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VwGH vom 09.09.2010, 2008/22/0395

VwGH vom 09.09.2010, 2008/22/0395

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2006/18/0405

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde

1. der D, 2. der Do, 3. der A und 4. der L, alle vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 311.502/8-III/4/05, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen, Staatsangehörige des Kosovo, auf Erteilung humanitärer Erstniederlassungsbewilligungen für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG" gemäß §§ 21 Abs. 1, 72 und 74 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz 2005 (NAG), BGBl. I Nr. 100, abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Erstbeschwerdeführerin - sie ist die Mutter der Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen - am durch ihren Rechtsvertreter einen Antrag für sich und ihre drei Kinder auf Erteilung von Erstniederlassungsbewilligungen aus humanitären Gründen gemäß § 19 Abs. 2 Z. 6 iVm § 20 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 (FrG) bei der Behörde erster Instanz gestellt habe. Dieser Antrag sei - nach Wahrung des Parteiengehörs - von der Behörde erster Instanz mit Bescheid vom gemäß §§ 5 Abs. 1 und 2, 10 Abs. 4, 14 Abs. 2 und 19 Abs. 2 Z. 6 FrG abgewiesen worden.

Am seien die Erstbeschwerdeführerin und die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist. Der am eingebrachte Asylantrag der Erstbeschwerdeführerin sei seit im Stadium der Berufung anhängig. Die am für die Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen eingebrachten Asylerstreckungsanträge seien mit Datum vom rechtskräftig abgewiesen worden.

Die Zweitbeschwerdeführerin halte sich seit ihrer Geburt am in V unberechtigt in Österreich auf.

Der Ehegatte bzw. Vater der beschwerdeführenden Parteien sei erstmalig am legal, mit einer Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthaltszweck "Saisonarbeitskraft", dessen Gültigkeit bis verlängert worden sei, in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Es werde festgehalten, dass der Ehegatte bzw. Vater nicht als niedergelassen angesehen werden könne und eine diesbezügliche Aufenthaltserlaubnis - welche auf Grund der nunmehr geltenden Rechtslage als Aufenthalts-Reisevisum/Visum D+C, § 24 FPG zu werten sei - nicht zur Aufenthaltsverfestigung im Sinne des NAG gewertet werden könne. Am habe der Ehegatte bzw. Vater einen Asylantrag gestellt, der mit Datum vom zweitinstanzlich rechtskräftig abgewiesen worden sei. Gleichzeitig sei gemäß § 8 Asylgesetz festgestellt worden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in seine Heimat (Kosovo, Serbien) zulässig sei. Er sei zwar im Besitz eines "arbeitsrechtlichen Dokumentes", diese Bewilligung habe er aber nur auf Grund eines vorläufigen Aufenthaltsrechtes nach dem Asylgesetz erwirken können.

Das Ansuchen der Beschwerdeführerinnen auf Erteilung humanitärer Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 10 Abs. 4 FrG sei mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom einer negativen Erledigung zugeführt worden; auch die erstinstanzliche Behörde habe eine diesbezügliche Erteilung damals abgelehnt.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft V vom seien die Beschwerdeführerinnen aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden, der gegen die bestätigende Berufungsentscheidung eingebrachten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof sei mit Erkenntnis vom stattgegeben worden. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom sei der Berufung der Erstbeschwerdeführerin stattgegeben und zur neuerlichen Entscheidung der erstinstanzlichen Behörde vorgelegt worden, hinsichtlich der zweit- , dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien sei neuerlich ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden.

Da die Beschwerdeführerinnen "konsequenterweise" noch nie über einen Sichtvermerk, eine Aufenthaltsbewilligung oder eine Niederlassungsbewilligung für die Republik Österreich verfügt hätten, seien ihre nunmehrigen Anträge vom als Erstanträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu werten. Bei Erstanträgen sei § 21 Abs. 1 und 2 NAG zu beachten, wonach Erstanträge grundsätzlich vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen seien.

Die gegenständlichen Anträge seien durch den Rechtsvertreter am im Inland eingebracht worden, und die Beschwerdeführerinnen seien zum Zeitpunkt der Antragstellung - was sich auf Grund der aufrechten polizeilichen Meldungen ergebe - im Inland aufhältig gewesen.

Im Inland gestellte Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels seien abzuweisen, wenn kein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" aus humanitären Gründen gemäß den §§ 72 bis 74 NAG vorliege. Mit den Anträgen vom hätten die Beschwerdeführerinnen ausgeführt, dass ihr Ehegatte bzw. Vater als Saisonarbeiter in Österreich tätig gewesen sei und sie in ihrer Heimat Kosovo mittlerweile völlig entwurzelt seien. Die Kinder besuchten die Schule in Österreich; das Ausmaß ihrer Integration sei sehr hoch. Laut Berufungsvorbringen gehe der Ehegatte bzw. Vater einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach.

Die belangte Behörde führte aus, auf Grund von wirtschaftlichen Gründen sei kein ausreichender besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben. Das berechtigte Interesse an einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation durch die Auswanderung nach Österreich könne zwar festgestellt werden, aber keine humanitären Gründe für die Erteilung eines diesbezüglichen Aufenthaltstitels. Der Ehegatte bzw. Vater sei zwar im Besitz eines arbeitsrechtlichen Dokumentes, dieses habe er jedoch nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts nach dem Asylgesetz erwirken können. Die wirtschaftliche Lage im Kosovo sei bekannt, seitens der Europäischen Union würden aber erhebliche finanzielle Mittel aufgewendet, um die wirtschaftliche Lage im Kosovo zu verbessern. Weiters sorge eine internationale Friedenstruppe für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Die Menschenrechtslage in Südserbien habe sich entscheidend verbessert, weshalb eine gefahrlose Rückkehr in den Kosovo jederzeit möglich sei.

Darüber hinaus sei für die dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien auf Grund der abweisenden Entscheidungen in den asylrechtlichen Verfahren eindeutig ersichtlich, dass diese keiner Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen ausgesetzt seien.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stelle das Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland und die Integration in Österreich - wie im konkreten Fall - keine Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall dar.

Es sei daher festgestellt worden, dass kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sei. Vielmehr sei die gewählte Vorgangsweise der Beschwerdeführerinnen eine Umgehung der Einwanderungsbestimmungen bzw. würde es den Intentionen eines vorläufigen Aufenthaltsrechts widersprechen, wenn sich aus einem negativen Abschluss eines Asylverfahrens ein Daueraufenthalt entwickeln sollte. Es könne den Beschwerdeführerinnen der Zuzug nach Österreich unter Einhaltung der üblichen gesetzlichen Bestimmungen und unter Berücksichtigung der Quotensituation zugemutet werden. Eine Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätten die Beschwerdeführerinnen somit "ihre Anträge im Ausland abwarten" müssen, weshalb ihre Anträge gemäß §§ 21 Abs. 1, 72 und 74 NAG abzuweisen gewesen seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerinnen bestreiten nicht, sich sowohl bei Antragstellung als auch im gesamten Zeitraum danach bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides im Inland aufgehalten und bisher noch nie über einen Aufenthaltstitel verfügt zu haben. Bei den in Rede stehenden Anträgen handelt es sich daher um Erstanträge, bei denen grundsätzlich gemäß § 21 Abs. 1 NAG die Verpflichtung zur Antragseinbringung vor der Einreise vom Ausland aus und zum Abwarten des Verfahrens im Ausland besteht. Dass einer der Fälle des § 21 Abs. 2 NAG (in der Stammfassung) vorliege, wird in der Beschwerde nicht behauptet. Auch aus dem angefochtenen Bescheid ergeben sich dafür keine Hinweise.

Gemäß § 74 NAG kann bei Vorliegen humanitärer Gründe im Sinn des § 72 leg. cit. die Inlandsantragstellung von Amts wegen zugelassen werden. Die Behörde hat das Vorliegen der maßgeblichen Tatbestandselemente für die Annahme eines besonders berücksichtigungswürdigen Falles aus humanitären Gründen gemäß § 72 NAG zu prüfen.

§ 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK abzuleitender Anspruch besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0621, mwN).

Bei der Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art. 8 EMRK zulässig ist, kommt dem Umstand wesentliche Bedeutung zu, ob eine Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist. Die aus Asylgründen bedingte Trennung der Familie könnte den Eingriff in das Familienleben als unzulässig werten lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0583, mwN). In einem solchen Fall ist der mit einer Versagung eines Aufenthaltstitels verbundene Eingriff in das Familienleben zwar nicht jedenfalls unzulässig, es muss dann aber dem öffentlichen Interesse an der Vornahme dieser Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen sein.

Der Beschwerde des Ehegatten bzw. Vaters der Beschwerdeführerinnen an den Verwaltungsgerichtshof gegen die Abweisung seines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wurde mit hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, 2008/22/0403, stattgegeben, und der angefochtene Bescheid wurde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Die belangte Behörde stellte auch fest, die Beschwerdeführerinnen hätten bereits in ihren Anträgen darauf hingewiesen, sie seien im Kosovo mittlerweile völlig entwurzelt, in Österreich jedoch bestens integriert; die Kinder gingen hier in die Schule.

Im Hinblick auf die der Aktenlage zu entnehmenden, für die Interessenabwägung relevanten Umstände (Aufenthalt der Erst- sowie der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen seit Beginn des Kosovo-Krieges im Jahr 1998, der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin seit ihrer Geburt in Österreich, Aufenthalt des Ehegatten bzw. Vaters im Bundesgebiet, Entwurzelung im Kosovo und gute Integration in Österreich), vermag der Gerichtshof die Ansicht der belangten Behörde, die Beschwerdeführerinnen könnten keinen aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels begründen, nicht zu teilen. Fallbezogen kann somit nicht davon ausgegangen werden, eine besondere Berücksichtigungswürdigkeit im Sinne des § 72 Abs. 1 NAG sei nicht gegeben.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
LAAAE-84523