TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 04.05.2020, Ra 2019/16/0214

VwGH vom 04.05.2020, Ra 2019/16/0214

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und Hofrat Dr. Thoma sowie Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des M H in W, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das am mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-002/011/2620/2019-14, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom war der Revisionswerber als Hauptmieter eines näher bezeichneten Lokals der zweifachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild Glücksspielgesetz (GSpG) für schuldig erkannt worden, weil er es durch die entgeltliche Überlassung (Untervermietung) des näher bestimmten Lokals zu verantworten habe, dass er sich an der Zugänglichmachung verbotener Ausspielungen zur Teilnahme vom Inland aus im Sinne des § 2 Abs. 4 GSpG beteiligt habe. Über den Revisionswerber wurden zwei Geldstrafen in der Höhe von jeweils 20.000 EUR (Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall deren Uneinbringlichkeit: jeweils 14 Tage) verhängt. Weiters wurde ihm ein Beitrag in der Höhe von 4.000 EUR zu den Kosten des Strafverfahrens auferlegt.

Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde.

2Nach Schluss der am durchgeführten mündlichen Verhandlung verkündete der Richter des Verwaltungsgerichts die Abweisung der Beschwerde in der Schuldfrage, gab ihr aber in der Straffrage insoweit Folge, als er die Geldstrafen auf jeweils 6.000 EUR sowie die Ersatzfreiheitsstrafen auf jeweils 5 Tage pro Spruchpunkt herabsetzte. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass sich der Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens pro Spruchpunkt auf 600 EUR reduziere, sowie, dass der Revisionswerber keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens leisten müsse (Spruchpunkt I.). Außerdem erklärte es die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig (Spruchpunkt II.).

3In der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses vom führte das Verwaltungsgericht im Spruch - neben den bereits verkündeten Spruchpunkten I. und II. - in einem Spruchpunkt IA. aus,

„[u]nter Einbeziehung der vom Verfassungsgerichtshof ausgesprochenen Berichtigungsmöglichkeit zu und und in Ansehung des Umstandes, dass der EuGH das Kumulationsverbot am , in den verbundenen Rs C 64/18, C 140/18, C 146/18 und C 148/18 für unzulässig erklärte, wird die am im Rahmen der mündlichen Verkündung bemessene und herabgesetzte Geldstrafe nicht pro Spruchpunkt, i.e. nicht pro illegalem Eingriffsgegenstand festgesetzt, sondern eine Gesamtgeldstrafe von Euro 12.000.- und eine gesamte Ersatzfreiheitsstrafe mit 5 Tagen ausgesprochen.“

Weiters - so der Spruch der schriftlichen Ausfertigung - reduziere sich der Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens auf insgesamt 1.200 EUR. Dem Revisionswerber werde außerdem kein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei unzulässig.

4Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision leitete der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren ein; die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5Die Revision erweist sich schon in Hinblick auf das Vorbringen, dass - entgegen der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses vom mündlich verkündeten abweiche, als zulässig und berechtigt.

6Gemäß § 47 Abs. 4 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes - VwGVG ist nach Schluss der Verhandlung und - im Verfahren vor dem Senat nach Beratung und Abstimmung - der Spruch des Erkenntnisses und seine wesentliche Begründung nach Möglichkeit sofort zu beschließen und zu verkünden.

Gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG ist den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen, wobei das Erkenntnis unter den in § 29 Abs. 5 leg. cit. festgelegten Voraussetzungen in gekürzter Form ausgefertigt werden kann.

7Mit der Verkündung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung steht einer neuerlichen im Wesentlichen gleichen Entscheidung der Einwand der entschiedenen Sache entgegen. An die Verkündung dieser Entscheidung knüpft daher auch ihre Unwiderrufbarkeit an, weshalb die schriftliche Entscheidungsausfertigung nicht in einem wesentlichen Spruchelement von der verkündeten Entscheidung abweichen darf (, mwN).

Eine wesentliche Abweichung, eine Änderung wesentlicher Spruchelemente, liegt nicht vor, wenn die schriftliche Ausfertigung bloß formell etwas abweichend von der mündlich verkündeten Entscheidung formuliert ist, der normative Inhalt der ausgefertigten Fassung aber mit jenem der mündlich verkündeten übereinstimmt (, mwN).

8Dem Verwaltungsgericht Wien ist bei der schriftlichen Ausfertigung seines Erkenntnisses vom nicht etwa nur ein berichtigbarer Schreibfehler (§ 17 VwGVG iVm § 62 Abs. 4 AVG) unterlaufen. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr ausdrücklich vom mündlich verkündeten Spruch des Erkenntnisses abweichen und der schriftlichen Ausfertigung einen anderen normativen Inhalt verleihen wollen als der mündlich verkündeten Entscheidung vom . Solcherart stellt das schriftlich ausgefertigte Erkenntnis vom eine neuerliche, inhaltlich geänderte Entscheidung in dem in Rede stehenden Verwaltungsstrafverfahren dar, welcher das Hindernis der (durch das mündlich verkündete Erkenntnis vom ) entschiedenen Sache (res iudicata) entgegenstand.

9Das mit datierte schriftliche Erkenntnis ist daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

10Zudem weisen sowohl das mündlich verkündete Erkenntnis vom als auch die schriftliche Ausfertigung vom , wie die Revision zutreffend aufzeigt, einen Widerspruch zwischen Spruch und Begründung auf.

§ 44a VStG regelt, welche Bestandteile der Spruch eines Straferkenntnisses zu enthalten hat. Dazu zählen unter anderem die als erwiesen angenommene Tat (Z 1) und die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist (Z 2). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 44a Z 1 VStG muss der Spruch eines Straferkenntnisses so gefasst sein, dass die Subsumtion der als erwiesen angenommenen Tat unter die verletzte Verwaltungsvorschrift eindeutig und vollständig erfolgt, also aus der Tathandlung sogleich auf das Vorliegen der angelasteten Übertretung geschlossen werden kann. Der Beschuldigte hat zudem ein subjektives Recht darauf, dass ihm die als erwiesen angenommene Tat und die verletzte Verwaltungsvorschrift richtig und vollständig vorgehalten werden. Die Identität der Tat muss unverwechselbar feststehen (, mwN).

Besteht ein Widerspruch zwischen Spruch und Begründung, bei dem es sich nicht bloß um eine terminologische Abweichung handelt, deren Wirkung sich im Sprachlichen erschöpft, sondern bei dem die Wahl unterschiedlicher Begriffe vielmehr eine Unterschiedlichkeit in der rechtlichen Wertung durch Subsumtion unter je ein anderes Tatbild zum Ausdruck bringt, führt dies zu einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit (, mwN).

11Das Verwaltungsgericht führt in den Entscheidungsgründen des mündlich verkündeten sowie des schriftlichen Erkenntnisses aus, es sei die Feststellung zu treffen, der Revisionswerber habe „im Sinne der Tatumschreibung“ die verfahrensgegenständlichen verbotenen Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 GSpG unternehmerisch zugänglich gemacht (vgl. Seite 6 des Verhandlungsprotokolls bzw. Seite 8 des schriftlichen Erkenntnisses), sowie, dass sich „die unternehmerische Zugängigmachung durch den Beschwerdeführer“ als schlüssig begründet erweise (vgl. Seite 27 des schriftlichen Erkenntnisses). Das unternehmerische Zugänglichmachen stellt jedoch das dritte Tatbild des § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG dar.

In dem vom Verwaltungsgericht bestätigten Spruch des Straferkenntnisses wurde der Revisionswerber allerdings wegen der Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 viertes Tatbild GSpG (unternehmerische Beteiligung) bestraft, wodurch sich insoweit ein Widerspruch zwischen Spruch und Begründung des angefochtenen Erkenntnisses ergibt.

12Auch damit belastete das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

13Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019160214.L00
Schlagworte:
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.