VwGH vom 10.06.2015, 2013/11/0248

VwGH vom 10.06.2015, 2013/11/0248

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2013/11/0090 E

Ra 2015/11/0023 E

2013/11/0091 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz in 1010 Wien, Stubenring 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-LF-13-0007, betreffend Übertretungen des AZG (mitbeteiligte Partei: M G in H, vertreten durch Dr. Christian Függer, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Josefstraße 1/I), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Ausspruch zu den Spruchpunkten 2., 4. und 5. des Straferkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld (BH) vom wurden über die Mitbeteiligte als gemäß § 9 Abs. 1 VStG nach außen zur Vertretung berufenes Organ einer näher bezeichneten Gesellschaft Geldstrafen wegen Verstößen gegen arbeitszeitrechtliche Vorschriften verhängt.

Konkret habe die Mitbeteiligte als Vertreterin des Arbeitgebers zu verantworten, dass - soweit hier von Relevanz - jeweils ein namentlich genannter Arbeitnehmer, welcher ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug im innerstaatlichen Verkehr zur Güterbeförderung gelenkt habe,


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(Spruchpunkt 2.) die höchstzulässige Tageslenkzeit von 10 Stunden um 1 Stunde und 37 Minuten überschritten habe (die Tageslenkzeit habe am um 05.53 Uhr begonnen und am um 10.00 Uhr geendet, somit 11 Stunden und 37 Minuten gedauert)
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(Spruchpunkt 4.) die tägliche Ruhezeit von mindestens 9 ununterbrochenen Stunden um 2 Stunden und 18 Minuten verkürzt habe (konkret habe die tägliche Ruhezeit im 24-Stundenzeitraum, nämlich im Zeitraum von um 03.18 Uhr bis um 03.18 Uhr, nur 6 Stunden und 42 Minuten gedauert) und
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(Spruchpunkt 5.) die höchstzulässige Einsatzzeit um 2 Stunden und 18 Minuten überschritten habe (konkret habe die Einsatzzeit am von 03.18 Uhr bis 20.36 Uhr insgesamt 17 Stunden und 18 Minuten gedauert).
Die Mitbeteiligte habe dadurch (zu Spruchpunkt 2.) gegen Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006, (zu Spruchpunkt 4.) gegen Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 und (zu Spruchpunkt 5.) gegen § 16 Abs. 3 AZG verstoßen, weshalb unter Anwendung näher bezeichneter Bestimmungen des § 28 AZG Geldstrafen zwischen EUR 113,-- und EUR 330,-- verhängt wurden.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Mitbeteiligten insoweit Folge, als sie - soweit hier relevant - Spruchpunkt 2. aufhob und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einstellte und bezüglich der Spruchpunkte 4. und 5. von einer Bestrafung absah und gemäß § 45 Abs. 1 VStG eine Ermahnung erteilte.
Gegen diesen Bescheid, soweit er die genannten Spruchpunkte 2., 4. und 5. des Straferkenntnisses betrifft, richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift. Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift.
Mit Schriftsatz vom verwies die beschwerdeführende Partei auf das Amtsblatt der Europäischen Union L 101 vom betreffend Berichtigung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006.


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Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.
Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend um keinen Übergangsfall nach dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
2.
Zu Spruchpunkt 2. (Tageslenkzeit - tägliche Lenkzeit):

2.1. Die belangte Behörde begründete die Einstellung des Strafverfahrens bezüglich des genannten Tatvorwurfes der Überschreitung der höchstzulässigen Tageslenkzeit wie folgt:

"Im Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 ist nicht mehr wie im Spruchpunkt 2. angeführt die 'Tageslenkzeit' zu berücksichtigen, sondern die 'tägliche Lenkzeit'. Die Tageslenkzeit kann definitionsgemäß über den 24-Stunden-Zeitraum hinausgehen. Die tägliche Lenkzeit ist jedoch nur im 24-Stunden-Zeitraum zu berücksichtigen, sodass die Verwaltungsübertretung im Spruchpunkt 2. spruchgemäß einzustellen war."

2.2. Die beschwerdeführende Partei vertritt unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 und Art. 4 lit. k der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 die Rechtsansicht, dass, anders als die belangte Behörde meine, den in diesen Bestimmungen verwendeten Begriffen "Tageslenkzeit" und "tägliche Lenkzeit" keine unterschiedliche Bedeutung zukomme. Vielmehr sei der in Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 verwendete Begriff "tägliche Lenkzeit" im Sinne der Definition "Tageslenkzeit" in Art. 4 lit. k dieser Verordnung auszulegen, woraus sich ergebe, dass gegenständlich sehr wohl eine Überschreitung der höchstzulässigen täglichen Lenkzeit von 10 Stunden gemäß Art. 6 Abs. 1 der genannten Verordnung vorliege.

2.3. Die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des europäischen Parlaments und des Rates vom zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates - im Folgenden kurz: Verordnung - lautet auszugsweise:

"Artikel 1

Durch diese Verordnung werden Vorschriften zu den Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen und Ruhezeiten für Kraftfahrer im Straßengüter- und -personenverkehr festgelegt, um die Bedingungen für den Wettbewerb zwischen Landverkehrsträgern, insbesondere im Straßenverkehrsgewerbe, anzugleichen und die Arbeitsbedingungen sowie die Straßenverkehrssicherheit zu verbessern. Ziel dieser Verordnung ist es ferner, zu einer besseren Kontrolle und Durchsetzung durch die Mitgliedstaaten sowie zu einer besseren Arbeitspraxis innerhalb des Straßenverkehrsgewerbes beizutragen.

...

Artikel 4

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

...

k) 'Tageslenkzeit' die summierte Gesamtlenkzeit zwischen dem Ende einer täglichen Ruhezeit und dem Beginn der darauf folgenden täglichen Ruhezeit oder zwischen einer täglichen und einer wöchentlichen Ruhezeit;

...

Artikel 6

(1) Die tägliche Lenkzeit darf 9 Stunden nicht überschreiten. Die tägliche Lenkzeit darf jedoch höchstens zweimal in der Woche auf höchstens 10 Stunden verlängert werden.

..."

2.4. Das ABl. L 101 der Europäischen Union vom betreffend die Berichtigung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates, lautet auszugsweise:

"...

Seite 5, Artikel 4 Buchstabe k:

anstatt:

'k) 'Tageslenkzeit' die summierte Gesamtlenkzeit zwischen dem Ende einer täglichen Ruhezeit und dem Beginn der darauf folgenden täglichen Ruhezeit oder zwischen einer täglichen und einer wöchentlichen Ruhezeit;'

muss es heißen:

'k) 'tägliche Lenkzeit' die summierte Gesamtlenkzeit zwischen dem Ende einer täglichen Ruhezeit und dem Beginn der darauf folgenden täglichen Ruhezeit oder zwischen einer täglichen und einer wöchentlichen Ruhezeit;'

..."

2.5. Das Arbeitszeitgesetz, BGBl. Nr. 461/1969 in der im Tatzeitpunkt maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 93/2010 (AZG), lautet auszugsweise:

"§ 28.

...

(5) Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die

1. Lenker über die gemäß Art. 6 Abs. 1 bis 3 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 zulässige Lenkzeit hinaus einsetzen;

...

sind, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe gemäß Abs. 6 zu bestrafen.

(6) Sind Übertretungen gemäß Abs. 5 nach Anhang III der Richtlinie 2006/22/EG als

1. leichte Übertretungen eingestuft oder in diesem Anhang nicht erwähnt, sind die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber

a) in den Fällen der Z 1 bis 7 mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 1 815 Euro, im Wiederholungsfall von 145 Euro bis 1 815 Euro,

...

2. schwerwiegende Übertretungen eingestuft, sind die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit einer Geldstrafe von 200 Euro bis 2 180 Euro, im Wiederholungsfall von 250 Euro bis 3 600 Euro;

3. sehr schwerwiegende Übertretungen eingestuft, sind die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit einer Geldstrafe von 300 Euro bis 2 180 Euro, im Wiederholungsfall von 350 Euro bis 3 600 Euro,

zu bestrafen."

2.5. Der Aufhebung des Spruchpunktes 2. des Straferkenntnisses durch die belangte Behörde liegt die Rechtsansicht zugrunde, dass die in Art. 6 Abs. 1 der Verordnung begrenzte "tägliche Lenkzeit" nicht mit der "Tageslenkzeit" im Sinne des Art. 4 lit. k der Verordnung gleichzusetzen sei, sondern nur den "24-Stunden-Zeitraum" (offensichtlich gemeint: den Zeitraum von 0.00 bis 24.00 Uhr des jeweiligen Kalendertages) erfasse. Ausgehend davon gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich des angelasteten Tattages eine Überschreitung der höchstzulässigen täglichen Lenkzeit von 10 Stunden (Art. 6 Abs. 1 der Verordnung) nicht vorliege, zumal an diesem Tag die Lenkzeit gemäß Tatanlastung um 10.00 Uhr geendet habe.

Die Amtsbeschwerde vertritt demgegenüber den Standpunkt, dass die "tägliche Lenkzeit" in Art. 4 lit. k der Verordnung ("Tageslenkzeit") definiert sei und demgemäß im vorliegenden Fall auch die unmittelbar vor dem , 0.00 Uhr, absolvierte Lenkzeit zu berücksichtigen sei, sodass sich gegenständlich in Summe eine Überschreitung der höchstzulässigen täglichen Lenkzeit von 10 Stunden ergebe.

2.6. Der belangten Behörde ist zwar zuzugestehen, dass die unterschiedliche Wortwahl (auf die im Folgenden noch einzugehen ist) einerseits in Art. 6 Abs. 1 ("tägliche Lenkzeit") und andererseits in Art. 4 lit. k der Verordnung ("Tageslenkzeit") in der Fassung vor der zitierten Berichtigung zumindest auf den ersten Blick ein Indiz dafür gibt, dass die beiden in Rede stehenden Begriffe nicht gleichzusetzen seien.

Freilich spricht aber schon das Ziel der Vorschrift, sowohl unter sozialen Gesichtspunkten als auch im Hinblick auf die allgemeine Straßenverkehrssicherheit die maximale Lenkzeit pro Tag zu begrenzen, um u.a. angemessene Ruhepausen zu garantieren (vgl. den Erwägungsgrund 17 der Verordnung), dagegen, als Lenkzeit nur jene ab 0.00 Uhr des jeweiligen Tages (in den Worten der belangten Behörde: "im 24-Stunden-Zeitraum") gefahrenen Zeiten zu berücksichtigen und unmittelbar davor liegende Lenkzeiten, nur weil sie am vorhergehenden Kalendertag lagen, auszublenden.

2.7. Zu berücksichtigen ist weiters, dass der Verordnungsgeber in Art. 4 lit. k der Verordnung (in der Fassung vor der Berichtigung) den Begriff "Tageslenkzeit" definiert, diesen aber in der Folge in der Verordnung nicht mehr verwendet. Da nicht unterstellt werden kann, dass die Verordnung überflüssige Legaldefinitionen beinhaltet, spricht einiges dafür, dass die Definition "Tageslenkzeit" auch den in Art. 6 Abs. 1 verwendeten Begriff "tägliche Lenkzeit" erfasst. Dafür spricht insbesondere auch Erwägungsgrund 13 der Verordnung, wonach "alle wesentlichen Begriffe" der Verordnung umfassend definiert werden sollen (folgte man hingegen der Auslegung der belangten Behörde, so wäre, zumindest bis zur Berichtigung der Verordnung, der Begriff "tägliche Lenkzeit" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 nicht definiert).

2.8. Entscheidend ist im vorliegenden Fall aber vor allem, dass bei der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften auch die anderen Sprachfassungen zu berücksichtigen sind, um eine einheitliche Auslegung zu erreichen (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zl. 99/21/0018). Ein Blick in die englische und in die französische Fassung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 zeigt, dass in diesen Sprachfassungen sowohl in Art. 4 lit. k als auch in Art. 6 Abs. 1 der Verordnung jeweils derselbe Begriff verwendet wird ("daily driving time", "duree de conduite journaliere").

Schon vor diesem Hintergrund ergibt sich (ohne dass auf die zitierte Berichtigung der Verordnung eingegangen werden muss), dass der in Art. 6 Abs. 1 der Verordnung verwendete Begriff der "täglichen Lenkzeit" im Sinne der Legaldefinition des Art. 4 lit. k der Verordnung auszulegen war, sodass der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Aufhebung des Spruchpunktes 2. des Straferkenntnisses auf einer unzutreffenden Rechtsansicht beruht.

3. Zu den Spruchpunkten 4. und 5. (Ermahnung):

Ohne auf das Beschwerdevorbringen eingehen zu müssen, ob gegenständlich im Hinblick auf den Unrechtsgehalt der Tat und das Verschuldensausmaß ein Absehen von der Strafe bei gleichzeitiger Ermahnung zulässig war, erweist sich der angefochtene Bescheid in diesen beiden Spruchpunkten schon aus folgendem Grund als inhaltlich rechtswidrig:

Die belangte Behörde begründete die Ermahnung zu Spruchpunkt 4. (rechtswidrige Verkürzung der täglichen Ruhezeit) und Spruchpunkt 5. (dieser Spruchteil betrifft die aus Spruchpunkt 4. resultierende rechtswidrige Überschreitung der Einsatzzeit desselben Arbeitnehmers) damit, dass die Ruhezeit im vorliegenden Fall nur um 18 Minuten unterschritten (bzw. erkennbar die Einsatzzeit dadurch nur um 18 Minuten überschritten) worden sei.

Die belangte Behörde übersieht dabei jedoch, dass sie den Schuldspruch zu den Spruchpunkten 4. und 5. nicht abgeändert hat, sodass entsprechend der rechtskräftigen Tatumschreibung (demgemäß erfolgte eine Unterschreitung der Ruhezeit bzw. eine Überschreitung der Einsatzzeit dieses Arbeitnehmers um 2 Stunden und 18 Minuten) von einem deutlich weiter gehenden Verstoß auszugehen gewesen wäre.

4. Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich der genannten Spruchpunkte wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Ein Kostenzuspruch an den Beschwerdeführer unterbleibt gemäß § 47 Abs. 4 VwGG.

Wien, am