VwGH vom 27.09.2013, 2011/05/0065
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und den Hofrat Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde der RH in W, vertreten durch Dr. Martin Benning, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 5, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. BOB - 592/10, betreffend eine Kanalangelegenheit (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Magistratsabteilung (kurz: MA) 30 des Magistrats der Stadt Wien erstattete mit Schreiben vom Meldung an die MA 37/22, wonach durchgeführte Erhebungen ergeben hätten, dass eine näher bezeichnete Liegenschaft in Wien nicht an das öffentliche Kanalnetz angeschlossen sei, obwohl eine Anschlussverpflichtung bestehe.
In einem Aktenvermerk vom über eine örtliche Erhebung am ist festgehalten, dass sich sowohl die Beschwerdeführerin als auch ihr Gatte als Eigentümer der Baulichkeit auf der gegenständlichen Liegenschaft erklärt hätten.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am , in deren von der Beschwerdeführerin unterzeichneten Verhandlungsschrift sie und ihr Gatte als Hauseigentümer und dieser als alleiniger Grundeigentümer bezeichnet wurden, erteilte die MA 37 mit Bescheid vom den Eigentümern der Baulichkeit auf der näher bezeichneten Liegenschaft gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes vom , LGBl. für Wien Nr. 22 idgF, den Auftrag, binnen einer Frist von 6 Monaten alle Abwässer mit Ausnahme der Regenwässer unterhalb der Verkehrsfläche in den Straßenkanal zu leiten und innerhalb eines Monats nach Herstellung der Einmündung die Senkgrube zu beseitigen. In der Zustellverfügung dieses Bescheides wurde die Beschwerdeführerin als Hauseigentümerin und ihr Gatte als Haus- und Grundeigentümer bezeichnet.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machten die Beschwerdeführerin und ihr Gatte unter anderem die Verletzung der Manuduktionspflicht und das Nichtvorliegen einer Baubewilligung hinsichtlich des pflichtauslösenden Straßenkanals geltend.
Mit dem angefochtenen Bescheid änderte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid dahingehend ab, dass die Erfüllungsfrist zur Einleitung der Abwässer in den Straßenkanal mit 9 Monaten festgesetzt und der Name des im erstinstanzlichen Spruch angeführten Gesetzes (Gesetz über Kanalanlagen und Einmündungsgebühren) ausgeschrieben wurde. Im Übrigen wies sie die Berufung als unbegründet ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid. In der Zustellverfügung des angefochtenen Bescheides wurde die Beschwerdeführerin wiederum als Hauseigentümerin bezeichnet, ihr Gatte als Haus- und Grundeigentümer.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf "ein Verfahren gemäß den Bestimmungen der §§ 37 ff AVG" sowie im Recht, "als Nicht-Eigentümerin einer Liegenschaft und eines darauf errichteten Hauses nicht zu Handlungen verpflichtet zu werden, zu denen nur der/die EigentümerIn/nen einer Liegenschaft und eines darauf errichteten Hauses verpflichtet werden können", verletzt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Die Beschwerdeführerin replizierte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Zum Beschwerdepunkt der Verletzung im Recht auf "ein Verfahren gemäß den Bestimmungen der §§ 37 ff AVG" ist auszuführen, dass es nach der ständigen hg. Judikatur ein abstraktes Recht auf ein "ordnungsgemäßes Verfahren" bzw. auf Durchführung eines "ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens" nicht gibt (vgl. dazu die bei Steiner in Holoubek/Lang ,
Das verwaltungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen, S. 71, ref. hg. Judikatur).
Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass ihr Gatte und nicht sie Eigentümer der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft sei. Da zur Kanalanschlussherstellung und -erhaltung nur der jeweilige Liegenschafts- bzw. Hauseigentümer verpflichtet werden könne, könne die Beschwerdeführerin nicht zur Kanalanschlusspflicht und Beseitigung der Senkgrube auf der gegenständlichen Liegenschaft herangezogen werden. Die Behörde sei verpflichtet, von Amts wegen den Sachverhalt zu erheben, und hätte sich durch Einsicht in das Grundbuch vergewissern können und müssen, in wessen Eigentum die verfahrensgegenständliche Liegenschaft stehe und wer daher im Verfahren zu beteiligen sei und wer nicht.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin in Wiedergabe des erstinstanzlichen Spruches als Eigentümerin der Baulichkeit bezeichnet, während sie in der Zustellverfügung namentlich "als Hauseigentümerin" angeführt wurde. Dazu sei angemerkt, dass es nach hg. Rechtsprechung (vgl. hiezu das Erkenntnis vom , Zl. 90/05/0231, mwN) zur Bestimmtheit des Bescheidadressaten genügt, wenn die Behörde den Verpflichteten im Spruch zunächst nur abstrakt bezeichnet, dann aber in der Zustellverfügung diejenige physische oder juristische Person benennt, auf welche sich der Spruch bezieht.
Dann, wenn die Baubehörde sich veranlasst sieht, einen Auftrag zur Einleitung von Abwässern in den Kanal gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über Kanalanlagen und Einmündungsgebühren zu erteilen, ist sie verpflichtet, vorher festzustellen, wer Eigentümer der Liegenschaft bzw. des darauf befindlichen Objektes ist. Diese Erhebungen sind von Amts wegen durchzuführen (vgl. die zu baupolizeilichen Aufträgen ergangenen hg. Erkenntnisse vom , Zl. 90/05/0231, und vom , Zl. 2008/06/0097).
Die Verpflichtung zur Herstellung des Hauskanals obliegt gem. § 5 Abs. 2 des Gesetzes über Kanalanlagen und Einmündungsgebühren dem Hauseigentümer. Grundsätzlich fällt ein auf einem Grundstück errichtetes Bauwerk als Zugehör gemäß § 297 ABGB nach dem Grundsatz "superficies solo cedit" in das Eigentum des Grundeigentümers. Hat aber das Bauwerk ein anderer als der Grundeigentümer errichtet und ist es nicht für die Dauer bestimmt, liegt ein Superädifikat vor und wäre ein Auftrag zur Einleitung von Abwässern in den öffentlichen Kanal dem Eigentümer des Superädifikates zu erteilen (vgl. das zu einem Bauauftrag ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/06/0206). Wesentlich für das Vorliegen eines Superädifikates ist das Fehlen der Absicht des Erbauers, dass das Bauwerk stets (d.h. für seine ganze natürliche Lebensdauer) auf diesem fremden Grundstück bleiben soll. Maßgeblich ist dabei der aus der Bauweise, der Art der Benutzung oder der Rechtsgrundlage der Errichtung erkennbare Zweck. Auf die Möglichkeit der Entfernung ohne Substanzverlust kommt es dabei (anders als beim Zugehör gemäß § 294 ABGB) nicht an (vgl. hiezu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/06/0097, und vom , Zl. 2009/05/0137).
Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid - offenbar aufgrund des Aktenvermerks vom , der von der Beschwerdeführerin unterzeichneten Verhandlungsniederschrift vom , des nicht beanstandeten Zustellvermerkes des erstinstanzlichen Bescheides, des Berufungsvorbringens und der in den Verwaltungsakten einliegenden Grundbuchsauszüge - davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin trotz fehlendem Eigentum an der gegenständlichen Liegenschaft Miteigentümerin der darauf errichteten Baulichkeit ist, und hat damit im Ergebnis das Bauwerk als Superädifikat iSd § 435 ABGB qualifiziert.
Der Verwaltungsgerichtshof nimmt in ständiger Judikatur eine allgemeine Pflicht der Parteien an, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen (vgl. dazu z.B. die in Walter/Thienel , Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E 120 und E 125 zu § 39 AVG zitierte Judikatur). Die Mitwirkungspflicht der Parteien, die jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn sie in Verwaltungsvorschriften vorgesehen ist, endet dort, wo es der Behörde auch ohne Mitwirkung der Partei möglich ist, tätig zu werden. Dieser Mitwirkungspflicht steht andererseits der Grundsatz der Amtswegigkeit des Verwaltungsverfahrens gegenüber (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom ). Der sich aus § 37 AVG ergebende Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit bedeutet in Verbindung mit der sich aus § 39 AVG ergebenden Offizialmaxime aber, dass die Behörde nicht an das tatsächliche Parteienvorbringen gebunden ist, sondern vielmehr von sich aus den wahren Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise festzustellen hat. Es ist nach dem AVG nicht möglich, bestimmte Tatsachen dergestalt außer Streit zu stellen, dass die Behörde aufgrund eines bestimmten Parteivorbringens zweckdienliche Ermittlungen überhaupt unterlassen könnte (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/06/0225, mwN).
In Anbetracht dessen durfte die belangte Behörde nicht alleine aufgrund des Aktenvermerks vom , wonach sich die Beschwerdeführerin und ihr Gatte als Eigentümer der Baulichkeit erklärt hätten, und der Nichtbeanstandung der Bezeichnung als Hauseigentümerin in nachfolgenden Schriftstücken davon ausgehen, dass die Beschwerdeführerin Eigentümerin der verfahrensgegenständlichen Baulichkeit ist, zumal der Behörde bekannt sein musste, dass das Auseinanderfallen von Grund- und Hauseigentum - als Ausnahmefall - nur unter bestimmten Voraussetzungen anzunehmen ist. Vielmehr hätte die belangte Behörde von Amts wegen Erhebungen zum tatsächlichen Vorliegen eines Superädifikates iSd zitierten Kriterien veranlassen müssen, nämlich in Form einer Begutachtung der Bauweise des Hauses und/oder einer Befragung der Beschwerdeführerin und ihres Gatten zum ursprünglichen Errichtungszweck des Hauses, zu dessen tatsächlicher Benutzung und zur Rechtsgrundlage dessen Errichtung. Dadurch, dass die Beschwerdeführerin nicht von sich aus hierfür erforderliche Angaben machte bzw. Beweise anbot, hat sie keine Mitwirkungspflicht verletzt, da eine solche erst durch eine entsprechende Aufforderung der Behörde ausgelöst wird (siehe Hengstschläger/Leeb , AVG, § 39 Rz 11). Dem Verwaltungsakt ist nicht zu entnehmen, dass die Frage des Vorliegens eines Superädifikates jemals Thema des behördlichen Ermittlungsverfahrens war.
Liegt keine Verletzung einer Mitwirkungspflicht vor, dann kann der Beschwerdeführerin auch nicht das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot entgegengehalten werden (vgl. die in Walter/Thienel , Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E 215 und E 216 zu § 39 AVG wiedergegebene hg. Judikatur zu den Folgen der Verletzung der Mitwirkungsverpflichtung).
Die Unterlassung der genannten Ermittlungen stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/06/0097), weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am