VwGH vom 26.07.2007, 2006/15/0047
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kinsky, über die Beschwerde der W F in U, vertreten durch Dr. Klemens Zelger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 1/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Innsbruck, vom , GZ. RV/0480-I/04, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2002, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.171 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid betreffend Einkommensteuer 2002 verweigerte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin die Anerkennung geltend gemachter Aufwendungen für Familienheimfahrten als Werbungskosten.
Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens wird sachverhaltsbezogen ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei seit 1990 in einem Pflegeheim der Stadtgemeinde H. als Pflegehelferin beschäftigt. Am Arbeitsort stehe der Beschwerdeführerin seit Beginn ihres Dienstverhältnisses ein vom Arbeitgeber angemietetes Zimmer zur Verfügung. Bis zum Jahr 1996 habe sich der Hauptwohnsitz der Beschwerdeführerin in L., einem Ort der rund 180 km vom Beschäftigungsort entfernt liege, befunden. Anlässlich ihrer Eheschließung im Jahr 1996 habe sie einen gemeinsamen Familienwohnsitz mit ihrem Ehemann an dessen bisherigem Wohnsitz in dem rund 10 km von L. entfernten U. begründet. Ihr Ehemann sei Landwirt, der seit Erreichung seines 65. Lebensjahres im Jahr 1995 von der Sozialversicherungsanstalt der Bauern eine geringe Pension beziehe. Nach Auskunft der genannten Sozialversicherungsanstalt habe der Ehemann rund 50 % seiner land- und forstwirtschaftlichen Flächen verpachtet, den restlichen Teil bewirtschafte er nach wie vor selbst.
Der näher dargestellten Lehre und Rechtsprechung folgend habe die seinerzeitige Finanzlandesdirektion bereits in einer das Jahr 1996 betreffenden Berufungsentscheidung den Werbungskostenabzug mit der Begründung versagt, dass der Beschwerdeführerin die "Wohnsitzverlegung des Ledigenhaushaltes" innerhalb einer Übergangsfrist von sechs Monaten zumutbar gewesen wäre.
Die Beibehaltung des Hauptwohnsitzes in L. sei bereits vor der Verehelichung als privat veranlasst und somit nicht (mehr) als beruflich bedingt anzusehen gewesen. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin in der Folge anlässlich ihrer Eheschließung im Jahr 1996 ihren Familienwohnsitz in das nur wenige Kilometer von L. entfernte U. verlegt habe, stelle keinen in der beruflichen Sphäre der Beschwerdeführerin gelegenen Anlass dar, der die doppelte Haushaltsführung als beruflich bedingt und damit die Familienheimfahrten (wiederum) zu berücksichtigungswürdigen Werbungskosten werden lasse. Wäre die Beschwerdeführerin bereits zu Beginn ihres Dienstverhältnisses nach einer angemessenen Übergangsfrist "ihrer zumutbaren Wohnsitzverlegung" an den Beschäftigungsort nachgekommen und hätte sie anlässlich ihrer Verehelichung ihren Hauptwohnsitz von H. nach U. verlegt, läge ein Fall der Wegverlegung des Hauptwohnsitzes vor und wären die Aufwendungen für Familienheimfahrten gleichfalls nicht als Werbungskosten anzuerkennen. Erst recht könne die auf Grund der Eheschließung erfolgte Verlegung des Hauptwohnsitzes von L. nach U. zu keinen anzuerkennenden Werbungskosten für Familienheimfahrten führen, wenn die Beschwerdeführerin ihren Hauptwohnsitz in L. bis zur Verehelichung beibehalten habe, obwohl ihr die Verlegung des Hauptwohnsitzes an den Beschäftigungsort schon lange zuvor zumutbar gewesen sei. Bei dieser Sach- und Rechtslage brauche auf die Frage, ob der Ehemann der Beschwerdeführerin am Familienwohnort einkommensteuerlich relevante Einkünfte beziehe, nicht eingegangen zu werden.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 sind Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Werbungskosten sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind.
Gemäß § 20 Abs. 1 Z. 1 EStG 1988 dürfen die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge bei den einzelnen Einkünften nicht abgezogen werden. Liegt der Familienwohnsitz des Steuerpflichtigen außerhalb der üblichen Entfernung vom Beschäftigungsort, dann können die (Mehr)Aufwendungen für "Familienheimfahrten" bzw. "doppelte Haushaltsführung", wie z. B. für die Wohnung am Beschäftigungsort und die Kosten für Familienheimfahrten, nur dann steuerlich berücksichtigt werden, wenn die doppelte Haushaltsführung beruflich bedingt ist. Die doppelte Haushaltsführung ist dann als beruflich veranlasst anzusehen, wenn die Gründung des zweiten Hausstandes einen objektiven Zusammenhang mit der Berufstätigkeit aufweist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 96/14/0177).
Die Beibehaltung eines Familienwohnsitzes ist aus der Sicht einer Erwerbstätigkeit, die in unüblich weiter Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, nicht durch die Erwerbstätigkeit, sondern durch Umstände veranlasst, die außerhalb der Erwerbstätigkeit liegen. Der Grund, warum Aufwendungen für Familienheimfahrten dennoch als Betriebsausgaben oder Werbungskosten bei den aus der Erwerbstätigkeit erzielten Einkünften Berücksichtigung finden, liegt darin, dass derartige Aufwendungen solange als durch die Einkunftserzielung veranlasst gelten, als dem Steuerpflichtigen eine Wohnsitzverlegung in übliche Entfernung vom Ort der Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Die Unzumutbarkeit kann ihre Ursache insbesondere in der privaten Lebensführung des Steuerpflichtigen oder in einer weiteren Erwerbstätigkeit des Ehegatten haben (vgl. in diesem Sinne die hg. Erkenntnisse vom , 96/15/0171, und vom , 95/14/0059).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 2005/15/0079, zu einem vergleichbaren Sachverhalt ausgesprochen hat, ist die Unzumutbarkeit aus der Sicht des jeweiligen Streitjahres zu beurteilen. Unterhält ein Steuerpflichtiger einen vom Beschäftigungsort entfernten (Familien)Wohnsitz, und ist in einem Streitjahr die Verlegung des Familienwohnsitzes - etwa im Hinblick auf den dort wohnhaften, berufstätigen Ehepartner - unzumutbar, sind die Voraussetzungen für die steuerliche Anerkennung der Aufwendungen für Familienheimfahrten gegeben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob in einem früheren Zeitraum, insbesondere bei Eingehen der Beschäftigung (am neuen Beschäftigungsort), die Zumutbarkeit der Wohnsitzverlegung gegeben war. Die persönliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen in einem Streitjahr hängt nämlich nicht davon ab, ob in einem Vorjahr die - tatsächlich nicht erfolgte - Verlegung des Wohnsitzes zumutbar gewesen ist. Wenn dem Abgabepflichtigen im Streitjahr die Verlegung des (Familien)Wohnsitzes nicht zumutbar ist, macht es keinen Unterschied, ob die Unzumutbarkeit bereits früher vorlag oder nicht. Darauf abzustellen, ob der Steuerpflichtige die Lebensgemeinschaft mit einem (Einkommen erzielenden) Ehepartner schon vor oder erst nach der Aufnahme seiner Berufstätigkeit an einem anderen Ort begründet hat, verstieße gegen das in Art. 7 Abs. 1 B-VG verankerte Sachlichkeitsgebot.
War die zusätzliche Wohnsitznahme der Beschwerdeführerin in H. beruflich veranlasst, was zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unstrittig ist, dann konnte sich an dieser beruflichen Veranlassung der doppelten Haushaltsführung auch durch den Umzug der Beschwerdeführerin anlässlich der Eheschließung in das einige Kilometer von ihrem bisherigen Wohnsitz entfernte U. nichts ändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 96/13/0129).
Indem die belangte Behörde die Zumutbarkeitsprüfung für die dem Streitjahr vorangehenden Jahre für wesentlich erachtete, hat sie sich in Verkennung der Rechtslage nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Erwerbstätigkeit ihres Ehemannes - die Feststellungen zur teilweisen Verpachtung der Landwirtschaft werden in der Beschwerde im Übrigen ausdrücklich bestritten - die Wohnsitzverlegung im Streitjahr als unzumutbar erkennen ließ. Eine allenfalls nur in früheren Jahren (und nicht mehr im Streitjahr) gegebene Zumutbarkeit der Wohnsitzverlegung steht als solche - wie ausgeführt - dem Werbungskostenabzug nicht entgegen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Antrages auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am