VwGH vom 21.06.2011, 2008/22/0147
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 148.869/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den - noch während der Geltung des am außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 (FrG) gestellten - Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bangladesch, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö., § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte diese aus, der Beschwerdeführer, der am unrechtmäßig in Österreich eingereist sei und in weiterer Folge einen Asylantrag, der mittlerweile rechtskräftig abgewiesen worden sei, gestellt habe, habe am in Wien die österreichische Staatsbürgerin B geheiratet. Am habe er zwecks Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft mit seiner Ehefrau bei der damals zuständigen Bundespolizeidirektion Wien einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung eingebracht. Da der Beschwerdeführer - nach wie vor - in Wien aufhältig sei, habe er dem Gebot der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG nicht Genüge getan.
Humanitäre Gründe, wonach die im Inland erfolgte Antragstellung zugelassen hätte werden können, seien in der Berufung nicht geltend gemacht worden. Jedoch "erfolge seitens der Berufungsbehörde eine diesbezügliche Prüfung". Es hätten jedoch keine humanitären Gründe gefunden werden können. Sohin werde die Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland nicht von Amts wegen nach § 74 NAG zugelassen. Ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, sei entbehrlich, weil der Gesetzgeber bei Erlassung des § 21 NAG bereits auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt habe.
Die Behandlung der dagegen vom Beschwerdeführer an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde von diesem mit Beschluss vom , B 1763/07-6, abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass der Beschwerdeführer die Erledigung seines Antrages im Inland abgewartet hat, sodass jedenfalls die Voraussetzung des § 21 Abs. 1 letzter Satz NAG nicht erfüllt ist. Jedoch wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Ansicht der belangten Behörde, bei der Prüfung nach § 74 NAG sei ein Eingehen auf seine persönlichen Verhältnisse entbehrlich. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
Gemäß § 74 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) hat die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (fallbezogen insbesondere relevant die Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland) oder die Heilung von sonstigen Verfahrensmängeln zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) erfüllt werden. Gemäß § 72 Abs. 1 NAG kann die Behörde im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses, ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltsbewilligung erteilen. Besonders berücksichtigungswürdige Gründe liegen insbesondere vor, wenn der Drittstaatsangehörige einer Gefahr gemäß § 50 FPG ausgesetzt ist. § 72 NAG stellt somit auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn ausnahmsweise ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch - etwa auf Familiennachzug - besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0592, mwN).
Vor diesem Hintergrund ist die Ansicht der belangten Behörde, im Falle der Nichterfüllung des § 21 Abs. 1 NAG sei ein "weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich", rechtlich verfehlt.
Im Hinblick darauf, dass der Antrag des Beschwerdeführers von der erstinstanzlichen Behörde nach § 11 Abs. 1 Z 4 NAG, also wegen des von ihr konstatierten Bestehens einer Aufenthaltsehe abgewiesen wurde (demgegenüber ging die belangte Behörde im Einklang mit der Fremdenpolizeibehörde davon aus, eine solche sei nicht erweislich), und die belangte Behörde im Verfahren ohne dem Beschwerdeführer Parteiengehör einzuräumen, einen anderen Grund - basierend auf anderen erstmals im Berufungsverfahren getroffenen Feststellungen - für die Antragsabweisung heranzog, unterliegt das nunmehrige Beschwerdevorbringen zu jenen Gründen, nach denen der Auffassung des Beschwerdeführers nach ein aus Art. 8 EMRK resultierender Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels resultiere und denen nicht von vornherein die Relevanz für den Verfahrensausgang abgesprochen werden kann, nicht dem Neuerungsverbot (vgl. zum auch im Verwaltungsverfahren anerkannten Überraschungsverbot sowie einem gleichgelagerten Fall das hg. Erkenntnis vom , 2009/22/0038, mwN, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).
Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass hier auf die im hg. Beschluss vom , EU 2011/0004 bis 0008, aufgeworfenen Fragen hätte Bedacht genommen werden müssen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
QAAAE-83947