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VwGH vom 11.05.2010, 2008/22/0096

VwGH vom 11.05.2010, 2008/22/0096

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des J, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 149.352/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den (noch während der Geltung des am außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 - FrG) vom Beschwerdeführer, einem indischen Staatsangehörigen, gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Zweck "begünstigter Drittsta.-Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am unrechtmäßig nach Österreich eingereist und habe am einen Asylantrag gestellt. Infolgedessen sei er nach asylrechtlichen Bestimmungen zum vorläufigen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen. Das Asylverfahren sei mittlerweile rechtskräftig negativ abgeschlossen worden. Die diesbezüglich beim Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde habe der Beschwerdeführer am zurückgezogen.

Bereits am hätte der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin H geheiratet und daraufhin am den hier gegenständlichen Antrag gestellt.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Anträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen; die Entscheidung sei im Ausland abzuwarten.

Der Beschwerdeführer halte sich jedenfalls seit dem Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des Asylverfahren nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb § 21 Abs. 1 NAG der Bewilligung des Antrages entgegenstehe.

Es sei im Hinblick auf § 74 NAG notwendig, eine von Amts wegen durchzuführende Prüfung vorzunehmen, ob besonders berücksichtigungswürdige humanitäre Gründe im Sinn des § 72 NAG vorlägen, die zur Zulassung der Inlandsantragstellung führten. Zwar seien vom Beschwerdeführer in seiner Berufung humanitäre Gründe geltend gemacht worden, und es sei eine "diesbezügliche Prüfung erfolgt". Jedoch hätten keine humanitären Gründe festgestellt werden können. Die Inlandsantragstellung werde daher nicht zugelassen.

Von welchem Sachverhalt die belangte Behörde bei ihrer Beurteilung ausging und inwieweit die von ihr berücksichtigten Umstände der "Prüfung" unterlegen wären, wird im angefochtenen Bescheid allerdings nicht ausgeführt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde, nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde, erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006 richtet.

Der Beschwerdeführer behauptet im gegebenen Zusammenhang nicht, dass die Feststellungen, er sei im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung im Inland unrechtmäßig aufhältig gewesen, unrichtig wären. Ausgehend von diesen Feststellungen ist somit die behördliche Beurteilung, der Beschwerdeführer habe - unter Berücksichtigung des § 21 Abs. 2 Z 1 NAG - insoweit § 21 Abs. 1 NAG jedenfalls nicht Genüge getan, als er entgegen dieser Bestimmung die Entscheidung über seinen - unbestritten als Erstantrag anzusehenden - Antrag im Inland abgewartet habe, nicht zu beanstanden.

Das Recht, die Entscheidung über den Antrag im Bundesgebiet abwarten zu dürfen, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0476, mwN).

Art. 8 EMRK verlangt eine Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls ist zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, die eine fremdenpolizeiliche Maßnahme auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom ).

In diesem Zusammenhang verweist der Beschwerdeführer zutreffend darauf, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid weder die für die Interessenabwägung maßgeblichen Umstände festgestellt noch die für die Interessenabwägung maßgeblichen Überlegungen angeführt hat. Die bloß pauschalen Ausführungen der belangten Behörde, sie habe eine "diesbezügliche Prüfung" vorgenommen, aber keine humanitären Gründe feststellen können, stellt keine Begründung dar, die den Verwaltungsgerichtshof in die Lage versetzen würde, den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der notwendigerweise vorzunehmenden Interessenabwägung einer Überprüfung zuzuführen. Die belangte Behörde ist somit im angefochtenen Bescheid ihrer Begründungspflicht nicht in gesetzmäßiger Weise (vgl. §§ 58 Abs. 2, 60 AVG) nachgekommen (vgl. zum Umfang der Begründungspflicht die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 60 AVG in E 27 wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Der vorliegende Begründungsmangel erweist sich im Hinblick auf die hier der Aktenlage zu entnehmenden, für die Interessenabwägungen relevanten Umstände (großteils rechtmäßiger Aufenthalt seit 2001, nahezu durchgehende Beschäftigungsverhältnisse ab Oktober 2005, sowie Bestehen einer Ehegemeinschaft mit der österreichischen Staatsbürgerin H seit ), die eine Verpflichtung der belangten Behörde, die Inlandsantragstellung zulassen zu müssen, nicht ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0287), als für den Verfahrensausgang von Relevanz.

Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
KAAAE-83868