VwGH vom 10.11.2010, 2008/22/0194
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des Z, vertreten durch Mag. Dr. Gerald Scholz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Johannesgasse 2/36 A, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 148.697/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) einen vom Beschwerdeführer, einem tunesischen Staatsangehörigen, am persönlich bei der Bundespolizeidirektion Wien gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.
Die belangte Behörde legte dieser Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer bereits im Jahr 1993 illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und sich seither durchgehend hier aufhalte. Am habe er in Wien eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet, mit der er - nach seinen eigenen Angaben - drei gemeinsame Kinder habe. (Nach im Verwaltungsakt ersichtlichen Geburtsurkunden ist der Beschwerdeführer jedenfalls Vater zweier 1998 und 2001 geborener ehelicher Töchter).
Seit sei der Beschwerdeführer an einer Adresse in Wien 5 aufrecht gemeldet; er sei noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels gewesen.
In seiner Berufung gegen den Bescheid erster Instanz (mit dem der gegenständliche Antrag gemäß § 11 Abs. 1 Z. 1 NAG wegen eines mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom verhängten Aufenthaltsverbotes abgewiesen worden war) habe der Beschwerdeführer eingewendet, dass das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot mit Bescheid vom aufgehoben worden sei. (Tatsächlich wurde - nach Ausweis der Verwaltungsakten - das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot vom mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom unter besonderem Hinweis auf die familiären Bindungen des Beschwerdeführers im österreichischen Bundesgebiet und "in Würdigung der damit verbundenen Integration" aufgehoben.)
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe von § 82 Abs. 1, § 81 Abs. 1, § 21 Abs. 1 und 2, §§ 74 und 72 Abs. 1 NAG - im Wesentlichen aus, dass das Verfahren über den vorliegenden Antrag nach dem am in Kraft getretenen NAG zu Ende zu führen sei. Auf den Antrag sei § 21 Abs. 1 NAG anzuwenden, weil der Beschwerdeführer keine der in § 21 Abs. 2 NAG genannten Voraussetzungen für eine Inlandsantragstellung erfülle.
Obwohl der Beschwerdeführer humanitäre Gründe gemäß § 72 NAG nicht geltend gemacht habe, sei eine Überprüfung in dieser Hinsicht von Amts wegen durchgeführt worden. Die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin allein stelle allerdings "noch kein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht" dar. Im vorliegenden Fall sei kein ausreichender besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben, sodass eine Inlandsantragstellung auch nicht gemäß § 74 NAG von Amts wegen zugelassen werde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der gegenständliche, noch vor dem Außer-Kraft- Treten des Fremdengesetzes 1997 - FrG mit gestellte Antrag - wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat - nach den Bestimmungen des am in Kraft getretenen NAG zu beurteilen ist (§ 82 Abs. 1 und § 81 Abs. 1 NAG).
Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass der Beschwerdeführer noch nie über einen Aufenthaltstitel für die Republik Österreich verfügt hat. Gegen die behördliche Annahme, dass es sich bei dem vorliegenden Antrag vom um einen Erstantrag handle (vgl. § 2 Abs. 1 Z. 11 bis 13 NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 157/2005), bestehen daher keine Bedenken.
Dem in § 21 Abs. 1 NAG verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend hätte der Beschwerdeführer daher an sich nach dem In-Kraft-Treten des NAG die Entscheidung über seinen Antrag im Ausland abwarten müssen, zumal keiner der Ausnahmetatbestände des § 21 Abs. 2 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) vorliegt.
Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG (jeweils in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0287, mwN).
Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, welche die fremdenpolizeiliche Maßnahme auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom , mwN).
Dabei aber hat die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage nicht berücksichtigt, dass das von der Bundespolizeidirektion Wien am erlassene Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid derselben Behörde vom aufgehoben wurde, wobei sich nach der Begründung dieses Bescheides gerade die familiären Bindungen des Beschwerdeführers und die damit verbundene Integration als maßgeblich für diese Entscheidung darstellen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, folgt aus dem engen Zusammenhang der Berücksichtigung humanitärer Gründe im Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung und im Niederlassungsverfahren eine Verknüpfung, die das Ergebnis der Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK im aufenthaltsbeendenden Verfahren auch für die auf Art. 8 EMRK gestützte Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung jedenfalls bei gleichgebliebenen Umständen als relevant erscheinen lässt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/22/0042, mwN).
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Pauschalbetrag nach § 1 Z. 1 lit. a dieser Verordnung die Umsatzsteuer bereits umfasst.
Wien, am
Fundstelle(n):
UAAAE-84076