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VwGH vom 19.09.2012, 2008/22/0243

VwGH vom 19.09.2012, 2008/22/0243

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der D, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 150.207/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den von der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, am gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem österreichischen Ehemann gemäß § 11 Abs. 1 Z. 4 und § 30 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde darauf ab, die Beschwerdeführerin habe am einen österreichischen Staatsbürger in der Türkei geheiratet und erstmals am einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung über das Österreichische Generalkonsulat Istanbul eingebracht. Ermittlungen hätten im Jahr 2002 ergeben, dass die Ehe nur zu dem Zweck eingegangen worden wäre, damit die Beschwerdeführerin ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet erhalten könnte. (Mit Bescheid vom wurde der erste Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung rechtskräftig abgewiesen, weil ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nie geführt worden sei. Der weitere (also zweite) diesbezügliche Antrag vom wurde von der erstinstanzlichen Behörde mit Bescheid vom wegen entschiedener Sache rechtskräftig zurückgewiesen.)

Der Behauptung der Beschwerdeführerin im nunmehrigen (dritten) Antrag vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sowie in der gegen die erstinstanzliche Abweisung erhobenen Berufung vom , ein "ordentliches Familienleben" zu führen, könne nicht gefolgt werden, weil der Ehemann der Beschwerdeführerin bereits durch seine Aussage vom schlüssig und nachvollziehbar das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestätigt habe. Den von der Beschwerdeführerin vorgelegten türkischen Einreisesichtvermerken ihres Ehemanns könne entnommen werden, dass in den Jahren 2003 und 2006 jeweils eine Aufenthaltsdauer von 30 Tagen möglich gewesen wäre. Bei dieser Zeitspanne könne keinesfalls von einem Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK ausgegangen werden. Der Landeshauptmann von Wien habe am die Bundespolizeidirektion Wien über den Verdacht des Vorliegens einer Aufenthaltsehe verständigt, was von dieser bestätigt worden sei. Wegen des Vorliegens einer Aufenthaltsehe sei die Erteilung eines Aufenthaltstitels zwingend zu versagen, ohne eine Abwägung im Sinne des Art. 8 EMRK vornehmen zu müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Im vorliegenden Beschwerdefall kommt das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2008 zur Anwendung.

Die Beschwerdeführerin bestreitet das Vorliegen einer Aufenthaltsehe und bringt - wie schon in der Berufung - vor, auf Grund ihrer neuen Antragstellung wäre eine neuerliche Überprüfung dieses Vorwurfs erforderlich gewesen. Es sei nachweisbar, dass ihr Ehemann als selbständiger Techniker dauernd im Ausland - auch in der Türkei - seinen Geschäften nachgehe, die Beschwerdeführerin in der Türkei immer wieder besuche und sie ein Familienleben im Ausland führten.

Eine Aufenthaltsehe im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG liegt dann vor, wenn sich ein Fremder für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels auf eine von ihm geschlossene Ehe beruft, er in diesem Zeitpunkt jedoch kein gemeinsames Familienleben mit seinem Ehegatten im Sinn des Art. 8 EMRK führt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/18/0039). § 30 Abs. 1 NAG stellt also bloß auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Nichtführen eines Familienlebens und dem Berufen auf ein nicht geführtes Familienleben ab (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0391).

Wenn nun die belangte Behörde in ihrer Begründung tragend auf die Aussage des Ehemanns der Beschwerdeführerin vom abstellt, nimmt sie zu Unrecht weder auf den Zeitpunkt bedacht, in dem sich die Beschwerdeführerin zur Erteilung des Aufenthaltstitels auf die Ehe beruft, weil der hier zu beurteilende Antrag erst am gestellt wurde, noch auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides.

Angesichts der von der belangten Behörde unterstellten Möglichkeit, dass sich der Ehemann der Beschwerdeführerin in den Jahren 2003 und 2006 30 Tage lang in der Türkei aufhielt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass er mit der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bzw. der Erlassung des angefochtenen Bescheides ein gemeinsames Familienleben führte. Darüber hinaus könnte das Fehlen eines gemeinsamen Haushalts oder eines gemeinsamen Wohnsitzes zwischen Ehegatten nicht per se zu der Annahme führen, es fehle das in § 30 Abs. 1 NAG angesprochene gemeinsame Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK. Beantragt ein Fremder die Erteilung eines Erstaufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung mit seinem Ehegatten, ist vielmehr seine Absicht entscheidend, wie der angestrebte Titel zu nutzen sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0177, mwN). Auch dazu fehlen begründete Feststellungen im angefochtenen Bescheid.

Schließlich reicht ein bloßer Verweis auf eine Mitteilung der Bundespolizeidirektion Wien nicht aus, um die Annahme einer Aufenthaltsehe begründen zu können (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0759). Hinzu kommt, dass die im angefochtenen Bescheid behauptete Bestätigung des Vorliegens einer Aufenthaltsehe im Verwaltungsakt (Blatt 143) keine ausreichende Deckung findet.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen vorrangig wahrzunehmender Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am