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VwGH vom 14.10.2008, 2008/22/0265

VwGH vom 14.10.2008, 2008/22/0265

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

2008/22/0267

2008/22/0266

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerden

1. der M Ö, geboren am , 2. des M Ö, geboren am , und 3. der Y Ö, geboren am , alle in W, alle vertreten durch Dr. Lennart Binder, LL.M., Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres 1. vom , Zl. 144.060/3- III/4/06, 2. vom , Zl. 144.060/5-III/4/06 und 3. vom , Zl. 144.060/6-III/4/06, betreffend Niederlassungsbewilligungen, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem erstangefochtenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Feststellungen zu Grunde, dass die Erstbeschwerdeführerin am mit einem bis gültigen Visum der Kategorie C in Österreich eingereist sei und am einen Asylantrag gestellt habe. Das Asylverfahren sei mit Bescheid vom rechtskräftig negativ abgeschlossen worden. Die vorläufige Aufenthaltsberechtigung der Erstbeschwerdeführerin gemäß Asylgesetz sei mit beendet worden.

Die Erstbeschwerdeführerin sei seit durchgehend in Wien gemeldet.

Ihr Vater sei seit im Besitz eines Niederlassungsnachweises und seit in Wien gemeldet. Ein Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet sei bisher weder der Erstbeschwerdeführerin noch ihrer Mutter (der Drittbeschwerdeführerin) oder ihren Geschwistern (darunter der Zweitbeschwerdeführer) erteilt worden.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - nach Wiedergabe der Bestimmungen des § 21 Abs. 1 und 2 NAG - im Wesentlichen aus, die Erstbeschwerdeführerin hätte den gegenständlichen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 NAG im Ausland stellen müssen.

Humanitäre Gründe im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG, die eine Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG ermöglichen würden, lägen nicht vor; nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umfasse Art. 8 EMRK nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates, die Wahl des Familienwohnsitzes durch die verschiedenen Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben. Art. 8 EMRK beinhalte auch nicht das Recht, den geeignetsten Ort für die Entwicklung des Familienlebens zu wählen. Jeder Vertragsstaat habe das Recht, die Einreise von Nichtstaatsangehörigen einer Kontrolle zu unterwerfen. Aus diesen Gründen stelle die bloße Anwesenheit des Vaters der Erstbeschwerdeführerin im Bundesgebiet keinen besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Grund dar.

Das in der Berufung der Erstbeschwerdeführerin ins Treffen geführte Assoziationsabkommen zwischen der EWG und der Türkei finde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nur dann Anwendung, wenn die Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des Mitgliedstaates gestanden habe. Nach der Rechtsprechung des EuGH werde durch Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 die Befugnis eines Mitgliedstaates der EU nicht berührt, "Genehmigungen zum Zuzug von Familienangehörigen von türkischen Arbeitnehmern zu erteilen".

Der Antrag der Erstbeschwerdeführerin werde daher wegen Verletzung des Grundsatzes der Auslandsantragstellung abgewiesen, wobei ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse der Erstbeschwerdeführerin - auch in Hinblick auf Art. 8 EMRK - entbehrlich sei.

2. Mit dem zweitangefochtenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom wurde der Antrag des Zweitbeschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 und 2 NAG abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Feststellungen zu Grunde, dass der Zweitbeschwerdeführer am mit einem bis gültigen Visum der Kategorie C in das Bundesgebiet eingereist sei und am einen Asylantrag gestellt habe. Das Asylverfahren sei mit Bescheid vom rechtskräftig negativ abgeschlossen worden. Die vorläufige Aufenthaltsberechtigung des Zweitbeschwerdeführers gemäß Asylgesetz sei mit beendet worden.

Der Zweitbeschwerdeführer sei seit durchgehend in Wien gemeldet. Sein Vater sei seit in Besitz eines Niederlassungsnachweises und seit in Wien gemeldet. Ein Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet sei bisher weder dem Zweitbeschwerdeführer noch seiner Mutter (der Drittbeschwerdeführerin) oder seinen Geschwistern (darunter die Erstbeschwerdeführerin) erteilt worden.

Hinsichtlich der rechtlichen Ausführungen der belangten Behörde kann auf die Wiedergabe des erstangefochtenen Bescheides (I.1.) verwiesen werden.

3. Mit dem drittangefochtenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom wurde der Antrag der Drittbeschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft, § 20 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 und 2 NAG abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Feststellungen zu Grunde, dass die Drittbeschwerdeführerin am mit einem bis gültigen Visum der Kategorie C in das Bundesgebiet eingereist sei und am einen Asylantrag gestellt habe. Dieses Asylverfahren sei mit Bescheid vom rechtskräftig negativ abgeschlossen worden. Die vorläufige Aufenthaltsberechtigung der Drittbeschwerdeführerin gemäß Asylgesetz sei mit eben diesem Datum beendet worden.

Die Drittbeschwerdeführerin sei vom bis durchgehend in Wien gemeldet gewesen.

Ihr Ehemann (der Vater der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers) sei seit im Besitz eines Niederlassungsnachweises und seit in Wien gemeldet. Ein Aufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet sei bisher weder der Drittbeschwerdeführerin noch ihren Kindern (darunter die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer) erteilt worden.

Hinsichtlich der rechtlichen Ausführungen der belangten Behörde kann wiederum auf die Wiedergabe des erstangefochtenen Bescheides (I.1.) verwiesen werden. Die belangte Behörde führte weiters aus, dass - soweit die Drittbeschwerdeführerin in ihrer Berufung unter dem Aspekt humanitärer Gründe im Sinn des § 72 NAG ins Treffen führe, dass eine Trennung ihrer Person von ihren Kindern und ihrem Ehemann nicht vorstellbar wäre - festzuhalten sei, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs eine Ehe mit einem zum unbefristeten Aufenthalt in Österreich berechtigten Fremden keinen Grund für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinn des § 10 Abs. 4 Fremdengesetz (FrG) darstelle. § 10 Abs. 4 FrG entspreche § 72 Abs. 1 NAG.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden mit den Anträgen, die Bescheide wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Beschwerden nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde die gegenständlichen Anträge zutreffend nach den Bestimmungen des am in Kraft getretenen NAG (§ 82 Abs. 1 NAG) beurteilt hat, weil nach dessen § 81 Abs. 1 Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei In-Kraft-Treten des NAG anhängig waren, nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen sind.

Die Beschwerdeführer bestreiten - in ihren im Wesentlichen gleichlautenden Beschwerden - nicht, dass ihre Asylanträge rechtskräftig abgewiesen wurden, und wenden sich nicht gegen die behördliche Annahme, dass es sich bei den gegenständlichen Anträgen um Erstanträge im Sinn des § 21 Abs. 1 NAG (vgl. § 2 Abs. 1 Z. 13 NAG) handelt und dass die Anträge - entgegen dieser Bestimmung - im Inland gestellt wurden und die Entscheidung darüber nicht im Ausland abgewartet wurde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2006/21/0116). Auf aufenthaltsberechtigt gewesene ehemalige Asylwerber ist allerdings das Erfordernis der Auslandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 1 NAG uneingeschränkt anzuwenden; sie können sich insbesondere nicht auf die Ausnahmebestimmung des § 21 Abs. 2 Z. 2 NAG berufen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2007/21/0102).

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0264). Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 246, 247/07 u.a.).

§ 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2006/18/0153, sowie das bereits angeführte hg. Erkenntnis vom ).

Die Beschwerden führen als humanitäre Gründe in diesem Sinn ins Treffen, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer die Kinder, die Drittbeschwerdeführerin die Ehefrau des seit Jahren in Österreich rechtmäßig niedergelassenen und im österreichischen Arbeitsmarkt integrierten A.Ö. seien. Diesem Vorbringen ist allerdings nicht zu entnehmen, dass ein besonderer Ausnahmefall vorliegen würde, der eine rasche bzw. sofortige Familienzusammenführung zur Abwendung eines unzulässigen Eingriffs in ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Recht auf Familienleben erforderte, und dass die Beschwerdeführer in ihren durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechten verletzt würden, wenn sie die Entscheidung über einen gemäß § 21 Abs. 1 NAG grundsätzlich im Ausland zu stellenden Antrag auf Familienzusammenführung im Ausland abwarten müssten.

Auch das Beschwerdevorbringen, dass A. Ö. die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zugesichert worden sei - was im Übrigen im Administrativverfahren gar nicht vorgebracht worden ist (§ 41 Abs. 1 VwGG) - , vermag einen berücksichtigungswürdigen humanitären Grund im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG nicht darzutun (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , 2007/21/0546).

Soweit sich die Beschwerden auf den Beschluss Nr. 1/80 des aufgrund des Assoziationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates vom (im Folgenden: ARB Nr. 1/80) berufen, so setzt - worauf die belangte Behörde zu Recht hingewiesen hat - eine Berechtigung etwa nach Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position eines türkischen Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt des EU-Mitgliedstaats voraus; während der in Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 genannten Zeiträume muss sowohl die Beschäftigung des betroffenen türkischen Arbeitnehmers im Einklang mit den arbeitserlaubnisrechtlichen als auch sein Aufenthalt mit den nicht nur eine vorübergehende Position sichernden aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates gestanden sein (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2006/18/0134). Eine nach Art. 7 ARB Nr. 1/80 geschützte Rechtsposition der Beschwerdeführer kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil diese jeweils mit einem Visum C in das Bundesgebiet eingereist sind und dieser Einreisetitel keine Genehmigung im Sinn des Art. 7 ARB Nr. 1/80 darstellt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2006/18/0158).

Soweit die Beschwerden mit Blick auf das Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vermeinen, es bedeute eine unzulässige Diskriminierung, die Familienzusammenführung einer türkischen Familie an andere Voraussetzungen als für "andere EU-Bürger" geltend zu knüpfen, so ist dem schlicht zu erwidern, dass das angeführte Assoziationsabkommen gerade keine völlige Gleichstellung türkischer Staatsangehöriger mit Unionsbürgern bewirkt hat, wie dies unzweifelhaft aus dem - die Familienangehörigen betreffenden -

Art. 7 ARB hervorgeht.

Ebensowenig ist der Vater der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers bzw. Ehemann der Drittbeschwerdeführerin aufgrund der - im Administrativverfahren gar nicht behaupteten (§ 41 Abs. 1 VwGG) - Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft einem Unionsbürger gleichzuhalten; schon aus diesem Grund sind - entgegen der in den Beschwerden vertretenen Auffassung - weder die Grundfreiheit des freien Personenverkehrs in der Ausformung als Freizügigkeit der Arbeitnehmer noch die einschlägige Richtlinie 2004/38/EG auf die Beschwerdeführer anzuwenden.

Die Abweisung der gegenständlichen Anträge gemäß § 21 Abs. 1 und 2 NAG durch die belangte Behörde erweist sich somit als unbedenklich, weshalb die vorliegenden Beschwerden gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen waren.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am