VwGH vom 25.09.2019, Ra 2019/19/0380
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des A W B, vertreten durch Mag. Alexander Hinteregger in 1010 Wien, Plankengasse 7/3. Stock, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W235 2150423- 2/2E, betreffend Erteilung eines Visums nach § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft Islamabad), zu Recht erkannt:
Spruch
Das Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am bei der Österreichischen Botschaft Islamabad (ÖB Islamabad) einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). 2 In der Folge erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der ÖB Islamabad den Auftrag zur Durchführung einer Altersfeststellung betreffend den Revisionswerber in Pakistan. 3 Mit Bescheid der ÖB Islamabad vom wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 Fremdenpolizeigesetz (FPG) iVm. § 35 AsylG abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wies die ÖB Islamabad mit Beschwerdevorentscheidung vom ab.
4 In dem Bescheid wurde auszugsweise das Altersgutachten vom wiedergegeben, wonach das Alter des Revisionswerbers anhand eines Zahnröntgens auf über 18 Jahre geschätzt werde, sein äußeres Erscheinungsbild zwischen 20 und 22 Jahren liege und das Knochenröntgen ein Alter von 24 Jahren oder mehr nahelege. Unter Berücksichtigung der obigen Ergebnisse wurde seitens des Gutachters der Schluss gezogen, dass der Revisionswerber 24 Jahre oder älter sei.
5 Über Vorlageantrag gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers mit Beschluss vom statt, hob den Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die ÖB Islamabad zurück. Begründend führte das BVwG aus, die Schlussfolgerung des Gutachtens sei nicht logisch nachvollziehbar und könne auch nicht auf ihre Schlüssigkeit hin überprüft werden. Dem Gutachten sei keine Trennung zwischen Befund und Gutachten im engeren Sinn zu entnehmen. Nach Ansicht des BVwG würden sich erhebliche Zweifel an der Volljährigkeit des Antragstellers ergeben. Es könne sohin ohne zusätzliche Ermittlungen zu tätigen bzw. ohne das gesamte Vorbringen samt den vorgelegten Unterlagen entsprechend zu würdigen nicht nachvollzogen werden, wie die Behörde zu der Annahme gelangen habe können, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Antragstellung ohne Zweifel volljährig gewesen sei.
6 Mit Bescheid der ÖB Islamabad vom wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Einreisetitels erneut abgewiesen.
7 Das BVwG wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
8 Diese macht zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend, dass das BVwG ein nicht aktenkundiges Gutachten zur Altersbestimmung zugrunde gelegt hätte, das dem Revisionswerber lediglich auszugsweise in Form einer Zitierung zur Kenntnis gebracht worden sei. Die Verwendung eines derartigen "Geheimgutachtens" sei rechtswidrig. Zudem habe das BVwG die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen, weil den wiedergegebenen Stellen des Gutachtens die Nachvollziehbarkeit fehle. Das BVwG habe das Gutachten, dessen Überprüfung es in der Vorentscheidung als nicht möglich beurteilt hatte, ohne jegliche Änderung des relevanten Sachverhalts als schlüssig und nachvollziehbar angesehen.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, die beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu abzuweisen, erwogen:
10 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt.
11 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich weder das Gutachten vom noch die Ergebnisse der am durchgeführten Untersuchungen in den Verfahrensakten befinden. Es liegen lediglich die Stellungnahme des Arztes vom sowie diverse Auszüge aus (wissenschaftlichen) Werken betreffend Altersfeststellungen im Akt auf.
12 Gemäß § 45 Abs. 3 AVG, der gemäß Art. I Abs. 2 Z 1 EGVG auch von der österreichischen Vertretungsbehörde auf ein von ihr geführtes behördliches Verfahren anzuwenden ist (vgl. ), ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis einer Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen.
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es mit den ein rechtsstaatliches Verwaltungsverfahren tragenden Grundsätzen des Parteiengehörs und der freien Beweiswürdigung unvereinbar, einen Bescheid auf Beweismittel zu stützen, welche der Partei nicht zugänglich gemacht worden sind (vgl. , mwN; das gilt auch für Erkenntnisse des BVwG). Dem Parteiengehör unterliegt nicht nur eine von der Behörde getroffene Auswahl jener Ergebnisse des Beweisverfahrens, welche die Behörde zur Untermauerung der von ihr getroffenen Tatsachenfeststellungen für erforderlich hält, sondern der gesamte Inhalt der Ergebnisse der Beweisaufnahme. 14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt im Falle des Nichtzurkenntnisbringens einer Sachverständigenäußerung (nur) dann keine Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehöres vor, wenn der Inhalt des Gutachtens in allen wesentlichen Teilen bereits im erstinstanzlichen Bescheid wiedergegeben wurde und die Partei dadurch die Möglichkeit hatte, im Zuge des Berufungsverfahrens diesem Gutachten wirksam entgegenzutreten, wobei der Bestimmung des § 45 Abs. 3 AVG sowohl der Befund als auch die darauf (als Gutachten) beruhenden sachverhaltsbezogenen Schlussfolgerungen unterliegen (vgl. ; , 2012/06/0022; diese Rechtsprechung ist auf die Rechtslage nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz übertragbar).
15 Da die betreffenden Gutachten nicht in den Verfahrensakten einliegen, ist es dem Verwaltungsgerichtshof allerdings nicht möglich zu überprüfen, ob die Vorgaben dieser Rechtsprechung eingehalten wurden.
16 In der Revisionsbeantwortung wird vertreten, dass die Verweigerung der Übermittlung des gesamten Gutachtens gemäß § 17 Abs. 3 AVG gerechtfertigt gewesen sei, weil die Behörde, soweit die Interessen anderer Parteien oder Dritter der Gewährung der Akteneinsicht widersprechen, eine Interessenabwägung vorzunehmen hätte. Abgesehen davon, dass die Verletzung des Parteiengehörs nicht mit Berufung auf § 17 Abs. 3 AVG gerechtfertigt werden kann, weil dem Revisionswerber nicht die Einsicht in Teile des Akteninhaltes verweigert wurde, sondern die Ergebnisse des Beweisverfahrens nicht zur Gänze zugänglich gemacht wurden (vgl. ), legen weder der Bescheid der belangten Behörde noch das BVwG eine derartige Interessenabwägung nachvollziehbar offen. Der pauschale Hinweis auf nicht näher genannte Sicherheitsbedenken ist dafür jedenfalls nicht ausreichend. Auch kann der Ansicht der belangten Behörde in der Revisionsbeantwortung, die Ausnahme von der Akteneinsicht dürfe "naheliegend" nicht durch eine die Interessenabwägung ignorierende Entscheidungsbegründung unterlaufen werden, nicht beigetreten werden, würde dies doch darauf hinauslaufen, dass eine Behörde die für die Interessenabwägung maßgeblichen Gründe generell nicht offenlegen müsse.
17 Dies gilt auch für die Weigerung der Behörde, dem Revisionswerber den Namen des Sachverständigen bekannt zu geben. Die Pflicht zur Gewährung des Parteiengehörs zu einem Sachverständigengutachten umfasst nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch die Bekanntgabe des Namens des Sachverständigen an die Partei, da diese andernfalls nicht in die Lage versetzt wird, allfällige Einwendungen gegen die Person des Sachverständigen oder seine Eignung vorzubringen (vgl. , mwN; , 95/12/0050, mwN). Eine konkrete Begründung abseits pauschaler Sicherheitsbedenken für die Verweigerung der Bekanntgabe des Namens des Sachverständigen gibt weder die belangte Behörde noch das BVwG.
18 Die Relevanz dieser Verfahrensmängel kann auch nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, weil - wie die Revision zutreffend aufzeigt - es dem Revisionswerber weder möglich war, mangels Kenntnis des gesamten Gutachtens etwaige Unstimmigkeiten oder Unrichtigkeiten festzustellen und zu bekämpfen noch zu prüfen, ob Einwendungen gegen den Sachverständigen bestehen könnten.
19 Dem Verwaltungsgerichtshof ist es aufgrund des Fehlens der entscheidungswesentlichen Gutachten im Akt zudem nicht möglich, die in der Revision geltend gemachte Unschlüssigkeit des Gutachtens zu überprüfen.
20 Nach all dem Gesagten hat das BVwG seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Das Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG aufzuheben.
21 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf § 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2 014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190380.L00 |
Schlagworte: | Beweismittel Sachverständigengutachten Parteiengehör Sachverständigengutachten |
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