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VwGH vom 13.12.2011, 2008/22/0220

VwGH vom 13.12.2011, 2008/22/0220

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der Z in Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 317.087/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Stiefvater gemäß § 21 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG ab.

Begründend führte sie aus, dass die Beschwerdeführerin im Jahr 2002 illegal in das Bundesgebiet eingereist sei. Danach sei sie im österreichischen Bundesgebiet geblieben, obwohl sie über keinen Aufenthaltstitel verfügt habe. Am habe ihre Mutter einen österreichischen Staatsbürger geheiratet. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom (richtig: Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom ) sei gegen diese wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe ein für die Dauer von zehn Jahren gültiges Aufenthaltsverbot erlassen worden.

Das Verfahren über den Antrag der Beschwerdeführerin sei nach Inkrafttreten des NAG mit nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen; die Entscheidung sei im Ausland abzuwarten. Die Beschwerdeführerin erfülle keine der für die Inlandsantragstellung genannten Voraussetzungen gemäß § 21 Abs. 2 NAG.

Fest stehe, dass die Beschwerdeführerin den Antrag durch ihren Rechtsvertreter gestellt habe und sich vor, während und nach der Antragstellung illegal in Österreich aufgehalten habe. Seit dem liege eine durchgehende polizeiliche Meldung in Österreich vor.

Ein im Inland gestellter Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung könne (gemäß § 74 iVm § 72 NAG) aus besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründen von Amts wegen zugelassen werden. Der Antrag der Beschwerdeführerin sowie ihre Berufung enthielten aber keine Behauptung humanitärer Gründe, solche seien auch nicht gegeben.

Der bloße Umstand, dass der Stiefvater der Beschwerdeführerin österreichischer Staatsbürger sei, begründe noch kein Aufenthaltsrecht. Darüber hinaus sei gegen ihre Mutter ein Aufenthaltsverbot wegen Aufenthaltsehe erlassen worden, weshalb die Beschwerdeführerin gar keinen Aufenthaltstitel mehr von ihrem österreichischen Stiefvater ableiten könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde den vorliegenden, noch bei Geltung des Fremdengesetzes 1997 - FrG gestellten Antrag zutreffend nach den Bestimmungen des am in Kraft getretenen NAG beurteilt hat (§ 81 Abs. 1 iVm § 82 Abs. 1 NAG).

Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin entgegen dem für Erstanträge geltenden § 21 Abs. 1 NAG die Entscheidung über ihren Antrag nicht im Ausland abgewartet hat. Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt im vorliegenden Fall aber nur gemäß § 74 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinne dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0197, mwN).

Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, die eine fremdenpolizeiliche Maßnahme auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom , mwN).

Im Verwaltungsverfahren hat die Beschwerdeführerin keine humanitären Gründe vorgebracht, in der Beschwerde verweist sie unter diesem Gesichtspunkt auf ihren fünfjährigen Aufenthalt sowie darauf, dass sie für die Situation ihrer Mutter, mit der sie (noch als Minderjährige) eingereist sei, nicht verantwortlich gemacht werden könne und in Österreich "vollkommen integriert" sei.

Das Vorbringen in der Beschwerde unterliegt grundsätzlich dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG). Den mehrjährigen (wenn auch illegalen) Aufenthalt der Beschwerdeführerin hätte die belangte Behörde zwar auch von Amts wegen berücksichtigen und in die von ihr vorzunehmende Interessenabwägung einbeziehen müssen. Diese Aufenthaltsdauer wäre aber fallbezogen nicht geeignet gewesen, einen aus Art. 8 EMRK resultierenden Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels und damit eine Verpflichtung der belangten Behörde, die Inlandsantragstellung nach § 74 NAG zuzulassen, zu begründen, zumal die offenbar wichtigste familiäre Bezugsperson der Beschwerdeführerin - ihre Mutter - selbst über keinen Aufenthaltstitel verfügte (dies ungeachtet dessen, dass der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde betreffend das gegen sie erlassene Aufenthaltsverbot - das schließlich mit hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0027, bestätigt wurde - zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aufschiebende Wirkung zukam). Dass - trotz der im Aufenthaltsverbotsverfahren festgestellten Aufenthaltsehe - ein gemeinsames Familienleben der Beschwerdeführerin mit ihrem österreichischen Stiefvater bestehe, wurde nicht behauptet. Es besteht somit im vorliegenden Fall von vornherein kein Grund zur Annahme, dass dieser sich infolge der Versagung des von der Beschwerdeführerin beantragten Aufenthaltstitels de facto gezwungen sähe, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, womit ihm die Inanspruchnahme des Kernbestands der durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte verwehrt wäre, sodass die Verweigerung des Aufenthaltsrechts der Beschwerdeführerin dem Unionsrecht widersprechen würde (vgl. dazu das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom , C-256/11 - Dereci u.a., insbesondere Randnr. 64 ff).

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
IAAAE-84135