VwGH 23.08.2012, 2011/05/0082
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | BauO NÖ 1996 §20; BauO NÖ 1996 §22 Abs1; BauO NÖ 1996 §6 Abs2; BauO NÖ 1996 §6 Abs3; BauRallg; |
RS 1 | Eine Mitteilung nach § 22 Abs 1. 2. Satz NÖ BauO 1996 soll den Nachbarn darüber in Kenntnis setzen, dass beabsichtigt ist, eine Baubewilligung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu erteilen, und ihm damit ermöglichen, dennoch seine gesetzlich gewährleisteten Rechte geltend zu machen. |
Normen | |
RS 2 | Die Wortfolge in § 6 Abs. 1 vorletzter Satz NÖ BauO 1996, dass Nachbarn nur dann Parteien sind, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten "berührt sind", ist im Sinne von "verletzt sein (werden) können", also so zu verstehen, dass es auf die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ankommt. Die Verletzung von Rechten kann nicht Voraussetzung der Parteistellung sein (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/05/0294, zur insoweit vergleichbaren Rechtslage der Niederösterreichischen Bauordnung 1976; sinngemäß zur hier anzuwendenden Rechtslage Hinweis auf den hg. Beschluss vom , Zl. 2002/05/1238). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2008/05/0112 E VwSlg 17724 A/2009 RS 1 |
Normen | |
RS 3 | Ausgehend von den Erwägungen im Motivenbericht zur Novelle LGBl 8200-3 zur NÖ Bauordnung 1996 ist bei der Auslegung der im § 22 Abs. 2 letzter Satz NÖ Bauordnung 1996 getroffenen Anordnung des Verlustes der Parteistellung mangels Erhebung von Einwendungen die geltende Regelung des § 42 Abs. 2 AVG heranzuziehen, welche die Rechtsfolgen der Präklusion des § 42 Abs. 1 AVG (auch hier: Verlust der Parteistellung) im Falle der Nichteinhaltung der dort vorgeschriebenen Kundmachungserfordernisse gegenüber jenen Beteiligten eintreten lässt, die rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten haben (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze, 13. Auflage, Anm. 3 zu § 42 AVG, wiedergegebenen Erläuternden Bemerkungen). Diese Präklusionswirkungen treten jedoch nur dann ein, wenn in der Verständigung (Kundmachung) der Parteien gemäß § 41 Abs. 2 AVG der Hinweis auf die gemäß § 42 AVG eintretenden Folgen enthalten war (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/05/0076). Da - wie oben ausgeführt - die Präklusionsregelung des § 22 Abs. 2 NÖ Bauordnung 1996 diejenige des § 42 AVG zum Vorbild hat, kann daher auch die im letzten Satz der erstgenannten Gesetzesstelle vorgesehene Rechtsfolge des Verlustes der Parteistellung nur dann eintreten, wenn die betroffene Partei bei der nachweislichen Verständigung vom Einlangen des Baubewilligungsantrages auf diese Rechtsfolge bei nicht fristgerechter Erhebung von Einwendungen hingewiesen wurde. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2002/05/1371 E RS 1
(Hier: Sinngemäß muss Derartiges schon aus Überlegungen der
Sachlichkeit und des Rechtsschutzes auch für die
Präklusionsregelung des § 22 Abs. 1 letzter Satz NÖ BauO 1996
gelten.) |
Normen | |
RS 4 | Zwar ist den Nachbarn gemäß § 6 Abs. 2 Z. 3 NÖ BauO 1996 nur insofern ein subjektiv-öffentliches Recht eingeräumt, als diese Bestimmungen dazu dienen, eine ausreichenden Belichtung der bewilligten oder bewilligungsfähigen Hauptfenster der Gebäude der Nachbarn zu gewährleisten. Dass das Bauvorhaben tatsächlich gegen diese Bestimmungen verstößt, ist aber nicht Voraussetzung für eine Einwendung im Rechtssinne. Es bleibt vielmehr dem Verfahren über die Erteilung der Baubewilligung vorbehalten, diese Frage zu prüfen (Hinweis E vom , 2005/05/0345). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Waldstätten, Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde des KB in S, vertreten durch Dr. Gert Üblacker-Risenfels, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Villenstraße 25, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-BR-1389/001-2010, betreffend Parteistellung in einem Baubewilligungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. FJ und 2. SJ, beide in S, beide vertreten durch Mag. Andreas Gartner, Rechtsanwalt in 4300 St. Valentin, Langenharter Straße 30; 3. Stadtgemeinde S, vertreten durch Rechtsanwälte Weixelbaum Humer & Partner OG in 4020 Linz, Lastenstraße 36), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Ansuchen vom beantragten die erst- und zweitmitbeteiligten Parteien beim Bürgermeister der drittmitbeteiligten Stadtgemeinde die Erteilung der Baubewilligung für die Erneuerung des Dachstuhles inklusive Einbindung einer Gaupe und für den "Zubau einer Balkonüberdachung" zum bestehenden Gebäude auf dem Grundstück Nr. .46/2, EZ. 116, KG X. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer der Liegenschaft Grundstück Nr. .46/1, die an die Bauliegenschaft westlich unmittelbar angrenzt.
Mit Schreiben der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, nach Durchführung eines Ortsaugenscheines am und Vorprüfung des Bausachverständigen stehe fest, dass das geplante Bauvorhaben keine Nachbarrechte nach § 6 Abs. 2 und 3 Niederösterreichische Bauordnung 1996 (BO) berühre und somit eine Bauverhandlung gemäß § 22 Abs. 1 BO entfallen könne.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung von Auflagen erteilt.
Der Beschwerdeführer beantragte mit Schreiben vom die Zuerkennung der Parteistellung, da durch das Bauvorhaben sein Bauwerk in seiner Nutzbarkeit stark beeinträchtigt werde, insbesondere weil die Belichtung eines Fensters eines als Arbeits- und Aufenthaltsraum genutzten Raumes nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet sei. Außerdem handle es sich bei dem beantragten Zubau um eine Holzkonstruktion, welche sein Objekt im Brandfall aufgrund des geringen Abstandes der strahlenden Hitze in hohem Maße aussetzen würde, was besonders wegen des in der angrenzenden Wand befindlichen konsensmäßigen Fensters eine erhebliche Verschlechterung des Brandschutzes seines Objektes darstellen würde.
Nach einer ergänzenden Darstellung des Beschwerdeführers vom über seine Betroffenheit durch das Bauvorhaben wies der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde mit Bescheid vom den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Parteistellung als unbegründet ab. Begründend wurde im Wesentlichen - soweit beschwerdegegenständlich - ausgeführt, bezugnehmend auf die vorgebrachte Beeinträchtigung der Belichtung eines Arbeits- und Aufenthaltsraumes seien laut Baubewilligungsbescheid vom und dem diesem zu Grunde liegenden Einreichplan das Erdgeschoss und das Obergeschoss als Abstellräume ausgewiesen, weshalb alle Fenster in diesen Bereichen als Nebenfenster zu werten seien, die keine Parteistellung begründeten. Da weder mit der Ausführung des bewilligten Bauvorhabens binnen zwei Jahren ab Eintritt der Rechtskraft des Baubewilligungsbescheides begonnen noch dieses binnen fünf Jahren ab Beginn vollendet worden sei, sei die Baubewilligung vom außerdem unwirksam geworden. Die Tragkonstruktion der Balkonüberdachung, wie Pfeiler, Pfetten und Sparren, seien laut Plan als F60-Konstruktion ausgewiesen. Die Dachuntersicht erfülle die Mindestanforderungen von F30. Die sowohl vom Beschwerdeführer als auch von der erst- und zweitmitbeteiligten Partei errichtete Vorsatzschale zur bestehenden Feuermauer würde diese verstärken, was eine Verbesserung der Brandwand darstelle.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, worin er im Wesentlichen - soweit beschwerdegegenständlich - vorbrachte, dass sowohl sein Gebäude als auch jenes der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien die Widmung "Erhaltenswertes Gebäude im Grünland" aufwiesen. Auch wenn sein Gebäude derzeit zu Lagerzwecken genutzt werde, sehe er das Ausschließen einer anderen Nutzung als Ungleichbehandlung der beiden Objekte bzw. deren Eigentümer. Die Bezeichnung eines ca. 40 m2 großen Raumes mit drei Fenstern als nur zum Abstellraum geeignet sei unangebracht. Eine Nutzung dieses Raumes als Werkstatt, Büro, Atelier oder Wohnraum wäre ohne jegliche genehmigungspflichtige Umbauten möglich, weshalb er die Fenster auch als Hauptfenster sehe. Die Vormauerung sei auf seiner Mauer erfolgt und diene lediglich zum Schaffen von Auflagern für den Dachstuhl. Eine Brandwand auf Seiten der Liegenschaft der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien sei nicht vorhanden.
Mit Schreiben der Bürgermeisterin der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom wurde dem Beschwerdeführer das Ergebnis der Beweisaufnahme mitgeteilt, wozu er sich mit Schreiben vom ablehnend äußerte.
Mit Bescheid vom wies der Stadtrat der mitbeteiligten Stadtgemeinde die Berufung als unbegründet ab. In der Begründung führte die Berufungsbehörde im Wesentlichen aus, dass das Recht der Gleichbehandlung und das Ausschließen einer anderen Nutzung nur auf die mögliche Beeinträchtigung von Hauptfenstern angewendet werden könne. Das Bauansuchen der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien könne nur nach gültiger Rechtslage und vorhandenen Tatsachen und dem genehmigten Bestand des Nachbargebäudes des Beschwerdeführers beurteilt werden. Da selbst im erloschenen Baubescheid vom das Erdgeschoss und das Obergeschoss jeweils als Abstellraum mit ca. 46 m2 bezeichnet würden, sei von einer alleinigen Nutzung als Abstellraum auszugehen, welche noch dazu vom Beschwerdeführer selbst so bezeichnet würde. Eine Umwidmung eines Abstellraumes in einen Aufenthaltsraum ohne jegliche Genehmigung sei nicht möglich, sondern es handle sich dabei um ein bewilligungspflichtiges Bauvorhaben. Ferner werde mit der Fertigstellungsmeldung bestätigt, dass die Balkonsäulen in F60- Qualität ausgeführt worden seien. Der seitliche Bauwich müsse im geregelten Baulandbereich der halben Gebäudehöhe entsprechen, mindestens jedoch 3 m betragen. Die Widmungsart "Erhaltenswertes Gebäude im Grünland" sehe diese Anforderung nicht vor. Das Bauvorhaben der erst- und zweitmitbeteiligten Parteien stehe der derzeitigen Nutzung des Bereiches des Beschwerdeführers nicht entgegen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet ab. Die belangte Behörde führte - soweit beschwerdegegenständlich -
im Wesentlichen aus, Gegenstand des konkreten Baubewilligungsverfahrens sei der Zubau einer Balkonüberdachung bei einem erhaltenswerten Gebäude im Grünland, welches seinerseits im rechten Winkel an ein weiteres erhaltenswertes Gebäude im Grünland am Nachbargrundstück angebaut sei. Die Gemeinde habe aufgrund der Ergebnisse des Vorprüfungsverfahrens ein vereinfachtes Baubewilligungsverfahren durchgeführt und dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass das Vorhaben keine Nachbarrechte nach § 6 Abs. 2 BO berühre. Der Beschwerdeführer bringe vor, dass die Belichtung der Fenster eines als Arbeits- und Aufenthaltsraum genutzten Raumes nicht mehr im vollen Umfang gewährleistet sei. Ein von der Gemeinde daraufhin durchgeführtes Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass die Räumlichkeiten des Nachbargebäudes sowohl im Erdgeschoss als auch im Obergeschoss laut den der Baubewilligung zugrunde liegenden Einreichunterlagen als Abstellräume gewidmet seien. Es sei den Behörden auf Gemeindeebene zuzustimmen, dass, ausgehend von der Begriffsdefinition der Hauptfenster iSd § 4 Z. 9 BO, die Fenster bloß als Nebenfenster anzusehen seien. Werde in einem Bauverfahren lediglich die Beeinträchtigung der Belichtung vom Nachbarn eingewendet, wobei dies weder mit der Höhe noch dem Abstand des Projektes begründet werde, so sei dies nicht ausreichend, um ein subjektivöffentliches Recht geltend zu machen und die Parteistellung zu behalten. Hinzu komme, dass der Nachbar eine Beeinträchtigung der Belichtungsverhältnisse lediglich auf Hauptfenster relevieren könne. Daran vermöge auch der Umstand einer allfälligen zukünftigen Änderung der Raumwidmung - etwa von Abstellräumen auf Wohnräume - nichts zu ändern. Zu Recht habe daher bereits die Baubehörde erster Instanz den Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung abgewiesen, weil der Beschwerdeführer in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten nicht betroffen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie die erst- bis drittmitbeteiligten Parteien, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, dass, obwohl ein Nachbar in seiner Vorstellung - wie auch in der Berufung - darzutun habe, in welchen Rechten er sich verletzt erachte, die Aufsichtsbehörde - ebenso wie die Berufungsbehörde - sich nicht auf die geltend gemachten Gründe zu beschränken, sondern vielmehr den Bescheid im Hinblick auf eine mögliche Rechtsverletzung des Vorstellungs- bzw. Berufungswerbers in jeder Richtung zu überprüfen habe. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei klar ersichtlich, dass ihm eine Parteistellung als Nachbar zuzuerkennen sei, was er auch ausführlich begründet habe. Der Nachbar müsse das Recht, in dem er sich verletzt erachte, nicht ausdrücklich bezeichnen und dafür auch keine Gesetzesstelle anführen. Er müsse seine Einwendung auch nicht begründen. Aus seinem Vorbringen müsse nur klar erkennbar sein, welche Rechtsverletzung er behaupte. Eine Verletzung von Nachbarrechten könne gegeben sein, wenn der Lichteinfall unter 45 Grad auf Hauptfenster der zulässigen Gebäude auf den Nachbargrundstücken beeinträchtigt wäre. Der Begriff "zulässiges Gebäude" beziehe sich aber nicht nur auf die Hauptfenster bestehender (bewilligter oder als konsensgemäß zu beurteilender) Gebäude auf den Nachbargrundstücken, sondern auch auf zukünftig bewilligungsfähige Gebäude. Dies sei weder von dem der Baubewilligung zugrunde gelegten Sachverständigengutachten noch von den Baubehörden und der Vorstellungsbehörde beachtet worden. Die belangte Behörde hätte prüfen müssen, ob ein ausreichender Lichteinfall auch unter Berücksichtigung zukünftiger bewilligungsfähiger Neu- und Zubauten gewährleistet sei. Dies umso mehr, als im gegenständlichen Fall bereits Fenster im Nebengebäude vorhanden seien. Ausgehend davon wäre daher zu prüfen gewesen, ob das gegenständliche, zur Bewilligung eingereichte Bauvorhaben den gesetzlichen Lichteinfall auf (fiktive) Hauptfenster des Nachbarn beeinträchtige. Hiezu hätte es der Feststellung bedurft, in welcher Höhe die tiefstliegenden Hauptfenster des Nachbarn - unter Nichtbeachtung des gegenständlichen Bauvorhabens - zulässig wären. Jedenfalls sei von den Behörden nicht festgestellt worden, dass auf dem Gebäude des Nachbargrundstückes überhaupt keine Hauptfenster zulässig wären, und sei der Beschwerdeführer in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten berührt, sodass ihm zu Unrecht die Parteistellung verwehrt worden sei.
§ 6 BO lautet:
"Parteien, Nachbarn und Beteiligte
(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32,
§ 33 Abs. 2, § 34 Abs. 2 und § 35 haben Parteistellung:
der Bauwerber und/oder der Eigentümer des Bauwerks
der Eigentümer des Baugrundstücks
die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z.B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind (Nachbarn), und
4. die Eigentümer eines ober- oder unterirdischen Bauwerks auf den Grundstücken nach Z. 2 und 3, z.B. Superädifikat, Baurechtsobjekt, Keller, Kanalstrang (Nachbarn).
Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektivöffentlichen Rechten berührt sind.
Beteiligte sind alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden.
(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die
1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z. 4)
sowie
2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben,
gewährleisten und über
3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen den Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 9) der zulässigen (bestehende bewilligte oder zukünftig bewilligungsfähige) Gebäude der Nachbarn dienen."
§ 22 BO lautet:
"Entfall der Bauverhandlung
(1) Ergibt die Vorprüfung (§ 20), daß das geplante Vorhaben keine Rechte nach § 6 Abs. 2 und 3 berührt, dann entfällt die Bauverhandlung.
Die Baubehörde hat diese Feststellung 14 Tage vor Erteilung der Baubewilligung den Nachbarn (§ 6 Abs. 1 Z. 3 und 4) und dem Straßenerhalter (§ 6 Abs. 3) mitzuteilen. Durch die Mitteilung werden keine Nachbarrechte begründet.
Erfolgt diese Feststellung zu Unrecht, erlischt die Parteistellung, wenn keines der genannten Rechte innerhalb von 4 Wochen nach Baubeginn geltend gemacht wird.
Erfolgt jedoch eine solche Feststellung in einem Bewilligungsverfahren, das aufgrund eines Antrages nach § 29
2. Satz bzw. § 35 Abs. 2 Z. 3 eingeleitet wurde, dann gilt Abs. 2 und 3 sinngemäß.
(2) Zur Beschleunigung des Bewilligungsverfahrens darf die Bauverhandlung entfallen, wenn
die Baubehörde die Parteien nach § 6 Abs. 1 Z. 3 und 4 (Nachbarn) und § 6 Abs. 3 (Straßenerhalter) von dem Einlangen eines Antrages nach § 14 unter Angabe von Zeit und Ort für die Einsichtnahme in den Antrag und seine Beilagen nachweislich verständigt, und
gleichzeitig die Parteien aufgefordert werden, eventuelle Einwendungen gegen das Vorhaben binnen 14 Tagen ab Zustellung der Verständigung bei der Baubehörde einzubringen, und
innerhalb dieser Frist keine Einwendungen erhoben werden.
Werden keine Einwendungen erhoben, erlischt die Parteistellung.
(3) Eine Partei nach Abs. 2, die glaubhaft macht, daß sie ohne ihr Verschulden daran gehindert war, innerhalb der Frist nach Abs. 2 Einwendungen zu erheben, darf binnen 2 Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses, jedoch spätestens bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung der Sache bei der Baubehörde Einwendungen erheben. Solche Einwendungen gelten als rechtzeitig erhoben und sind von jener Baubehörde zu berücksichtigen, bei der das Verfahren anhängig ist."
Die Baubehörde ist nach Durchführung einer Vorprüfung gemäß § 20 BO zu dem Ergebnis gekommen, dass das geplante Bauvorhaben keine Nachbarrechte nach § 6 Abs. 2 und 3 BO berühre und somit eine mündliche Verhandlung entfallen könne. Dies hat sie gemäß § 22 Abs. 1 2. Satz BO, allerdings nicht 14 Tage vor Erteilung der Baubewilligung, sondern am selben Tag, an dem sie die Baubewilligung erteilt hat, dem Beschwerdeführer mitgeteilt. Eine solche Mitteilung soll den Nachbarn darüber in Kenntnis setzen, dass beabsichtigt ist, eine Baubewilligung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu erteilen, und ihm damit ermöglichen, dennoch seine gesetzlich gewährleisteten Rechte geltend zu machen.
Bemerkt wird an dieser Stelle, dass nach einem im Akt befindlichen Aktenvermerk vom an diesem Tag bereits gebaut wurde. Sollte dies zutreffen, käme ein Erlöschen der Parteistellung nach § 22 Abs. 1 BO von vornherein nicht in Frage. Die vierwöchige Frist für Nachbareinwendungen wäre in diesem Fall nämlich nicht gegeben. Der angefochtene Bescheid erweist sich aber abgesehen davon auch aus folgenden Gründen als rechtswidrig:
Die Wortfolge in § 6 Abs. 1 vorletzter Satz NÖ Bauordnung 1996, dass Nachbarn nur dann Parteien sind, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten "berührt sind", ist im Sinne von "verletzt sein (werden) können", also so zu verstehen, dass es auf die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ankommt. Die Verletzung von Rechten kann nicht Voraussetzung der Parteistellung sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0112).
Es fehlen sowohl in den Bescheiden der Gemeindebehörden als auch im angefochtenen Bescheid entsprechende Begründungsdarlegungen, warum im Beschwerdefall davon ausgegangen werden kann, dass der Beschwerdeführer als Eigentümer vom unmittelbar an das Baugrundstück angrenzenden Grundstück keinesfalls in den im § 6 Abs. 2 BO aufgezählten subjektivöffentlichen Rechten verletzt werden könnte. Derartiges erscheint auch nicht begründbar. Angesichts der konkreten Lage der unmittelbar aneinandergrenzenden Grundstücke und der sich darauf befindlichen, zum Teil aneinandergebauten Gebäude ist die belangte Behörde vielmehr zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nicht in einem subjektiv-öffentlichen Recht des § 6 Abs. 2 BO verletzt werden könnte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , Zl. 2002/05/1371, folgendes ausgeführt:
"Ausgehend von den Erwägungen im Motivenbericht zur 3. Novelle der NÖ Bauordnung 1996 ist bei der Auslegung der im § 22 Abs. 2 letzter Satz Niederösterreichische Bauordnung 1996 getroffenen Anordnung des Verlustes der Parteistellung mangels Erhebung von Einwendungen die geltende Regelung des § 42 Abs. 2 AVG heranzuziehen, welche die Rechtsfolgen der Präklusion des § 42 Abs. 1 AVG (auch hier: Verlust der Parteistellung) im Falle der Nichteinhaltung der dort vorgeschriebenen Kundmachungserfordernisse gegenüber jenen Beteiligten eintreten lässt, die rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten haben (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze, 13. Auflage, Anm. 3 zu § 42 AVG, wiedergegebenen Erläuternden Bemerkungen). Diese Präklusionswirkungen treten jedoch nur dann ein, wenn in der Verständigung (Kundmachung) der Parteien gemäß § 41 Abs. 2 AVG der Hinweis auf die gemäß § 42 AVG eintretenden Folgen enthalten war (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/05/0076). Da ... die Präklusionsregelung des § 22 Abs. 2 BO diejenige des § 42 AVG zum Vorbild hat, kann daher auch die im letzten Satz der erstgenannten Gesetzesstelle vorgesehene Rechtsfolge des Verlustes der Parteistellung nur dann eintreten, wenn die betroffene Partei bei der nachweislichen Verständigung vom Einlangen des Baubewilligungsantrages auf diese Rechtsfolge bei nicht fristgerechter Erhebung von Einwendungen hingewiesen wurde."
Sinngemäß muss Derartiges schon aus Überlegungen der Sachlichkeit und des Rechtsschutzes auch für die Präklusionsregelung des § 22 Abs. 1 letzter Satz BO gelten. Ein Hinweis auf die Rechtsfolge des Verlustes der Parteistellung (im Falle dass die Mitteilung zu Unrecht ergangen sein sollte) bei nicht fristgerechter Geltendmachung eines Rechtes gemäß § 6 Abs. 2 und 3 BO fehlt jedoch in der auf § 22 Abs. 1 BO gestützten Verständigung des Beschwerdeführers vom durch die Baubehörde. Dort wurde nur auf den Entfall der Bauverhandlung, nicht aber auf den allfälligen Verlust der Parteistellung hingewiesen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. z.B. das hg Erkenntnis vom , Zl. 2003/05/0026).
Der Nachbar muss das Recht, in dem er sich verletzt erachtet, nicht ausdrücklich, etwa durch Nennung der Rechtsnorm, bezeichnen und auch nicht angeben, auf welche Gesetzesstelle sich seine Einwendung stützt; er muss seine Einwendung auch nicht begründen; es muss aus seinem Vorbringen nur erkennbar sein, welche Rechtsverletzung von ihm behauptet wird (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I, 2. Auflage, S. 612 f unter E 37 ff zitierte, auch hier heranzuziehende hg. Judikatur).
Entgegen der Rechtsauffassung der belangten Behörde hat der Beschwerdeführer nicht nur die Beeinträchtigung der Belichtung eingewendet, sondern es kann seinem Vorbringen - insbesondere in seinem Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung - entnommen werden, dass er sich durch das Bauvorhaben der mitbeteiligten Bauwerber in seinem subjektiv-öffentlichen Recht auf Einhaltung der Abstände zwischen Bauwerken ("aufgrund des geringen Abstandes") bzw. der zulässigen Höhe (zumal es sich um eine Balkonüberdachung handelt) als verletzt erachtet, das ihm § 6 Abs. 2 Z. 3 BO einräumt. Zwar ist den Nachbarn diesbezüglich gemäß § 6 Abs. 2 Z. 3 BO nur insofern ein subjektiv-öffentliches Recht eingeräumt, als diese Bestimmungen dazu dienen, eine ausreichenden Belichtung der bewilligten oder bewilligungsfähigen Hauptfenster der Gebäude der Nachbarn zu gewährleisten. Dass das Bauvorhaben tatsächlich gegen diese Bestimmungen verstößt, ist aber nicht Voraussetzung für eine Einwendung im Rechtssinne. Es bleibt vielmehr dem Verfahren über die Erteilung der Baubewilligung vorbehalten, diese Frage zu prüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/05/0345).
Auch in Bezug auf die Einhaltung von Vorschriften im Interesse des Brandschutzes seiner Bauwerke hat der Nachbar nach der BO ein Mitspracherecht (vgl. die bei Hauer/Zaussinger, Niederösterreichisches Baurecht, 7. Auflage, S. 174 unter E 49 zitierte hg. Judikatur). Auch derartige Einwendungen hat der Beschwerdeführer bereits in seinem Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung erhoben, wo er ausgeführt hat, dass sich durch das geplante Bauvorhaben eine Verschlechterung des Brandschutzes ergebe, besonders wegen seines in der angrenzenden Wand befindlichen Fensters sowie der Ausgestaltung des Bauvorhabens in Form einer Holzkonstruktion.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | AVG §41 Abs2; AVG §42 Abs1 idF 1998/I/158; AVG §42 Abs2 idF 1998/I/158; AVG §42 idF 1998/I/158; AVG §42; AVG §8; BauO NÖ 1996 §20; BauO NÖ 1996 §22 Abs1; BauO NÖ 1996 §22 Abs2 idF 8200-3; BauO NÖ 1996 §6 Abs1 idF 8200-3; BauO NÖ 1996 §6 Abs1; BauO NÖ 1996 §6 Abs2 Z3; BauO NÖ 1996 §6 Abs2; BauO NÖ 1996 §6 Abs3; BauONov NÖ 01te 1999 8200-3; BauRallg; VwGG §42 Abs2 Z1; |
Schlagworte | Bauverfahren (siehe auch Behörden Vorstellung Nachbarrecht Diverses) Parteien BauRallg11/1 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Belichtung Belüftung BauRallg5/1/3 Baurecht Nachbar übergangener Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv öffentliche Rechte BauRallg5/1 Baurecht Nachbar |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2012:2011050082.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
BAAAE-84386