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VwGH vom 07.02.2020, Ra 2019/18/0487

VwGH vom 07.02.2020, Ra 2019/18/0487

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des D R, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W248 2179251-2/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, beantragte am internationalen Schutz und brachte zusammengefasst vor, er werde in seinem Herkunftsstaat verfolgt, weil er christliche Bücher verteilt habe.

2 Mit Erkenntnis des vom wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , E 4794/2018-15, ab; eine außerordentliche Revision des Revisionswerbers gegen das verwaltungsgerichtliche Erkenntnis wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Ra 2018/14/0315, als unzulässig zurück.

4 Am stellte der Revisionswerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Zum Beweis der ihm drohenden Verfolgung in Afghanistan legte er ein angeblich vom afghanischen Ministerium für innere Angelegenheiten stammendes Schreiben vom vor, in dem es laut der vorliegenden Übersetzung in die deutsche Sprache im Wesentlichen heißt, es werde "empfohlen", den Revisionswerber, dem auf Grundlage eines Haftbefehls der Staatsanwaltschaft der Provinz Ghazni vorgeworfen werde, christliche Bücher in Schulen und einigen Dörfern verteilt zu haben, festzunehmen und ihn der zuständigen Staatsanwaltschaft zu übergeben.

5 Mit mündlich verkündetem Beschluss vom hob das BFA den faktischen Abschiebeschutz des Revisionswerbers gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf und legte die Verfahrensakten dem BVwG zur Überprüfung vor.

6 Mit dem angefochtenen Beschluss erklärte das BVwG die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 iVm § 22 BFA-VG für rechtmäßig und die Revision für nicht zulässig.

7 Begründend führte das BVwG aus, eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts sei seit der rechtskräftigen Entscheidung des BVwG vom nicht eingetreten. Der Revisionswerber bringe im Folgeantrag Sachverhalte vor, die sich bereits vor Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet hätten. Sie könnten lediglich unter den Voraussetzungen des § 69 AVG einen Wiederaufnahmegrund bilden. Der vorliegende Folgeantrag werde daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein. Die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan stelle für ihn auch keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK dar bzw. sei ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Der faktische Abschiebeschutz sei daher zu Recht aberkannt worden. 8 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache vorbringt, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Zum einen habe es bei der Überprüfung, ob die Tatbestandselemente des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 vorlägen, den vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Prüfungsmaßstab (Hinweis auf ) außer Acht gelassen, wonach der faktische Abschiebeschutz nicht bereits dann aufgehoben werden dürfe, wenn eine Zurückweisung des Folgeantrags wahrscheinlich sei. Es sei vielmehr erforderlich, dass der Folgeantrag missbräuchlich gestellt werde, was vom BVwG nicht festgestellt worden sei. Zum anderen habe das BVwG eine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts zu Unrecht verneint, weil der Revisionswerber im Folgeantragsverfahren einen Festnahmeauftrag des afghanischen Innenministeriums vorgelegt habe, der nach dem rechtskräftigen Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens datiere und entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einen geänderten Sachverhalt begründe (Hinweis auf ).

9 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Die Revision ist zulässig und begründet.

12 Gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das BFA den faktischen Abschiebeschutz des Fremden, der einen Folgeantrag gestellt hat, aufheben, wenn gegen ihn (u.a.) eine Rückkehrentscheidung besteht (Z 1), der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z 2), und die Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3, oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z 3).

13 Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ("wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist") hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, es müsse das vom Gesetz angestrebte Ziel beachtet werden, den faktischen Abschiebeschutz nur für klar missbräuchliche Anträge beseitigen zu wollen. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtige daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es müsse sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichne. Nur dann könne auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolge, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deute - unter Bedachtnahme auf näher bezeichnete unionsrechtlichen Vorgaben - etwa die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich seien aber auch andere Umstände, die den Schluss zuließen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (vgl. dazu grundlegend ). 14 Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass sich das BVwG in der angefochtenen Entscheidung zwar damit beschäftigt hat, ob der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen sein wird, sich mit der Frage, ob die Folgeantragstellung klar missbräuchlich erfolgt ist, aber nicht auseinandergesetzt hat.

15 Hinzu kommt, dass die Rechtsauffassung des BVwG, das vom Revisionswerber zur Begründung seines Folgeantrags vorgelegte Schreiben, mit dem seine Festnahme behördlich beauftragt worden sein soll, begründe von vornherein keinen geänderten Sachverhalt, der einen Folgeantrag zulässig mache, nicht zutrifft. Auch in diesem Zusammenhang verweist die Revision zutreffend auf vergleichbare Vorjudikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach ein nach rechtskräftigem Abschluss eines Asylverfahrens erlassener Haftbefehl eine maßgebliche Sachverhaltsänderung darstellen kann, der eine neue Beurteilung der vom Asylwerber geltend gemachten Fluchtgründe erfordert. Es bedarf in einem solchen Fall einer beweiswürdigenden Auseinandersetzung mit dem neuen Vorbringen (vgl. , mwN), insbesondere dahingehend, ob diesem Vorbringen ein zumindest glaubhafter Kern zukommt (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa , mwN). Sollte sich aber die Notwendigkeit ergeben, sich mit den Angaben des Revisionswerbers (und der von ihm vorgelegten Urkunde) umfangreich beweiswürdigend auseinanderzusetzen, könnte jedenfalls nicht mehr davon gesprochen werden, die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes liege schon nach Grobprüfung seines Folgeantrags auf der Hand (vgl. in diesem Sinne bereits ). 16 Da das BVwG diese rechtlichen Leitlinien aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht beachtet hat, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180487.L00
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

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