im Bundesgebiet allein führe zu keiner "humanitären Beurteilung des Falles", weil auch das Bestehen des früheren Aufenthaltsverbotes berücksichtigt werden müsse. Im vorliegenden Fall werde auch festgestellt, dass kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt im Sinn des § 72 NAG gegeben sei. Eine Berufung auf Art. 8 EMRK sei nicht zulässig, weil der bisherige Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich rechtswidrig gewesen sei und er vom erlassenen Aufenthaltsverbot wissen hätte müssen. Die Beziehung zu seiner Ehefrau sei daher zu einem Zeitpunkt aufgenommen worden, als ihm bewusst sein habe müssen, dass er sich nicht rechtmäßig in Österreich aufhalten dürfe. Daran vermöge auch die Tatsache nichts zu ändern, dass ihm ein Aufenthaltstitel ausgestellt worden sei. Dies sei nur auf Grund der Änderung seines Namens erfolgt, was vom Beschwerdeführer wohl dazu genutzt worden sei, um widerrechtlich zu einem Aufenthaltstitel zu gelangen.

Eine Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde, nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde, erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die Beurteilung im angefochtenen Bescheid, bei dem gegenständlichen Antrag handle es sich um einen Erstantrag und der Beschwerdeführer habe sich zum Zeitpunkt seiner Antragstellung im Inland aufgehalten. Ausgehend von den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach der vom Beschwerdeführer am gestellte Verlängerungsantrag wegen eines bestehenden Aufenthaltsverbotes abgewiesen worden sei, wobei dieses Aufenthaltsverbot in der Folge gemäß § 65 FPG (d.h. mit Wirkung ex nunc) aufgehoben worden sei, besteht im Ergebnis gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass es sich beim gegenständlichen, vom Beschwerdeführer am , also fast ein Jahr nach Ablauf des ihm zuletzt erteilten Aufenthaltstitels (vgl. § 24 Abs. 2 NAG idF des BGBl. I Nr. 157/2005), gestellten Antrag - wobei er selbst das Kästchen "Erstantrag" angekreuzt hat - um einen solchen handle, der - entgegen der Bestimmung des § 21 Abs. 1 NAG - im Inland eingebracht worden sei, keine Bedenken.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0096, mwN).

Art. 8 EMRK verlangt eine Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls ist zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine fremdenpolizeiliche Maßnahme auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom ).

In diesem Zusammenhang verweist der Beschwerdeführer zutreffend darauf, die belangte Behörde habe es unterlassen, die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens gemäß § 60 AVG anzuführen und entsprechend zu begründen. Die behördlichen Ausführungen, eine Berufung auf Art. 8 EMRK sei nicht zulässig, weil der bisherige Aufenthalt in Österreich rechtswidrig gewesen sei und der Beschwerdeführer vom Aufenthaltsverbot wissen hätte müssen, seien rechtswidrig. Der Beschwerdeführer werde in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK verletzt.

Die Behörde erster Instanz hat keinerlei Überprüfung des vorliegenden Falls im Hinblick auf § 74 iVm § 72 NAG durchgeführt. In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer dennoch darauf hingewiesen, bereits seit Jahren in Österreich aufhältig, mit einer Österreicherin verheiratet und auch berufstätig zu sein. Dem Verwaltungsakt liegen auch "Nettoabrechnungen" den Beschwerdeführer betreffend für die Monate September und Oktober 2006 sowie eine Arbeits- und Lohnbestätigung bei, wonach der Beschwerdeführer seit bei einem näher genannten Unternehmen beschäftigt sei. Einem Versicherungsdatenauszug zufolge sei der Beschwerdeführer seit Oktober 2004 - mit einer Unterbrechung zwischen Oktober 2005 und März 2006 - durchgehend beschäftigt. Dazu hat die belangte Behörde keinerlei Feststellungen getroffen. Darüber hinaus ist weder dem angefochtenen Bescheid noch dem vorgelegten Verwaltungsakt zu entnehmen, seit wann sich der Beschwerdeführer im Bundesgebiet aufhält und welche Überlegungen für die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes maßgeblich waren.

Die Richtigkeit der behördlichen Ansicht, im vorliegenden Fall liege kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt vor, kann angesichts fehlender Feststellungen zu wesentlichen, im Rahmen der Interessenabwägung im Sinne des § 72 Abs. 1 NAG relevanten Umständen vom Verwaltungsgerichtshof nicht überprüft werden.

Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
YAAAE-84750