VwGH vom 09.09.2010, 2008/22/0015
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des J, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 150.944/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Rahmen der Familienzusammenführung mit seiner Ehefrau, einer österreichischen Staatsbürgerin, gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe am unter der Aliasidentität "E" einen Asylantrag gestellt, dem am rechtskräftig "negativ beschieden" worden sei.
Am habe der Beschwerdeführer unter seiner richtigen Identität eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Parallel zu seinem Asylverfahren habe er sodann am unter seinem richtigen Namen im Rahmen der Familienzusammenführung einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gestellt.
Nach Beendigung seines Asylverfahrens am sei er ohne entsprechenden Aufenthaltstitel weiterhin im Bundesgebiet verblieben, was auch durch melderechtliche Daten, Versicherungsdaten und das Berufungsvorbringen bestätigt werde.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Hinweis auf die §§ 21 Abs. 1 und 2, 72 und 74 NAG aus, der Bewilligung des gegenständlichen Antrags stehe § 21 Abs. 1 NAG entgegen, weil der Beschwerdeführer illegal eingereist und seit rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages mit nicht rechtmäßig im Inland aufhältig sei.
Die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin stelle "keinesfalls ein Aufenthaltsrecht" nach dem NAG dar. Die öffentliche Ordnung werde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt in Österreich aufhielten, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet eines geordneten Aufenthalts- und Niederlassungswesens ergebe sich auch daraus, dass jemand falsche oder unvollständige Angaben im Zuge eines Verfahrens mache, oder aus sonstigen Versuchen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu umgehen. Der Beschwerdeführer habe seine wahre Identität verschleiert und die österreichischen Einwanderungsvorschriften mehrfach missachtet bzw. die Behörde durch Angaben falscher Namen getäuscht, um einer allfälligen Abschiebung zu umgehen. Dabei handle es sich um schwerwiegende Verstöße gegen öffentlich-rechtliche Normen; wegen der Missachtung dieser Normen sei davon auszugehen, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung führe. Durch sein persönliches Verhalten habe der Beschwerdeführer gezeigt, dass er nicht gewillt sei, sich an die in Österreich geltende Rechtsordnung zu halten; diese Tatsache stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar.
Die belangte Behörde habe auch keine humanitären Gründe im Sinn des § 72 NAG erkennen können; solche seien weder im Antrag noch im Berufungsschreiben vorgebracht worden und hätten auch trotz diesbezüglicher Prüfung seitens der belangten Behörde nicht festgestellt werden können. Die Ehe mit einer Österreicherin stelle keinen besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Sinn des § 72 NAG dar. Ebenso wenig könnten in der behaupteten, zum überwiegenden Teil aus einem illegalen Aufenthalt resultierenden Integration des Beschwerdeführers humanitäre Gründe erkannt werden, zumal dem Gewicht seiner Integration auf Grund eines langjährigen Aufenthaltes, der lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen sei, ein geminderter Stellenwert zukomme. Eine Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.
Der Beschwerdeführer erfülle auch nicht die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) und könne daher auch kein Recht auf Freizügigkeit gemäß den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer habe nicht dargetan, dass seine Ehefrau das Recht auf die (gemeinschaftsrechtliche) Freizügigkeit in Anspruch genommen habe. Weder der Berufung noch dem bekämpften Bescheid noch dem Akteninhalt seien Anhaltspunkte für eine Inanspruchnahme dieses Rechts zu entnehmen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerde bestreitet nicht, dass die Erledigung des gegenständlichen Antrages im Inland abgewartet wurde. Beim gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels handelt es sich um einen Erstantrag im Sinn des § 21 Abs. 1 NAG. Dem in dieser Bestimmungen verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend hätte der Beschwerdeführer jedenfalls die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung des angestrebten Aufenthaltstitels im Ausland abwarten müssen.
Dass die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers ihr Recht auf Freizügigkeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat als Österreich ausgeübt hätte, behauptet die Beschwerde nicht. Die in diesem Zusammenhang mit Blick auf den Gleichheitssatz geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Bestimmungen des NAG wurden vom Verfassungsgerichtshof nicht geteilt (vgl. dessen Erkenntnis vom , G 244/09 u.a.).
Der Beschwerdeführer bringt mit Blick auf § 72 NAG vor, infolge seines langjährigen Inlandsaufenthaltes, der zudem rechtmäßig gewesen sei, seiner beruflichen und sozialen Integration, seiner Bindung zu Österreich und seiner Unbescholtenheit wäre ihm zur Abwendung eines unzulässigen Eingriffs in das Privat- und Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK ein "Bleiberecht" zu erteilen gewesen.
Gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) kann die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG (in der Stammfassung) erfüllt werden. Nach § 72 Abs. 1 NAG kann den im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses, ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die im § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung auch im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0635, mwN).
Bereits in der Berufung hat der Beschwerdeführer vorgebracht, er halte sich seit nahezu zehn Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet auf, sei mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und gehe bereits seit sechs Jahren einer geregelten Beschäftigung nach. Mit der Berufung wurden auch eine Arbeits- und Entgeltbestätigung der V. AG vorgelegt, wonach der Beschwerdeführer seit beim genannten Unternehmen beschäftigt sei, sowie ein Versicherungsdatenauszug, wonach der Beschwerdeführer seit Mai 2002 immer wieder, seit November 2006 durchgehend in Österreich beschäftigt sei.
Dadurch, dass die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage die berufliche Integration des Beschwerdeführers nicht für relevant erachtete, traf sie in dieser Hinsicht keine Feststellungen und unterließ somit im angefochtenen Bescheid eine umfassende Interessenabwägung. Hätte aber eine derartige Interessenabwägung zur Bejahung der besonderen Berücksichtigungswürdigkeit im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG geführt, was angesichts des beinahe zehnjährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und seiner familiären Bindungen zu seiner österreichischen Ehefrau - selbst unter Berücksichtigung, dass der Beschwerdeführer im Jahr 1998 in seinem Asylantrag falsche Angaben zu seiner Person gemacht hat - nicht von vornherein zu verneinen ist, wäre die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen gewesen, was die Abweisung des Antrages nach § 21 Abs. 1 NAG ausschließen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0455, mwN).
Bei diesem Ergebnis war auf die in der Beschwerde aufgeworfene Frage einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 45 Abs. 3 AVG) durch die belangte Behörde nicht weiter einzugehen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag bereits enthalten ist. Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-83766