VwGH vom 10.11.2010, 2008/22/0459
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Friedrich Fuchs, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Köllnerhofgasse 6/6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 304.724/17-III/4/2007, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom wurde der am gestellte Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit unselbständiger Schlüsselkraft, § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.
Der Beschwerdeführer sei mit einem Visum C mit einer Gültigkeit vom bis nach Österreich eingereist und seither bei seiner Tante aufhältig. Bereits im Dezember 2003 habe er einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt, der jedoch - ebenso wie die dagegen eingebrachte Berufung - abgewiesen worden sei. Der Verfassungsgerichtshof habe die Behandlung der dagegen eingebrachten Beschwerde abgelehnt; mit Erkenntnis vom sei die an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Beschwerde als unbegründet abgewiesen worden. Der Beschwerdeführer habe noch nie über eine Aufenthaltsbewilligung oder eine Niederlassungsbewilligung für die Republik Österreich verfügt; daher sei der nunmehrige Antrag vom als Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu werten. Von der Behörde erster Instanz sei der Antrag zutreffend als Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit" gewertet worden.
Bei Erstanträgen sei § 21 Abs. 1 NAG zu beachten. Es stehe fest, dass der gegenständliche Antrag am per Post im Inland eingebracht worden sei, der Beschwerdeführer sich zum Zeitpunkt seiner Antragstellung im Inland aufgehalten habe und sich noch immer illegal in Österreich aufhalte.
Mit Blick auf § 74 iVm § 72 NAG habe der Beschwerdeführer in seinem Berufungsschreiben angegeben, bei seiner Rückkehr in seine Heimat Verfolgungen ausgesetzt zu sein, ohne dies mit entsprechenden Beweismitteln zu unterlegen. Es werde daher festgestellt, dass kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die behördliche Beurteilung des gegenständlichen Antrages als Erstantrag und bestreitet auch nicht die Feststellungen im angefochtenen Bescheid, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner Einreise im Dezember 2003 - und somit auch zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. der Entscheidung über den gegenständlichen Antrag - bei seiner Tante in Wien aufgehalten habe. Die Beschwerdeausführung, eine Antragsaufgabe per Post indiziere noch nicht, dass sich der Beschwerdeführer bei der Postaufgabe im Inland aufgehalten habe, ist schon deshalb nicht zielführend, weil in der Berufung zugestanden wurde, dass der Beschwerdeführer den "rechtlichen Fehler" begangen habe, den Antrag nicht bei der zuständigen Berufsvertretungsbehörde gestellt zu haben.
Nach dem Grundsatz der Auslandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten müssen. Entgegen der Beschwerdeansicht stellt ein Verstoß gegen § 21 Abs. 1 NAG jedoch keinen Mangel, der einer Verbesserung gemäß § 13 Abs. 3 AVG zugänglich wäre, sondern das Fehlen einer Erfolgsvoraussetzung dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/22/0336, mwN).
Das Recht, den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abwarten zu dürfen, kommt daher fallbezogen nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, so ist die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0233, mwN).
Der Beschwerdeführer führt dazu aus, er habe sich nicht der serbischen Armee gestellt und müsse daher als Deserteur mit seiner sofortigen Verhaftung rechnen. Er habe bereits (in der Berufung) vorgebracht, dass Deserteure in Serbien unter Umständen auch zum Tode verurteilt werden könnten und er als Angehöriger der Minderheit der Roma massiven Verfolgungen ausgesetzt sei. Eine Antragstellung im Ausland sei ihm daher unmöglich gewesen, weil er als Deserteur mit seiner sofortigen Verhaftung habe rechnen müssen.
Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Schon in der Berufung hat der Beschwerdeführer vorgebracht, dass er sich nicht an den Kriegshandlungen im "jugoslawischen Bürgerkrieg" beteiligt habe und - noch minderjährig - nach Österreich geflüchtet sei. Eine Antragstellung im Ausland sei ihm nicht zumutbar gewesen, weil er als noch Minderjähriger die Zustimmung eines Erziehungsberechtigten gebraucht hätte; er habe aber alle seine Angehörigen im Krieg verloren. Deserteure würden in Serbien unter Umständen auch zum Tode verurteilt; als Angehöriger der Minderheit der Roma sei er noch weiteren massiven Verfolgungen ausgesetzt. Strafurteile gegen Roma seien wesentlich härter als gegen "Normaltäter".
Damit hat der Beschwerdeführer im Hinblick auf das Vorliegen humanitärer Gründe im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG ein detailliertes, substanziiertes und nachvollziehbares Vorbringen erstattet (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0239, mwN), mit dem sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid - von den oben wiedergegebenen rudimentären Erwägungen abgesehen - nicht auseinandergesetzt hat, sodass der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt - nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens in diese Richtung (§ 66 Abs. 1 iVm §§ 56, 37 und 39 AVG) - zu ergänzen sein wird.
Da die belangte Behörde bei der gebotenen Befassung mit dem wiedergegebenen Vorbringen des Beschwerdeführers und unter Zugrundelegung entsprechender Feststellungen zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die beantragte Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
ZAAAE-84741