VwGH vom 18.02.2010, 2008/22/0178
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des Y, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 148.425/2-III/4/06, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) einen Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 11 Abs. 2 Z. 4 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers, eine österreichische Staatsbürgerin, (von der Firma I.) ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.003,27 bzw. - unter Berücksichtigung des 13. und 14. Monatsgehaltes - EUR 1.170,-
- beziehe. An Miete habe die Ehefrau EUR 408,18 zu bezahlen.
Hinsichtlich eines weiteren in der Berufung ins Treffen geführten Dienstverhältnisses ("F. Buffet", Dienstgeber E.H.) hätten "Recherchen" der belangten Behörde ergeben, dass dieses mit beendet worden sei und somit nur das bereits angeführte Einkommen zur Verfügung stehe.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe der Bestimmungen des § 11 Abs. 2 Z. 4, Abs. 3 und Abs. 5 NAG - im Wesentlichen aus, dass nach dem gemäß § 11 Abs. 5 NAG heranzuziehenden Richtsatz des § 293 ASVG für ein Ehepaar, das im gemeinsamen Haushalt lebe, Unterhaltsmittel von EUR 1.091,14 zur Verfügung stehen müssten. Nach Abzug des Wertes der "freien Station" in Höhe von aktuell EUR 235,15 von den Mietbelastungen der Ehefrau des Beschwerdeführers verbleibe ein Betrag von EUR 173,03, der zu den erforderlichen Unterhaltsmitteln hinzugezählt werden müsse. Insgesamt müssten somit der Beschwerdeführer und seine Ehefrau über mindestens EUR 1.264,17 an monatlichen Unterhaltsmitteln verfügen.
Auf Grund des festgestellten Einkommens der Ehefrau habe der Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel nicht erbracht werden können; es sei daher sehr wahrscheinlich, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich zur finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen werde, weshalb dem Beschwerdeführer gemäß § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG kein Aufenthaltstitel erteilt werden könne.
Ein Aufenthaltstitel könne dem Beschwerdeführer aber auch nicht gemäß § 11 Abs. 3 NAG erteilt werden, weil dieser mangels Aufenthaltsrechtes in Österreich hier noch kein Privat- oder Familienleben geführt habe, sodass auch nicht von einer Aufrechterhaltung eines Privat- oder Familienlebens gesprochen werden könne.
Auch aus der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, könne der Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht nicht ableiten, weil er die dort festgelegten Voraussetzungen nicht erfülle.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die Beschwerde macht (unter anderem) einen Verfahrensmangel geltend und führt dazu aus, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Ermittlungsergebnisse, wonach das Dienstverhältnis mit E.H. mit beendet worden sei, entgegen § 45 Abs. 3 AVG nicht zur Kenntnis gebracht habe. Hätte die Behörde dem Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang Parteiengehör eingeräumt, so hätte dieser durch Urkundenvorlage nachweisen können, dass seine Ehefrau einen weiteren Zusatzverdienst von EUR 341,16 aufweise und daher über ein Einkommen weit über dem Richtsatz des § 293 Abs. 1 lit. a ASVG verfüge.
Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:
In seiner Berufung gegen den Erstbescheid brachte der Beschwerdeführer vor, dass seine Ehefrau neben dem von der belangten Behörde festgestellten Einkommen aus einer Beschäftigung bei der Firma I. über ein weiteres Einkommen von rund EUR 330,-- aus einer Beschäftigung beim "F. Buffet" verfüge.
Die belangte Behörde holte in diesem Zusammenhang einen Versicherungsdatenauszug zur Ehefrau des Beschwerdeführers ein, aus dem sich ein Ende deren Beschäftigungsverhältnisses zu E.H. mit ergibt, hielt dieses Beweisergebnis dem Beschwerdeführer allerdings nicht vor (Gegenteiliges hat die belangte Behörde auch im verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren nicht behauptet), um darauf dennoch die oben wiedergegebene, zentrale Feststellung des angefochtenen Bescheides zu stützen.
Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Die Bestimmung soll gewährleisten, dass dem Bescheid keine der Partei unbekannten Tatsachen und Beweismittel zugrunde gelegt werden; der darin verankerte Grundsatz des Parteiengehörs umfasst nach der hg. Rechtsprechung ein so genanntes Überraschungsverbot (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2002/06/0173; Hengstschläger/Leeb , AVG § 45 Rz 27).
Gemäß § 67 iVm § 56 sowie §§ 37 und 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien im Berufungsverfahren in gleicher Weise Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Eine diesbezügliche Verpflichtung besteht für die Berufungsbehörde unter anderem dann, wenn sie ein Ermittlungsverfahren durchführt. Diesfalls hat sie den Parteien die beabsichtigten Ergänzungen des maßgeblichen Sachverhalts vorzuhalten und ihnen Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern ( Hengstschläger/Leeb a.a.O. Rz 38 mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung).
Diese Verpflichtung zur Gewährung von Parteiengehör hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall verletzt, wodurch sie den angefochtenen Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet hat, dem nach dem Beschwerdevorbringen auch Relevanz zukommt.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Da der Beschwerdeführer an Schriftsatzaufwand weniger, zuzüglich der verzeichneten, aber nicht gesondert zuzusprechenden Umsatzsteuer aber mehr als den - zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde - zulässigen Höchstbetrag begehrt hat, gebührt ihm Aufwandersatz in der verordneten Höhe (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2003/07/0096, VwSlg. 16905A).
Wien, am
Fundstelle(n):
ZAAAE-84044