VwGH vom 15.12.2009, 2006/13/0092
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 4/35, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/0628- W/03, betreffend Familienbeihilfe ab , zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahr 1966 geborene Sohn der Beschwerdeführerin befindet sich auf Grund eines strafgerichtlichen Urteils seit September 1993 im Maßnahmenvollzug gemäß § 21 Abs. 1 StGB. Einer Bestätigung der psychiatrischen Leitung der Justizanstalt Göllersdorf zufolge bedürfe er auf Grund seiner Behinderung einer "dauernden Rundumpflege", ein Entlassungszeitpunkt sei nicht absehbar. Die "Art der Verwahrung" sei "mit einer Anstaltspflege wegen geistiger Erkrankung vergleichbar".
Im September 2002 beantragte die Beschwerdeführerin rückwirkend ab September 1997 die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe, wozu sie vorbrachte, die durch die Behinderung ihres Sohnes hervorgerufene dauernde Erwerbsunfähigkeit sei schon vor seinem 18. Lebensjahr eingetreten, und Belege über die Höhe ihrer monatlichen Geldzuwendungen, mit denen sie zum Unterhalt ihres Sohnes beitrage, vorlegte.
Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom ab, wogegen die Beschwerdeführerin Berufung erhob.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie stützte diese Entscheidung auf folgende Erwägungen:
"Bezüglich der gesetzlichen Bestimmungen wird auf die Ausführungen des Finanzamtes im Bescheid vom und in der Berufungsvorentscheidung vom verwiesen.
Die Bw. stellt nicht in Abrede, dass keine Haushaltszugehörigkeit des Sohnes nach § 2 Abs. 2 FLAG vorliegt. Sie vermeint allerdings, dass auf sie § 2 Abs. 5 lit. c FLAG anwendbar sei.
Gemäß dieser bereits vom Finanzamt zitierten Bestimmung gilt die Haushaltszugehörigkeit eines Kindes zu einer Person dann als nicht aufgehoben, wenn sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet und diese Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt; handelt es sich um ein erheblich behindertes Kind, erhöht sich dieser Betrag um den Erhöhungsbetrag für ein erheblich behindertes Kind.
Die wiedergegebenen Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 zeigen in ihrem Zusammenhang, dass die Gewährung von Familienbeihilfe nach § 2 Abs. 5 lit. c FLAG an das Bestehen einer Unterhaltspflicht der Eltern geknüpft ist.
Dafür spricht schon die Wortinterpretation des verwendeten
Ausdrucks "zu den Kosten des Unterhalts ... beiträgt" im geltenden
Gesetzestext, weil dieser der Terminologie des Zivilrechtes (§§ 140, 141, 142 ABGB,§ 1 Unterhaltsschutzgesetz 1985) entnommene Begriff in seiner dem Zivilrecht entsprechenden Verwendung das Bestehen einer gesetzlichen Pflicht zur Unterhaltsleistung denknotwendig voraussetzt. Keinen anderen Befund liefert die teleologische Interpretation der anzuwendenden Vorschrift.
Ausgehend vom erklärten Gesetzeszweck der Herbeiführung eines Lastenausgleiches im Interesse der Familie begründen die Bestimmungen des § 2 FLAG die Anspruchsberechtigung derjenigen Person auf Gewährung der Familienbeihilfe für ein Kind, die die mit der Versorgung dieses Kindes verbundenen Lasten trägt.
Strittig ist also im gegenständlichen Fall zunächst, ob von einer Unterhaltsverpflichtung der Mutter auszugehen ist.
Im vorliegenden Fall steht unbestritten fest, dass der Sohn der Bw. wegen einer vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Fest steht auch, dass er gemäß § 21 StGB in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz haben die Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes für den Unterhalt der Strafgefangenen zu sorgen. Hierauf hat auch bereits das Finanzamt zu Recht hingewiesen.
Somit ist die Vorfrage dahingehend zu beantworten, dass keine Unterhaltsverpflichtung der Mutter vorliegt und demnach auch kein Anspruch auf Gewährung der Familienbeihilfe nach § 2 Abs. 5 lit. c FLAG besteht.
Es brauchte im vorliegenden Fall daher auch nicht geprüft zu werden, ob eine Heimerziehung oder Anstaltspflege vorliegt."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Den Anspruch auf Familienbeihilfe hat eine Person u.a. für ein volljähriges Kind mit einer Behinderung wie der beim Sohn der Beschwerdeführerin vorliegenden (§ 2 Abs. 1 lit. c FLAG), wenn das Kind zum Haushalt dieser Person gehört (§ 2 Abs. 2 erster Satz FLAG). Gemäß § 2 Abs. 5 lit. c FLAG gilt die Haushaltszugehörigkeit nicht als aufgehoben, "wenn sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet" und die den Anspruch geltend machende Person "zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt; handelt es sich um ein erheblich behindertes Kind, erhöht sich dieser Betrag um den Erhöhungsbetrag für ein erheblich behindertes Kind".
Die Beschwerdeführerin macht u.a. geltend, die belangte Behörde habe den ihr danach zustehenden Anspruch an eine weitere Voraussetzung geknüpft, die dem Gesetz nicht zu entnehmen sei.
Die belangte Behörde erwidert darauf in der Gegenschrift, die von ihr angenommene Voraussetzung einer Unterhaltspflicht ergebe sich aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 95/13/0007. Was dort zu § 6 Abs. 5 FLAG gesagt worden sei, müsse für § 2 Abs. 5 lit. c FLAG "umso mehr" gelten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem erwähnten Erkenntnis nach einer Wiedergabe von Inhalten der §§ 1, 2 Abs. 1 und 6 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) ausgeführt:
"Die wiedergegebenen Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 zeigen nämlich in ihrem Zusammenhang, dass die Bestimmung des § 6 Abs. 5 FLAG auch in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 311/1992 vom aufrechten Bestehen einer Unterhaltspflicht der Eltern der anspruchswerbenden Person ausgeht. Dafür spricht schon die Wortinterpretation zufolge Verwendung der Worte 'Unterhalt leisten' im geltenden Gesetzestext, weil dieser der Terminologie des Zivilrechtes (§§ 140, 141, 142 ABGB,§ 1 Unterhaltsschutzgesetz 1985) entnommene Begriff in seiner dem Zivilrecht entsprechenden Verwendung das Bestehen einer gesetzlichen Pflicht zur Unterhaltsleistung denknotwendig voraussetzt. Keinen anderen Befund liefert die teleologische Interpretation der anzuwendenden Vorschrift. Ausgehend vom erklärten Gesetzeszweck der Herbeiführung eines Lastenausgleiches im Interesse der Familie begründen die Bestimmungen des § 2 FLAG die Anspruchsberechtigung derjenigen Person auf Gewährung der Familienbeihilfe für ein Kind, welche die mit der Versorgung dieses Kindes verbundenen Lasten trägt."
Mit diesen von der belangten Behörde fast wörtlich übernommenen Ausführungen begründete der Verwaltungsgerichtshof, dass entsprechend hohe Einkünfte des Kindes einem auf § 6 Abs. 5 FLAG gegründeten Anspruch schon wegen des Wegfalls der Unterhaltspflicht der Eltern - und nicht etwa, wie bei Vollwaisen, nur nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 FLAG - entgegenstünden, wobei auch betont wurde, es gehe allein um den Anspruch auf Geldunterhalt (auf Fälle, in denen ein solcher Anspruch unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit der Eltern fraglich ist, wurde diese Rechtsprechung bisher nicht angewendet; vgl. insofern noch zum ursprünglichen Wortlaut das Erkenntnis vom , Zl. 93/14/0051; zu einer Einschränkung hinsichtlich des Bezuges von Sozialhilfeleistungen durch das Kind das Erkenntnis vom , Zl. 99/14/0320; "überwiegende" Leistung von Unterhalt muss nach dem Erkenntnis vom , Zl. 2001/14/0165, nicht geschuldet sein).
Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die negative Voraussetzung in § 6 Abs. 2 lit. d FLAG, wonach volljährigen Vollwaisen, deren Anspruch sich auf eine Behinderung stützen soll, der Anspruch auf Familienbeihilfe nur zusteht, wenn sie sich "in keiner Anstaltspflege befinden". Zu dieser Voraussetzung, die kraft Verweisung in § 6 Abs. 5 FLAG auch in den dort geregelten Fällen zu beachten wäre, vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass eine "Anstaltspflege" nur anzunehmen ist, "wenn der Unterhalt der behinderten Person unmittelbar und zur Gänze durch die öffentliche Hand gewährt wird" (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/13/0162, m.w.N.). In den Fällen des § 6 Abs. 5 FLAG wird diese negative Voraussetzung - dem zitierten Erkenntnis vom zufolge - daher nicht zum Tragen kommen.
Im vorliegenden Fall ist der von der belangten Behörde ins Treffen geführte "Zusammenhang" der anzuwendenden Vorschriften ein völlig anderer. Zu beurteilen sind die Voraussetzungen eines Anspruches, den das Gesetz gerade für den Fall einräumt, dass sich ein Kind in "Anstaltspflege" befindet. Ist ein in Anstaltspflege (§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG) befindliches Kind Vollwaise oder gemäß § 6 Abs. 5 FLAG einer Vollwaisen gleichgestellt, so hat es (im Fall des § 6 Abs. 5 FLAG: jedenfalls auch) gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG keinen Anspruch auf Familienbeihilfe. Für ein in Anstaltspflege (§ 2 Abs. 5 lit. c FLAG) befindliches Kind kann eine Person gemäß § 2 Abs. 5 lit. c FLAG aber Anspruch auf Familienbeihilfe haben, wenn sie in zumindest gleicher Höhe zu den Kosten des Unterhalts des Kindes beiträgt.
Beide Bezugnahmen auf ständige "Anstaltspflege" wurden durch dieselbe Novelle in das Gesetz eingefügt (vgl. dazu 114 BlgNR XIV. GP 5). In dem zuletzt genannten Zusammenhang kann dessen ungeachtet schon dem Begriff der "Anstaltspflege" nicht die gleiche Bedeutung zukommen wie - nach der zitierten Rechtsprechung - in § 6 Abs. 2 lit. d FLAG, widrigenfalls der Anspruch nach § 2 Abs. 5 lit. c FLAG nach der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung (mangels verbleibenden Anspruchs auf Geldunterhalt bei voller Unterhaltsdeckung durch die Anstaltspflege) wohl nie und nach einer nicht nur gesetzlich geschuldete Beiträge zum Unterhalt berücksichtigenden Auffassung gerade dann nicht bestehen könnte, wenn die Kosten der Unterbringung nicht von der "öffentlichen Hand" getragen werden (weil diesfalls keine Anstaltspflege vorläge). Es ist aber auch nicht ersichtlich, weshalb als Beiträge zum Unterhalt im Sinne des § 2 Abs. 5 lit. c FLAG nur solche gelten sollten, die gesetzlich geschuldet sind. Eine solche Bedeutung ist der Bestimmung nicht beizumessen. Sie ist in ihrem Regelungszusammenhang dahingehend auszulegen, dass die durch die Anstaltspflege bedingte Abwesenheit des Kindes nicht anspruchsschädlich ist, wenn die Familienbeihilfe dem Kind trotz der räumlichen Trennung zur Gänze zugute kommt. Ein Anspruch auf Geldunterhalt spielt in diesem Zusammenhang einer "weiter gefassten" Definition der Haushaltszugehörigkeit (vgl. 114 BlgNR XIV. GP 4) ebenso wenig eine Rolle wie bei Haushaltszugehörigkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 erster Satz in Verbindung mit Abs. 5 erster Satz FLAG.
Die gleiche Auffassung vertreten im Übrigen auch die Durchführungsrichtlinien zum Familienlastenausgleichsgesetz 1967, die in der aktuellen wie in früheren Fassungen betonen, es sei "gleichgültig", ob die Ausgaben für das Kind "freiwillig oder auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung erfolgen" (vgl. etwa Wittmann/Papacek, Der Familienlastenausgleich, Abschnitt A, § 2, Seite 39).
Da die belangte Behörde die Rechtslage in diesem Punkt verkannt und die im Gesetz tatsächlich verankerten Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch daher nicht mehr geprüft hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am