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VwGH vom 18.02.2010, 2008/22/0415

VwGH vom 18.02.2010, 2008/22/0415

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2008/22/0416

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerden der 1. Z und 2. H, beide vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom ,

1. Zl. 148.263/3-III/4/06 und 2. Zl. 148.263/2-III/4/06, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführerinnen haben dem Bund jeweils Aufwendungen in der Höhe von EUR 28,70 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen, türkischer Staatsangehöriger, vom auf Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen für den Aufenthaltszweck "Schüler" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde in beiden Bescheiden im Wesentlichen gleichlautend aus, dass die Beschwerdeführerinnen am im Besitz von Visa C, gültig bis , nach Österreich eingereist seien und am durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter postalisch im Inland die gegenständlichen Anträge eingebracht hätten. Sie seien zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung im Inland aufhältig gewesen, was durch ihre durchgehende polizeilich aufrechte Meldung an einem inländischen Hauptwohnsitz seit , die Aussagen der Beschwerdeführerinnen im Rahmen ihrer Befragung am und die Berufungsvorbringen bestätigt werde. Für die belangte Behörde stehe daher fest, dass die Beschwerdeführerinnen ihre Anträge im Inland gestellt und sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten hätten.

Da die Beschwerdeführerinnen noch nie im Besitz von Aufenthaltstiteln für die Republik Österreich gewesen seien, seien ihre Anträge vom als Erstanträge zu werten. Diese hätten gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland eingebracht und die Entscheidung jeweils im Ausland abgewartet werden müssen, weil die Beschwerdeführerinnen keine der für die Inlandsantragstellung genannten Voraussetzungen erfüllten. Überdies hätten die Anträge gemäß § 19 Abs. 1 NAG von ihnen persönlich eingebracht werden müssen.

Unter Hinweis auf die §§ 72 und 74 NAG führte die belangte Behörde weiter aus, aus dem Akteninhalt sowie dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen ergäben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Gründe. Allein aus dem Umstand, dass ihre Eltern die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen und die Beschwerdeführerinnen sich seit mehreren Jahren - seit Ablauf ihrer Visa am jedoch illegal - in Österreich aufhielten, könnten keinerlei humanitäre Gründe im Sinn des § 72 NAG abgeleitet werden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum es den Beschwerdeführerinnen nicht zumutbar sein solle, bei der österreichischen Vertretungsbehörde in ihrem Heimatland einen korrekten Antrag zu stellen. Die von ihnen gewählte Vorgangsweise stelle eine Umgehung der Einwanderungsbestimmungen dar.

Die Inlandsantragstellung bzw. ein daraus resultierendes Recht auf Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher jeweils gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.

Im Hinblick auf die Anwendung der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Freizügigkeitsrichtlinie), werde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerinnen die dort festgelegten Voraussetzungen nicht erfüllten und daher auch kein Recht auf Freizügigkeit gemäß den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften in Anspruch nehmen könnten. Aus dem gesamten Akteninhalt sei nicht ersichtlich, dass die Eltern der Beschwerdeführerinnen ihr Recht auf die (gemeinschaftsrechtliche) Freizügigkeit in Anspruch genommen hätten. Die Erstbeschwerdeführerin falle auf Grund ihrer Volljährigkeit überdies nicht mehr unter die Definition des "Familienangehörigen".

Auch aus dem Assoziationsabkommen EWG-Türkei sei kein Aufenthaltsrecht für die Beschwerdeführerinnen ableitbar, da der diesem Abkommen zugrunde liegende Assoziationsratsbeschluss (Nr. 1/80 vom ) die beschäftigungsrechtliche Stellung der Familienangehörigen und nicht den Familiennachzug regle.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden mit den Anträgen, die Bescheide wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Beschwerden nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist in Bezug auf die Zuständigkeit der belangten Behörde festzuhalten, dass in der Beschwerde die von der belangten Behörde verneinte Ausübung der Freizügigkeit durch die Eltern der Beschwerdeführerinnen nicht releviert wird. Bereits in den Berufungen wurde - ohne nähere Konkretisierung - lediglich ausgeführt, "(d)er Vater und die Mutter sind offensichtlich Personen, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben."

Das Beschwerdevorbringen "(D)a es sich bei dem gegenständlichen Berufungsbescheid um eine aufenthaltsbeendende Maßnahme handelt, wäre nicht das Bundesministerium f. Inneres, sondern - entsprechend den europarechtlichen Vorgaben - ein Gericht oder eine tribunalähnliche Institution, wie der unabhängige Verwaltungssenat, für die Entscheidung zuständig. Diese europarechtlichen Vorgaben können auch nicht durch verfassungsgesetzliche Bestimmungen unterlaufen werden." ist - auch weil keine aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliegt und auf die Beschwerdeführerinnen die §§ 86 Abs. 2 FPG und 55 Abs. 1 NAG nicht Anwendung finden - nicht geeignet, Bedenken beim Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Zuständigkeit der belangten Behörde zu erwecken.

Die Beschwerdeführerinnen bestreiten - in ihren im Wesentlichen gleichlautenden Beschwerden - nicht, dass ihre Visa am abgelaufen sind. Sie wenden sich auch nicht gegen die behördliche Annahme, dass es sich bei den gegenständlichen Anträgen um Erstanträge im Sinn des § 21 Abs. 1 NAG handelt, ihre Anträge - entgegen dieser Bestimmung - im Inland gestellt wurden, sie die Entscheidung darüber nicht im Ausland abgewartet haben und sich die Beschwerdeführerinnen nicht auf die Ausnahmebestimmung des § 21 Abs. 2 Z. 2 NAG berufen können.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (das NAG ist hier in der Fassung BGBl. I Nr. 99/2006 anzuwenden) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist - ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") - die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann.

§ 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinne dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0265, mwN).

Von dem am Maßstab der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ausnahmsweise direkt aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruch auf Familiennachzug sind u. a. Fälle des eigentlichen Nachzugs von im Ausland befindlichen Angehörigen der Kernfamilie zu einer hier niedergelassenen "Ankerperson" erfasst. Nach der Rechtsprechung des EGMR kommt es für diese Gewährung von Familiennachzug auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0389, mwN).

Die Beschwerden führen als humanitäre Gründe in diesem Sinn ins Treffen, die Beschwerdeführerinnen hätten auf Grund ihrer engen Verbindungen familiärer und sozialer Art ein Recht auf Aufenthalt in Österreich. Überdies sei zu berücksichtigen, dass die Zweitbeschwerdeführerin (die Erstbeschwerdeführerin war zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits volljährig) noch minderjährig sei.

Im Administrativverfahren haben die Beschwerdeführerinnen vorgebracht, ihre Eltern seien österreichische Staatsbürger und ihr Unterhalt und ihre Unterkunft seien gesichert. Diesem Vorbringen ist allerdings nicht zu entnehmen, dass ein besonderer Ausnahmefall vorliegen würde, der eine rasche bzw. sofortige Familienzusammenführung zur Abwendung eines unzulässigen Eingriffs in ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Recht auf Familienleben erforderte, und dass die Beschwerdeführerinnen in ihren durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechten verletzt würden, wenn sie die Entscheidung über einen gemäß § 21 Abs. 1 NAG grundsätzlich im Ausland zu stellenden Antrag auf Familienzusammenführung im Ausland abwarten müssten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0265). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Erstbeschwerdeführerin bereits volljährig ist. Die Dauer des inländischen Aufenthaltes beider Beschwerdeführerinnen von zwei Jahren und knapp neun Monaten ist nicht so lange, dass dadurch ihre persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet maßgeblich gestärkt werden könnten.

Die Abweisung der gegenständlichen Anträge gemäß § 21 Abs. 1 und 2 NAG durch die belangte Behörde erweist sich somit als unbedenklich, weshalb die vorliegenden Beschwerden gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen waren.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
GAAAE-84610