VwGH vom 21.06.2011, 2008/22/0356
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Thomas König, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ertlgasse 4/11, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 317.008/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familienzusammenführung mit seinem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Stiefvater gemäß § 47 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen zugrunde, dass der Stiefvater des Beschwerdeführers (als der Zusammenführende im Sinn des § 47 Abs. 1 NAG) eine mit datierte Haftungserklärung für fünf Jahre vorgelegt und sich dadurch verpflichtet habe, für den Unterhalt, die Unterkunft und die Krankenversicherung des Beschwerdeführers sowie sonstige Kosten, die einer Gebietskörperschaft durch dessen Aufenthalt im Bundesgebiet entstehen könnten, aufzukommen.
Laut Lohnbestätigung vom beziehe der Stiefvater des Beschwerdeführers einen monatlichen Bruttolohn inklusive Überstundenpauschale in der Höhe von EUR 3.100,--. Recherchen der belangten Behörde hätten ergeben, dass er einen monatlichen Nettolohn von EUR 1.688,78 (ohne Überstundenpauschale) erhalte. Überstunden würden nicht als fixer Bestandteil des Einkommens gewertet. Das pfändungsfreie Existenzminimum betrage "somit" EUR 1.026,90.
Die Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes gemäß § 293 ASVG betrage für eine Einzelperson EUR 747,-- pro Monat und müsse für den Beschwerdeführer vorhanden sein. Seinem Stiefvater verbleibe aber nur ein Betrag von EUR 661,88, den er für Unterhaltszahlungen aufwenden könnte.
Es habe daher nicht nachgewiesen werden können, dass die Unterhaltsmittel gedeckt seien, und es sei sehr wahrscheinlich, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führe. Es dürfe ihm somit gemäß § 47 Abs. 3 NAG kein Aufenthaltstitel erteilt werden, weil keine tragfähige Haftungserklärung vorliege.
Darüber hinaus sei auf Grund der Aktenlage nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer - wie nach § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a und b NAG verlangt - von seinem Stiefvater bereits im Herkunftsland Unterhalt bezogen oder mit diesem bereits im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft gelebt und Unterhalt bezogen habe. Zum Einwand des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren, dass fälschlicherweise § 47 Abs. 3 Z 3 lit. b NAG und nicht § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG angewendet worden sei, werde bemerkt, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger des Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 die Voraussetzungen des 1. Teiles gemäß § 47 Abs. 3 NAG nicht erfülle und deswegen ein Eingehen auf § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a und b NAG gar nicht mehr notwendig gewesen wäre.
Zur Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG führte die belangte Behörde aus: "Im Zuge der damit erforderlichen Interessensabwägung hat die erkennende Behörde festgestellt, dass zwar durch den Aufenthalt Ihres Stiefvaters im Bundesgebiet unbestritten familiäre Bindungen in Österreich bestehen, den öffentlichen Interessen musste aber gegenüber den privaten absolute Priorität eingeräumt werden, da in Ihrem Fall die Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 NAG nicht gegeben sind."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Ein Rechtsirrtum der belangten Behörde liegt zunächst darin, dass sie bei der Beurteilung der Tragfähigkeit der Haftungserklärung des Zusammenführenden einerseits nicht auf die in § 293 Abs. 1 ASVG enthaltenen Richtsätze abgestellt und andererseits das Einkommen der Ehefrau des Zusammenführenden - die ebenfalls eine Haftungserklärung zugunsten des Beschwerdeführers abgegeben hatte - nicht berücksichtigt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0637, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird). Weiters sind bei Berechnung des vorhandenen Einkommens auch die anteiligen Sonderzahlungen zu berücksichtigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0758, mwN). Schließlich gibt es für die Nichtberücksichtigung einer Überstundenpauschale als Einkommensbestandteil keine gesetzliche Grundlage.
Bei Anwendung der oben genannten Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergeben sich aufzubringende Mittel von EUR 1.867,-- (EUR 1.120,-- Ausgleichszulagenrichtsatz für die im gemeinsamen Haushalt lebenden Eltern zuzüglich EUR 747,-- für den Beschwerdeführer). Selbst wenn nur das im angefochtenen Bescheid festgestellte monatliche Nettoeinkommen des Stiefvaters des Beschwerdeführers in der Höhe von EUR 1.688,78 (ohne Überstundenpauschale und anteilige Sonderzahlungen) der Berechnung zugrunde gelegt würde, ergäbe sich unter Berücksichtigung des im Verwaltungsverfahren ebenfalls nachgewiesenen Einkommens der Mutter des Beschwerdeführers in der Höhe von EUR 1.198,50 monatlich netto ein bei weitem ausreichendes Haushaltsnettoeinkommen, um die erforderlichen Unterhaltsmittel für den Beschwerdeführer zu gewährleisten.
Ein weiterer Rechtsirrtum der belangten Behörde liegt darin, dass sie die Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG letztlich mit der Begründung abgelehnt hat, dass den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen "absolute Priorität" eingeräumt werden müsse. Diese Rechtsmeinung steht mit dem Gesetz nicht in Einklang (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0758, mwN).
Der Verneinung der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG kam nach der oben wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Bescheides keine tragende Bedeutung zu. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass die Beurteilung der belangten Behörde, auf Grund der Aktenlage sei nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer von seinem Stiefvater bereits im Herkunftsland Unterhalt bezogen habe, nicht schlüssig ist, hat doch der Stiefvater im Verwaltungsverfahren mehrfach - zuletzt mit einer eidesstattlichen Erklärung - derartige Unterhaltszahlungen bestätigt und dafür auch Belege vorgelegt, die einer Beweiswürdigung zu unterziehen gewesen wären (vgl. zur grundsätzlichen Unbeschränktheit der Beweismittel zum Nachweis von Unterhaltszahlungen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0448, mwN).
Aus den dargestellten Gründen entspricht der angefochtene Bescheid nicht der Rechtslage, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit schon deswegen aufzuheben war, ohne dass es auf die dem hg. Beschluss vom , Zlen. EU 2011/0004 bis 0008-1, zugrundeliegenden unionsrechtlichen Fragen angekommen wäre.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
SAAAE-84470