VwGH vom 14.03.2012, 2011/04/0118
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Dr. Greisberger, über die Beschwerde des X in Y, vertreten durch Dr. Christine Wolf, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Bräuhausgasse 63/7-8, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 63 - 9132/09, betreffend Untersagung der Ausbildung von Lehrlingen, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistratischen Bezirksamtes für den
2. Bezirk vom wurde dem Beschwerdeführer als Lehrberechtigten gemäß § 4 Abs. 4 lit. d des Berufsausbildungsgesetzes (BAG) auf Dauer die Ausbildung von Lehrlingen untersagt.
Begründend ging die Behörde im Wesentlichen davon aus, dass die von einem ehemaligen Lehrling des Beschwerdeführers gemachten Angaben über sexuelle Belästigungen seiner Person im Jahr 2006 durch die Feststellungen der Gleichbehandlungskommission des Bundeskanzleramtes als erwiesen anzusehen seien. Ebenso könne die Überschreitung der täglich maximal zulässigen Arbeitszeit von Lehrlingen - ebenfalls im Laufe des Jahres 2006 - gerade aus den Angaben des Beschwerdeführers selbst festgestellt werden. In den seiner Stellungnahme angeschlossenen Aufzeichnungen der Arbeitszeit von drei Lehrlingen schienen nämlich an etlichen Tagen Arbeitszeiten von 10, 10 1/2, 11, 12 und 13 Arbeitsstunden auf. Außerdem gingen aus den Stundenzetteln eines näher bezeichneten Lehrlings hervor, dass dieser in mehreren Monaten an aufeinanderfolgenden Sonntagen (unzulässig) beschäftigt gewesen sei. Da der Schutz der jugendlichen Lehrlinge, die in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zum Lehrberechtigen stünden, vor sexuellen Übergriffen und der Schutzzweck der Bestimmung hinsichtlich der Arbeitszeit im Vordergrund stehen müssten, sei dem Beschwerdeführer die Berechtigung zur Ausbildung von Lehrlingen zu entziehen gewesen.
Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge.
Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe im Berufungsverfahren ein näher bezeichnetes Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes W vorgelegt, in dem die erkennende Richterin betreffend den Vorwurf des sexuellen Übergriffes gegen einen ehemaligen Lehrling zu einer anderen rechtlichen Beurteilung gekommen sei als die Gleichbehandlungskommission des Bundeskanzleramtes.
Die belangte Behörde fasste die Feststellungen des Arbeits- und Sozialgerichtes wie folgt zusammen:
"Herr (S.) war vom bis beim (Beschwerdeführer) als Kochlehrling beschäftigt. In den ersten beiden Wochen des Lehrverhältnisses war die Stimmung zwischen den Köchen und dem Lehrling gut, danach ist es des öfteren zu verbalen Auseinandersetzungen gekommen, da Herr (S.) für bestimmte Dinge etwas länger brauchte als andere Lehrlinge und öfter etwas vergaß … Bei diesen Auseinandersetzungen zwischen Köchen und Lehrlingen herrschte durchaus ein rauher Umgangston, vor allem in Stresszeiten; es kam durchaus vor, dass ein Lehrling - so auch Herr (S.) - als 'Trottel' bezeichnet wurde ... In der sechsten Woche des Lehrverhältnisses, als Herr (S.) gerade breitbeinig vor einem auf dem Boden abgestellten Kübel stand, um darin etwas zu vermischen, näherte sich der (Beschwerdeführer) von hinten und wollte scherzhaft mit dem Fuß andeuten, dass er ihn auf das Gesäß tritt. In diesem Moment ging (S.) aber - für den (Beschwerdeführer) unvorhersehbar - in die Hocke, um den Kübel aufzuheben, sodass es zu einer - wenn auch ungewollten - Berührung mit der Fußspitze des (Beschwerdeführers) im Genitalbereich des (S.) kam. Dieses Vorgehen des (Beschwerdeführers) wertete das Gericht als 'misslungenen Scherz' und angedeutete Misshandlung. Einmal war (S.) in einem Streit mit einem anderen Koch verwickelt und wurde dann im Zuge einer Diskussion vom (Beschwerdeführer) mit einem Kartoffelstampfer in den Brustbereich geschlagen. Öfter hat der (Beschwerdeführer) den (S.) auch mit der flachen Hand auf den Rücken geschlagen, jedoch erfolgte dies nur, um (S.) zu motivieren und nicht in Misshandlungsabsicht. Als auffallend wertete das Gericht, dass die Lebensgefährtin des (Beschwerdeführers) sowie die Zeugen (M.) und (X.) angaben, dass es bei Stress sehr wohl lauter in der Küche zuging und auch Beschimpfungen gefallen sind. Es erschien dem Gericht daher gut nachvollziehbar, dass zwecks Motivation und um das Arbeitstempo zu steigern, auch Schläge mit der flachen Hand auf den Rücken passiert sind und im Zuge eines Streits dem (S.) mit einem Küchenwerkzeug auf die Brust geschlagen wurde."
Strittig sei - so die weitere Begründung der belangten Behörde - im vorliegenden Fall, ob beim Beschwerdeführer eine Pflichtverletzung iSd § 9 Abs. 3 BAG vorliege, welche die Untersagung der Ausbildung von Lehrlingen rechtfertige.
Aufgrund der Beweisergebnisse sei für die belangte Behörde bewiesen, dass im Betrieb des Beschwerdeführers Lehrlinge vor allem in Stresssituationen beschimpft und z.B. als "Trottel" bezeichnet würden, ihnen zur Motivation und um sie zur Arbeit anzutreiben mit der flachen Hand auf den Rücken geschlagen werde und Lehrlinge auch Objekte schlechter Scherze und angedeuteter Misshandlungen gewesen seien. Ein solches Verhalten sei nicht geeignet, ein gutes Beispiel für ein verantwortungsbewusstes Verhalten zu sein. Vielmehr zeuge es für einen respektlosen und abwertenden Umgang mit Mitarbeitern. Damit seien für die belangte Behörde die Pflichtverletzungen nach § 9 Abs. 3 BAG erwiesen und die Voraussetzungen für die Untersagung der Ausbildung von Lehrlingen gegeben.
Hinsichtlich der Dauer der Untersagung stellte die belangte Behörde fest, dem Beschwerdeführer seien der in seinem Betrieb herrschende Umgangston und die Umgangsformen gegenüber den Lehrlingen bekannt und würden von ihm unterstützt und geduldet. Offensichtlich sei sich der Beschwerdeführer nicht bewusst, dass dieses Klima nicht dazu geeignet sei, ein verantwortungsbewusstes Verhalten zu fördern. Mit einer Änderung der Sinnesart in absehbarer Zeit sei daher nicht zu rechnen. Damit komme nur eine Untersagung auf Dauer in Betracht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 4 Abs. 4 lit. d BAG hat die Bezirksverwaltungsbehörde einem Lehrberechtigten nach Anhörung der für ihn zuständigen Fachgruppe (Fachvertretung, Kammer der gewerblichen Wirtschaft - Sektion Handel) und der Kammer für Arbeiter und Angestellte die Ausbildung von Lehrlingen zu untersagen, wenn der Lehrberechtigte oder der Ausbilder die Pflichten gegenüber seinem Lehrling gröblich verletzt, insbesondere wenn eine dieser Personen an dem nicht entsprechenden Ergebnis einer Lehrabschlussprüfung Schuld trägt, Vereinbarungen betreffend eine Ausbildung im Rahmen eines Ausbildungsverbundes nicht einhält oder diese Personen bzw. die verwaltungsstrafrechtlich verantwortlichen Personen wiederholt gemäß § 32 Abs. 1 BAG bestraft wurden und dennoch diesen Pflichten nicht nachgekommen sind.
Nach Abs. 5 leg. cit. kann die Ausbildung von Lehrlingen für immer oder auch, je nach der Art des Grundes, aus dem die Nichteignung des Lehrberechtigten oder des Ausbilders anzunehmen ist, für eine angemessene Zeit untersagt werden.
Ist die Nichteignung des Ausbilders (Abs. 4 lit. a bis d) oder des Betriebes oder der Werkstätte … der Grund der Maßnahme, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde von dem Verbot abzusehen oder ein bereits erlassenes Verbot aufzuheben, wenn ein geeigneter Ausbilder mit der Ausbildung betraut wurde oder der Lehrberechtigte selbst die Ausbildung übernimmt bzw. wenn der Betrieb oder die Werkstätte nunmehr den Anforderungen des § 2 Abs. 6 BAG entspricht.
Gemäß § 9 Abs. 1 BAG hat der Lehrberechtigte für die Ausbildung des Lehrlings zu sorgen und ihn unter Bedachtnahme auf die Ausbildungsvorschriften des Lehrberufes selbst zu unterweisen oder durch geeignete Personen unterweisen zu lassen. Der Lehrberechtigte hat den Lehrling - nach Abs. 2 leg. cit. - nur zu solchen Tätigkeiten heranzuziehen, die mit dem Wesen der Ausbildung vereinbar sind. Dem Lehrling dürfen keine Aufgaben zugewiesen werden, die seine Kräfte übersteigen. Der Lehrberechtigte hat den Lehrling - nach Abs. 3 leg. cit. - zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben und zu verantwortungsbewußtem Verhalten anzuleiten und ihm diesbezüglich ein gutes Beispiel zu geben; er darf den Lehrling weder misshandeln noch körperlich züchtigen und hat ihn vor Misshandlungen oder körperlichen Züchtigungen durch andere Personen, insbesondere durch Betriebs- und Haushaltsangehörige, zu schützen.
2. Die in § 4 Abs. 4 lit. d BAG vorgesehene Maßnahme ist, wie sich sowohl aus der Formulierung dieser Norm als auch aus dem systematischen Zusammenhang, insbesondere aus der Regelung des § 4 Abs. 5 leg. cit. ergibt, nicht als Sanktionierung eines in der Vergangenheit gelegenen Fehlverhaltens des Lehrberechtigten oder des Ausbilders zu verstehen. Es handelt sich vielmehr um eine Sicherungsmaßnahme im Interesse der Lehrlinge, mit dem Ziel, Lehrlinge vor ungeeigneten Lehrberechtigten oder Ausbildern zu schützen. § 4 Abs. 4 lit. d leg. cit. knüpft als Tatbestandsvoraussetzung nicht an eine in der Vergangenheit erfolgte Pflichtverletzung durch den Lehrberechtigten oder den Ausbilder an, sondern, wie sich aus der Verwendung der in diesem Text gesetzten Zeitworte in der Gegenwart ergibt, an einen in der Gegenwart, also im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides durch die Behörde gegebenen Zustand. Dieses Auslegungsergebnis wird auch durch die Bestimmung des § 4 Abs. 5 leg. cit. gestützt, aus dem die Absicht des Gesetzgebers zu erkennen ist, von einer Untersagung der Ausbildung von Lehrlingen abzusehen, wenn trotz Verwirklichung eines Tatbestandes im Sinne des § 4 Abs. 4 lit. d leg. cit. in der Vergangenheit nunmehr dieser Missstand weggefallen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/04/0241, mwN).
3. Die Beschwerde macht - zusammengefasst - geltend, aufgrund des festgestellten Sachverhaltes könne keinesfalls der Schluss gezogen werden, dass der Beschwerdeführer sich nicht um seine Lehrlinge kümmere und der sittlichen Entwicklung von Jugendlichen hinderlich sei. Bis auf den festgestellten Vorfall gebe es bis dato keinerlei Beschwerden und Verfahren mit den im Betrieb des Beschwerdeführers tätigen Jugendlichen, obwohl er nicht nur einen, sondern mehrere Jugendliche ausgebildet habe. Die Untersagung der Ausbildung von Lehrlingen (auf Dauer) sei daher nicht rechtens.
4. Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer - im Ergebnis - im Recht:
Die belangte Behörde gründete die Untersagung der Ausbildung von Lehrlingen - anders als die Behörde erster Instanz - nur mehr auf die Feststellung, dass Lehrlinge im Betrieb des Beschwerdeführers vor allem in Stresszeiten beschimpft würden, dass Lehrlingen mit der flachen Hand auf den Rücken geschlagen werde, um sie zu "motivieren und zur Arbeit anzutreiben", bzw. dass der Beschwerdeführer einen schlechten Scherz (angedeuteten Fußtritt) zu Lasten eines namentlich angeführten Lehrlings gemacht habe. Dabei stützte sie sich ausschließlich auf Beweisergebnisse betreffend Vorfälle im Jahr 2006.
Durch die festgestellten Verhaltensweisen hat der Beschwerdeführer - wie die belangte Behörde richtig erkannt hat - gegen seine Pflichten als Lehrberechtigter zwar verstoßen. Die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides beinahe fünf Jahre zurückliegenden Ereignisse sind aber - entgegen der Rechtsauffassung der belangten Behörde - nicht geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, der Beschwerdeführer verletze seine Pflichten gegenüber Lehrlingen (insbesondere iSd § 9 Abs. 3 BAG) im maßgeblichen Zeitpunkt (Zustand bei Erlassung des angefochtenen Bescheides; siehe Punkt 2. der Erwägungen) in gröblicher Weise. Dazu hätte es Feststellungen über den Zustand (Einhaltung der Pflichten des Lehrberechtigten) im Betrieb des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung bedurft, welche die belangte Behörde aufgrund ihrer irrtümlichen Rechtsansicht, schon das festgestellte Fehlverhalten müsse zur Untersagung der Ausbildung von Lehrlingen im gegenständlichen Fall führen, unterlassen hat; dadurch hat sie den angefochtenen Bescheid mit sekundären Feststellungsmängeln belastet.
Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am