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VwGH 09.09.2016, 2013/12/0215

VwGH 09.09.2016, 2013/12/0215

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
AVG §52;
PG 1965 §17 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
RS 1
Die einer nachprüfenden Kontrolle durch den VwGH zugängliche Beantwortung der Frage des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit bedarf zunächst der widerspruchsfreien Klärung der Frage des physischen und psychischen Leistungskalküls des Anspruchswerbers und sodann - sofern eine Restarbeitsfähigkeit gegeben ist - erforderlichenfalls die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens, in dem auf dem medizinischen Gutachten aufbauend darzulegen ist, ob innerhalb des physischen und psychischen (Rest-)Leistungsvermögens eine Einsatzfähigkeit in bestimmten Tätigkeiten (Berufen) in Betracht kommt (vgl. E , 2004/12/0056).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und Hofrat Dr. Zens sowie Hofrätin Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die Beschwerde der S H in P, vertreten durch Dr. Elfgund Abel-Frischenschlager, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Marienstraße 13/2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Finanzen vom , Zl. BMF-111301/0137-II/5/2013, betreffend Waisenversorgungsgenuss, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Am verstarb A.H., der Vater der Beschwerdeführerin, der in einem öffentlich-rechtlichen Ruhestandsverhältnis zum Bund stand. Mit am bei der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (im Folgenden: BVA) eingelangtem Antrag vom begehrte die Beschwerdeführerin die Zuerkennung einer Waisenpension. In diesem Zusammenhang gab sie an, dass sie seit eine Tätigkeit in einer geschützten Werkstätte ausübe und daraus Einkünfte in der Höhe von rund EUR 500,-- erziele. Weiters legte sie verschiedene Dokumente, wie etwa ihren Behindertenpass vom , in welchem der "Grad der Behinderung/Minderung der Erwerbsfähigkeit" mit 70% angegeben wird, und umfangreiche medizinische Unterlagen vor.

2 Mit Bescheid vom stellte die BVA fest, dass die Beschwerdeführerin nach ihrem am verstorbenen Vater, Amtsdirektor i.R. A.H., gemäß § 17 Abs. 3 Pensionsgesetz 1965 (PG 1965) keinen Anspruch auf Waisenversorgungsgenuss habe. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Erkrankung am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar sei. Für die Beurteilung der Frage der Erwerbsfähigkeit sei aber auch zu prüfen, ob eine Tätigkeit ausgeübt werden könne bzw. ausgeübt werde. Laut der vorgelegten Bestätigung und Rücksprache mit dem Dienstgeber der Beschwerdeführerin, dem Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung, sei die Beschwerdeführerin seit als Arbeiterin beschäftigt und beziehe für diese Tätigkeit laufend ein Einkommen. Nach dem eingeholten Versicherungsdatenauszug beziehe sie seit dem als Arbeiterin ein Einkommen. Derzeit sei sie im Ausmaß von 30 Wochenstunden beschäftigt und übe somit faktisch eine Tätigkeit aus, die am allgemeinen Arbeitsmarkt honoriert werde. Im Hinblick auf ihr langjähriges Arbeitsverhältnis beim Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung und die dort ausgeübte Tätigkeit sei somit keine Erwerbsunfähigkeit gegeben. Da die Voraussetzungen für einen Waisenversorgungsanspruch nach § 17 Abs. 3 PG 1965 nicht vorlägen, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

3 In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie deshalb in einer geschützten Werkstätte arbeite, weil sie wegen ihrer Behinderung nicht am allgemeinen Arbeitsmarkt habe arbeiten können. Ihre Versuche am allgemeinen Arbeitsmarkt seien erfolglos gewesen. In die geschützte Werkstätte komme nur, wer behindert sei und nicht am allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten könne. Sie müssten schon arbeiten, schafften aber nie so viel, wie man "in einer ‚normalen Firma' (= allgemeiner Arbeitsmarkt)" schaffen müsse. Die Beschwerdeführerin würde niemand anstellen, weshalb sie in einer geschützten Werkstätte sei. Und auch dort könne sie nur mehr 30 Stunden arbeiten, mehr schaffe sie auch nicht in der geschützten Werkstatt. Auch vom Finanzamt erhalte sie (bzw. ihre Mutter) erhöhte Familienbeihilfe. Die Beschwerdeführerin verdiene nur EUR 419,--, wovon sie nicht leben könne.

4 Die belangte Behörde gab mit dem angefochtenen Bescheid der Berufung der Beschwerdeführerin nicht statt und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung hielt sie nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften zunächst fest, dass seitens der belangten Behörde ein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sei. Auf Grund der vorgelegten ärztlichen Unterlagen sei die Beschwerdeführerin am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar. Für die Beurteilung der Frage der Erwerbsunfähigkeit sei aber auch zu prüfen, ob eine Tätigkeit ausgeübt werden könne bzw. tatsächlich ausgeübt werde. Wie dem vorliegenden Versicherungsdatenauszug zu entnehmen sei, übe die Beschwerdeführerin seit bis heute verschiedene Erwerbstätigkeiten als Arbeiterin aus. Laut ihren eigenen Angaben und auch nach Rücksprache mit ihrem Betreuer im Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung übe sie derzeit eine Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß von 30 Wochenstunden mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von EUR 507,99 aus. Bei diesem Bezug handle es sich eindeutig um ein Einkommen und nicht um ein sogenanntes Taschengeld. Das Einkommen der Beschwerdeführerin werde vom Land Oberösterreich auf Basis des Chancengleichheitsgesetzes bezahlt. Die Beschwerdeführerin könne die von ihr ausgeübten Hilfstätigkeiten in der Verpackung nach Anweisung selbständig ausführen und werde als nur 50% vermittelbar am allgemeinen Arbeitsmarkt betrachtet. Erhöhte Familienbeihilfe gebühre ihr derzeit als Behinderte bis März 2014. Die BVA habe daher korrekt festgestellt, dass der Antrag der Beschwerdeführerin auf Auszahlung eines Waisenversorgungsgenusses abzuweisen sei, sie faktisch eine langjährige Tätigkeit ausübe, die am allgemeinen Arbeitsmarkt honoriert werde, und somit eindeutig keine Erwerbsunfähigkeit vorliege.

5 Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, diesen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

6 Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) nicht anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren (auf welche auch nicht § 4 Abs. 1 VwGbk-ÜG anzuwenden ist) die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den Beschwerdefall zu.

8 § 17 PG 1965, BGBl. Nr. 340, in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 76/2012, lautet auszugsweise:

"UNTERABSCHNITT B

VERSORGUNGSBEZUG DER WAISE

Anspruch auf Waisenversorgungsgenuß

§ 17. ...

(3) Dem Kind eines verstorbenen Beamten, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, gebührt auf Antrag ein monatlicher Waisenversorgungsgenuß, wenn es seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des im Abs. 2 genannten Zeitraumes infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig ist.

(4) Der Waisenversorgungsgenuß nach den Abs. 2 und 3 ruht, wenn das Kind

a) Einkünfte bezieht, die zur Bestreitung seines angemessenen Lebensunterhaltes ausreichen,

..."

9 Die Beschwerdeführerin bringt unter anderem vor, die belangte Behörde habe zwar einerseits festgestellt, dass sie am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar sei. Andererseits sei sie jedoch deshalb nicht vom Vorliegen einer Erwerbsunfähigkeit ausgegangen, weil die Beschwerdeführerin in einer geschützten Werkstätte ein Einkommen erziele. Durch diese Tätigkeit werde die Beschwerdeführerin aber nicht erwerbsfähig.

10 Schon mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet der Begriff Erwerbsfähigkeit nach allgemeinem Sprachgebrauch, in der Lage zu sein, durch eigene Arbeit einen wesentlichen Beitrag zum Lebensunterhalt zu verdienen. Die Erwerbsfähigkeit ist abstrakt zu beurteilen. Es ist daher nicht entscheidend, ob die in Frage kommenden Tätigkeiten am Arbeitsmarkt verfügbar sind oder nicht; es muss sich um eine Beschäftigung handeln, die grundsätzlich Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes ist. Sie setzt aber jedenfalls eine im Arbeitsleben grundsätzlich notwendige gesundheitlich durchgehende Einsatzfähigkeit für bestimmte Tätigkeiten (Berufsbilder) voraus. Hiebei ist weiters zu berücksichtigen, ob die Einsatzfähigkeit auch im Hinblick auf die üblichen Erfordernisse in der Arbeitswelt (z.B. Einhaltung der Arbeitszeit oder Fähigkeit zur Selbstorganisation) noch gegeben ist (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2001/12/0236, und vom , 2004/12/0056, jeweils mwN).

12 Vor diesem Hintergrund bedarf die einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zugängliche Beantwortung der Frage des Vorliegens einer Erwerbsunfähigkeit zunächst der widerspruchsfreien Klärung der Frage des physischen und psychischen Leistungskalküls des Anspruchswerbers und sodann - sofern eine Restarbeitsfähigkeit gegeben ist - erforderlichenfalls die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens, in dem auf dem medizinischen Gutachten aufbauend darzulegen ist, ob innerhalb des physischen und psychischen (Rest-)Leistungsvermögens eine Einsatzfähigkeit in bestimmten Tätigkeiten (Berufen) in Betracht kommt (vgl. auch das oben zitierte hg. Erkenntnis vom , mwN).

13 Die belangte Behörde stellte auf Grund der von der Beschwerdeführerin vorgelegten medizinischen Unterlagen - ohne Einholung eines medizinischen Gutachtes und entgegen der Darstellung im angefochtenen Bescheid ohne Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens - fest, dass die Beschwerdeführerin am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar ist. Dennoch ging die belangte Behörde davon aus, dass eine Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht vorliege, weil diese tatsächlich eine Erwerbstätigkeit in einer geschützten Werkstätte ausübe. Damit hat sie entgegen der oben dargestellten hg. Judikatur den Begriff der Erwerbsfähigkeit mit jenem der Erwerbstätigkeit gleichgesetzt, weshalb sich der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig erweist. Zudem handelt es sich bei der von der Beschwerdeführerin ausgeübten Erwerbstätigkeit nicht um eine Beschäftigung, die Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes ist, zumal die Tätigkeit in einer geschützten Werkstatt - wie die Beschwerdeführerin zu Recht aufzeigt - gemäß § 7 Z 13 Oö. Chancengleichheitsgesetz Menschen mit Beeinträchtigungen vorbehalten ist.

14 Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

15 Für das fortzusetzende Verfahren wird im Hinblick auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Klarstellung bemerkt, dass Gegenstand des hier vorliegenden Verfahrens die Feststellung der Gebührlichkeit des Waisenversorgungsgenusses gemäß § 17 Abs. 3 PG 1965 ist, während die Frage eines allenfalls nach § 17 Abs. 4 lit. a PG 1965 eingetretenen Ruhens eines solchen Anspruches gesondert zu prüfen wäre (vgl. zur Auslegung des Begriffs des "angemessenen Lebensunterhaltes" etwa das hg. Erkenntnis vom , 2012/12/0092, mwN). Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014 weiterhin anzuwendenden Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §52;
PG 1965 §17 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Schlagworte
Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes Fachgebiet
Besondere Rechtsgebiete
Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2016:2013120215.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
FAAAE-84483