VwGH vom 09.09.2010, 2008/22/0008
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der J, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 318.035/2- III/4/2008, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom wurde ein am gestellter Antrag der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass die Beschwerdeführerin mit einem Visum C, gültig vom 7. Juni bis , nach Österreich eingereist und nach Ablauf ihres Visums ohne Aufenthaltstitel weiterhin im Bundesgebiet verblieben sei. Diese Tatsache werde auch "anhand einer ZMR-Abfrage gefestigt", weil sie seit in Österreich polizeilich aufrecht gemeldet sei. Nach Ablauf ihres Visums am hätte sie jedoch das Bundesgebiet verlassen müssen. Am habe die Beschwerdeführerin einen österreichischen Staatsbürger geheiratet und am einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Zweck der Familienzusammenführung gestellt.
Mit Bescheid vom sei gegen die Beschwerdeführerin ein Aufenthaltsverbot verhängt worden. Dagegen habe sie beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde eingelegt; mit sei dieser Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde unter Hinweis auf die Bestimmungen der §§ 82 Abs. 1, 21 Abs. 1, 72 und 74 NAG im Wesentlichen aus, dass das gegenständliche Verfahren nach den Bestimmungen des NAG zu Ende zu führen sei. Da die Beschwerdeführerin noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Republik Österreich gewesen sei, halte sie sich seit Ablauf ihres Visums unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegenstehe. Die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger stelle "keinesfalls ein Aufenthaltsrecht" nach dem NAG dar. Der unerlaubte Aufenthalt in Österreich beeinträchtige vielmehr die öffentliche Ordnung schwerwiegend.
Weder im Antrag noch im Berufungsschreiben seien humanitäre Gründe im Sinn des § 72 NAG behauptet worden. Auch die Ehe mit einem Österreicher stelle keinen besonders berücksichtigungswürdigen Grund im Sinn des § 72 NAG dar. Eine Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.
Es sei weder behauptet worden noch sei aus den Verwaltungsakten erkennbar, dass ein sogenannter "Freizügigkeitssachverhalt" im Sinn der §§ 51 ff NAG vorliege.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die belangte Behörde hat das durch den Antrag der Beschwerdeführerin vom eingeleitete Verfahren zutreffend gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach dem NAG fortgesetzt und anhand der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes beurteilt.
Ausgehend von der in der Beschwerde nicht in Zweifel gezogenen Feststellung der belangten Behörde, dass die Beschwerdeführerin noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Republik Österreich war, begegnet die Ansicht der belangten Behörde, es handle sich bei dem Antrag vom um einen Erstantrag, keinen Bedenken. Nach dem in der Bestimmung des § 21 Abs. 1 NAG verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung hätte die Beschwerdeführerin somit den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich im Ausland stellen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0654, mwN.).
Gemäß § 21 Abs. 2 Z 1 NAG (in der Stammfassung) können Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauerhaft wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthaltes einen Antrag im Inland stellen. Die Beschwerdeführerin konnte sich allerdings auf diese Ausnahmebestimmung schon deshalb nicht berufen, weil sie sich nach Ablauf ihres Visums ab und sohin auch zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung am nicht (mehr) rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Entgegen der Beschwerdeansicht vermochte die Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger der Beschwerdeführerin auch nach dem damals geltenden Fremdengesetz 1997 nicht automatisch ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu verschaffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0007, mwN).
Gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) hat die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder die Heilung von sonstigen Verfahrensmängeln zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG (in der Stammfassung) erfüllt werden. Gemäß § 72 Abs. 1 erster Satz NAG kann die Behörde im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses, ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung erteilen.
§ 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , mwN.).
Der bisherige Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet in der Dauer von weniger als vier Jahren stellt jedoch keinen ausreichenden humanitären Grund dar, zumal sie sich jedenfalls seit dem Ablauf der Gültigkeit ihres Visums am unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Entgegen der Beschwerdeansicht kann somit keineswegs davon gesprochen werden, dass sich die Beschwerdeführerin ordnungsgemäß und rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe. Somit kommt auch der während ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes mit einem österreichischen Staatsbürger geschlossenen Ehe im vorliegenden Fall mit Blick auf die kurze Dauer des Aufenthalts der Beschwerdeführerin kein ausschlaggebendes Gewicht zu (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0279, mwN.). Auch der in der Beschwerde enthaltene, nicht näher ausgeführte Hinweis, die Beschwerdeführerin sei sozial integriert, ist nicht geeignet, humanitäre Gründe in dem beschriebenen Sinn darzulegen.
Die Beschwerde rügt weiters, der Beschwerdeführerin sei hinsichtlich des von der belangten Behörde - erstmals - herangezogenen Abweisungsgrundes kein Parteiengehör eingeräumt worden. Die erstinstanzliche Behörde habe die Abweisung des Antrages auf § 11 Abs. 1 Z 1 NAG (in der Stammfassung) - Vorliegen eines aufrechten Aufenthaltsverbotes - gestützt, während die belangte Behörde die Abweisung mit einem anderen Tatbestand, nämlich § 21 Abs. 1 NAG - Auslandsantragstellung - begründe. Durch die Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof sei das Aufenthaltsverbot jedoch nicht durchsetzbar und somit nicht als aufrechtes Aufenthaltsverbot im Sinn des § 11 Abs. 1 Z 1 NAG zu interpretieren. Die belangte Behörde habe "dem Sachverhalt einen anderen Tatbestand, nämlich § 21 Abs. 1 NAG in rechtswidriger Weise unterstellt".
Im Zusammenhang mit dem auch im Verwaltungsverfahren anerkannten "Überraschungsverbot" hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Behörde, wenn sie gegenüber dem Bescheid der Vorinstanz den Versagungsgrund ändert, verpflichtet ist, die diesem Versagungsgrund zugrunde liegenden Feststellungen der Partei vorzuhalten (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0105, mwN.). Die Beschwerde wendet sich jedoch nicht gegen die Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag, bei dem es sich um einen Erstantrag handelt, im Inland eingebracht und die Entscheidung im Inland abgewartet habe. Die Beschwerde zeigt auch keine humanitären Gründe iSd. § 72 NAG auf. Somit wurde die Relevanz des gerügten Verfahrensmangels nicht aufgezeigt, ist doch nicht ersichtlich, inwiefern die Behörde bei Vermeidung des Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Da die belangte Behörde ihrer Entscheidung weder das Vorliegen einer Scheinehe noch eines Aufenthaltsverbotes zugrunde gelegt hat, gehen die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen ins Leere.
Die belangte Behörde hat den gegenständlichen Antrag im Ergebnis zutreffend gemäß § 21 Abs. 1 NAG abgewiesen. Die Beschwerde erweist sich daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am
Fundstelle(n):
KAAAE-83748