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VwGH vom 14.12.2010, 2008/22/0299

VwGH vom 14.12.2010, 2008/22/0299

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der S, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 311.171/9-III/4/07, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) einen beim Magistrat der Stadt Wels am eingebrachten Antrag der aus dem Kosovo stammenden Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1, § 72 und § 74 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Die belangte Behörde legte dieser Entscheidung - zu den von ihr herangezogenen Abweisungsgründen - die Feststellungen zugrunde, dass die Beschwerdeführerin seit durchgehend in Österreich gemeldet sei. Sie habe bis zum über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für kriegsvertriebene Kosovo-Albaner sowie eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 10 Abs. 4 FrG verfügt. Der Erteilung einer "weiteren humanitären Aufenthaltserlaubnis" sei durch die belangte Behörde am nicht zugestimmt worden.

Der gegenständliche Antrag sei durch einen Familienangehörigen der Beschwerdeführerin, welche sich zum Zeitpunkt der Antragstellung und auch danach im Bundesgebiet aufgehalten habe, im Inland eingebracht worden.

Die Beschwerdeführerin habe in ihrer Berufung gegen den Bescheid erster Instanz und einer Berufungsergänzung angeführt, dass sie alle maßgeblichen Lebensinteressen in Österreich habe, wo ihre Familie lebe. Die Beschwerdeführerin sei aufgrund der Kriegswirren im Kosovo traumatisiert, leide unter Epilepsie und sei dadurch von ihrer Familie und von weiteren Behandlungen in Österreich abhängig.

Zu diesem Vorbringen stellte die belangte Behörde fest, dass aus den Krankheitsberichten nicht habe ersehen werden können, dass eine Behandlung der Krankheit der Beschwerdeführerin in deren Heimat nicht gewährleistet sei. Nach einem Bericht der Landes-Nervenklinik W vom sei eine medikamentöse Einstellung der Beschwerdeführerin erfolgreich gewesen.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe (u.a.) von § 82 Abs. 1, § 21 Abs. 1 und 2, § 74 und § 72 Abs. 1 NAG - im Wesentlichen aus, dass der gegenständliche Antrag als Erstantrag zu werten sei, die Beschwerdeführerin allerdings dem Erfordernis des § 21 Abs. 1 NAG nicht entsprochen habe.

Auch mit Blick auf das Vorbringen in der Berufung der Beschwerdeführerin sei kein ausreichender besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG gegeben, sodass eine Inlandsantragstellung nicht gemäß § 74 NAG von Amts wegen zugelassen werde. Das "Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland und die Integration in Österreich" stellten "keine Grundlage für den besonders berücksichtigungswürdigen Fall" dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde den gegenständlichen, noch bei Geltung des Fremdengesetzes 1997 - FrG gestellten Antrag zutreffend nach den Bestimmungen des am in Kraft getretenen NAG beurteilt hat (§ 82 Abs. 1 iVm § 81 Abs. 1 NAG).

Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass im Zeitpunkt der Antragstellung der der Beschwerdeführerin zuletzt erteilte bis gültige Aufenthaltstitel im Blick auf § 24 Abs. 2 erster Satz NAG (in der Stammfassung) der Verlängerung jedenfalls nicht (mehr) zugänglich war und sie die Entscheidung über den am gestellten Antrag auch nach dem In-Kraft-Treten des NAG nicht im Ausland abgewartet hat. Die behördliche Ansicht, dass es sich bei dem vorliegenden Antrag um einen Erstantrag (vgl. § 2 Abs. 1 Z. 13 NAG) handle, dessen Bewilligung an sich der Grundsatz des § 21 Abs. 1 NAG entgegenstehe, begegnet somit keinen Bedenken.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung im Inland stellen und die Entscheidung darüber hier abwarten zu dürfen, kommt daher fallbezogen nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, so ist die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. etwa jüngst das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0459, mwN).

In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdeführerin allerdings im Verwaltungsverfahren - worauf sie in der Beschwerde hinweist - über die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Ausführungen hinaus vorgebracht, dass sie im Kosovo keine Angehörigen mehr habe, das Haus der Familie im Heimatdorf verbrannt sei und es dort weder Wasser noch Strom noch ärztliche Versorgung gebe. Aufgrund ihrer Erkrankung bedürfe die Beschwerdeführerin ständig eines Begleiters; sie könne sich die in diesem Zusammenhang notwendigen Medikamente und Behandlungen im Kosovo nicht leisten, weil ihr in ihrer Heimat - wo sie nie gearbeitet habe - auch keine soziale Hilfe zustehe, sodass ihr dort die "Obdachlosigkeit in einem Land ohne soziales Netz" drohe.

Damit hat die Beschwerdeführerin im Hinblick auf das Vorliegen humanitärer Gründe im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG ein detailliertes, substantiiertes und nachvollziehbares Vorbringen erstattet (vgl. dazu wiederum das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0459, mwN). Die belangte Behörde hat dadurch, dass sie zu diesem Vorbringen keine Feststellungen getroffen und darüber hinaus dem "Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland" und der "Integration in Österreich" von vornherein die Eignung als "Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall" abgesprochen hat, die Rechtslage verkannt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0258, mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG unterbleiben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
KAAAE-84331