VwGH vom 11.05.2010, 2008/22/0284
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Nikolaus Schirnhofer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Aspernbrückengasse 4/8a, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 315.536/2- III/4/06, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom wurde ein am gestellter Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 11 Abs. 1 Z. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass "Recherchen der Behörde erster Instanz" ergeben hätten, dass von der Bundesrepublik Deutschland ein Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen worden sei, das zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch aufrecht sei. In Hinblick auf den zwingenden Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z. 2 NAG werde der gegenständliche Antrag daher abgewiesen, wobei auf weitere Einwendungen des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit seinen persönlichen Verhältnissen nicht weiter einzugehen sei.
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 45/07, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat. Über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde das Verfahren über den gegenständlichen, am gestellten Antrag zutreffend gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes - in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006 - zu Ende geführt hat.
Gemäß § 11 Abs. 1 Z. 2 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn gegen ihn ein Aufenthaltsverbot eines anderen EWR-Staates besteht.
Die Beschwerde bringt im Wesentlichen vor, dass der Rechtvertreter des Beschwerdeführers nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides Akteneinsicht genommen habe, wobei sich im Akt kein Hinweis auf ein Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer befunden habe; trotz Aufforderung sei eine derartige Unterlage auch nicht zur Einsicht ausgehändigt worden. Darin liege eine unzulässige Verweigerung der Akteneinsicht und damit ein Verfahrensmangel, der in der Berufung auch ausdrücklich releviert worden sei. Die belangte Behörde habe jedoch dazu keinerlei Stellungnahme abgegeben und insbesondere auch nicht die Akteneinsicht tatsächlich gewährt. Wäre dieser Verfahrensmangel unterblieben, so hätte der Beschwerdeführer darauf hinweisen können, dass ein nach der deutschen Rechtslage allenfalls früher existentes Aufenthaltsverbot mittlerweile weggefallen sei bzw. überhaupt eine Verwechslung stattgefunden habe.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.
Tatsächlich hat der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, der die Abweisung des gegenständlichen Antrags ebenfalls auf ein in Deutschland mit Gültigkeit bis verhängtes Aufenthaltsverbot stützte, vorgebracht, dass der dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am übergebene Verwaltungsakt keinen wie immer gearteten Hinweis auf ein Aufenthaltsverbot eines EWR-Staates gegen den Beschwerdeführer enthalten habe; sollten dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers Aktenbestandteile vorenthalten worden sein, so werde dies als "schwerer unsanierbarer Mangel" - insbesondere wegen Verletzung des Parteiengehörs - gerügt.
Gemäß § 17 Abs. 1 AVG hat die Behörde, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, den Parteien Einsicht in die ihre Sache betreffenden Akten oder Aktenteile zu gestatten; die Parteien können sich davon an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten auf ihre Kosten Kopien anfertigen lassen.
Gemäß § 17 Abs. 3 AVG sind von der Akteneinsicht Aktenbestandteile ausgenommen, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde.
Wird die Akteneinsicht verweigert, so ist in der Begründung des das Verfahren abschließenden Bescheides nachvollziehbar darzulegen, welche Aktenteile davon betroffen sind und welche öffentlichen oder privaten Interessen dies im konkreten Fall rechtfertigen; dies gilt umso mehr, wenn die betreffenden Aktenteile für die (negative) Entscheidung in der Sache (wie etwa hier über einen Aufenthaltstitel) und damit auch für die Rechtsverfolgung durch die Partei wesentlich sind (vgl. Hengstschläger/Leeb , AVG § 17 Rz 11 mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung).
Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides lässt sich allerdings - ungeachtet des wiedergegebenen Berufungsvorbringens - nicht einmal ableiten, ob tatsächlich Teile der den Beschwerdeführer betreffenden Akten von der Akteneinsicht ausgenommen worden sind bzw. - bejahendenfalls - welche Umstände eine Gefährdung welcher Aufgaben der Behörde herbeiführen würden und somit die Verweigerung der Akteneinsicht im konkreten Fall rechtfertigten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 95/19/0778). Auf den Verweigerungstatbestand der Schädigung berechtigter Interessen einer Partei (§ 17 Abs. 3 erster Fall AVG) konnte sich die Behörde in einem Einparteienverfahren wie dem vorliegenden von vornherein nicht berufen (vgl. Hengstschläger/Leeb a.a.O. Rz 10 mit Hinweis auf VwSlg. 6100A/1963).
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde nach dem Beschwerdevorbringen zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am