VwGH 20.10.2020, Ra 2019/16/0107
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | |
RS 1 | Der Rechtsbehelf der Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dient dem Zweck, eine Lücke im Rechtsschutzsystem zu schließen. Es sollten mit dieser Beschwerde aber nicht Zweigleisigkeiten für die Verfolgung ein und desselben Rechtes geschaffen werden. Was in einem Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, kann daher nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein, wobei die Zulässigkeit dieser Beschwerde insbesondere auch nicht von der (allenfalls längeren) Dauer des sonst zur Rechtsdurchsetzung zur Verfügung stehenden Verwaltungsverfahrens abhängt (vgl. , in diesem Erkenntnis wurde darauf hingewiesen, dass auch dann, wenn die Möglichkeit einer Klage nach Art. 137 B-VG besteht, nicht davon auszugehen ist, dass eine Lücke im Rechtsschutzsystem bestünde, die durch die Zulässigkeit einer Maßnahmenbeschwerde zu schließen wäre; vgl. in diesem Sinn auch , ferner zu einem nach dem UbG vorgesehenen Rechtsmittel an das ordentliche Gericht , und zu einer nach der AbgEO vorgesehenen Vollzugsbeschwerde , alle mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/19/0421 E RS 3 (hier ohne den letzten Halbsatz) |
Normen | |
RS 2 | Wird ein Bescheid erlassen, können die - bereits vorgenommenen - damit zusammenhängenden faktischen Verfügungen nicht mehr mit Maßnahmenbeschwerde bekämpft werden (vgl. etwa ). Ein bereits anhängiges Verfahren über eine Maßnahmenbeschwerde ist in diesem Fall einzustellen (vgl. etwa ). Eine allfällige Rechtwidrigkeit des Bescheids kann nur im Wege der Bescheidbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. etwa ). Mit dem Bescheid vom hat die Landespolizeidirektion im vorliegenden Fall über die Beschlagnahme zweier näher bezeichneter, am in amtliche Verwahrung genommener Glücksspielautomaten abgesprochen. Damit sind auch die faktische Amtshandlung des Abtransports der Glücksspielautomaten und deren amtliche Verwahrung ab dem vom Spruch des Beschlagnahmebescheids umfasst. Ob diese vorangegangene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt von einem Organ der öffentlichen Aufsicht (§ 53 Abs. 2 GSpG) oder von einem zur Erlassung eines Bescheids nach § 53 Abs. 1 GSpG befugten Organ der Behörde erfolgte, ist dafür nicht entscheidend. Eine Rechtswidrigkeit des Bescheids wäre daher im Wege der Bescheidbeschwerde geltend zu machen gewesen. Indem das Landesverwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage das Maßnahmenbeschwerdeverfahren nicht einstellte, sondern inhaltlich erledigte, belastete es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Dr. Mairinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der Landespolizeidirektion Tirol in 6020 Innsbruck, Innrain 34, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG-2018/12/1132-13, betreffend Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz (mitbeteiligte Partei: G Ö in I, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Am führte die Landespolizeidirektion Tirol in dem vom Mitbeteiligten betriebenen Lokal eine Kontrolle nach dem Glücksspielgesetz (GSpG) durch. Im Zuge dieser Kontrolle wurden von der belangten Behörde zwei Geräte abtransportiert.
2 Mit Maßnahmenbeschwerde vom beantragte der Mitbeteiligte den durch den Abtransport der zwei in seinem Eigentum stehenden Geräte erfolgten Entzug der Verfügungsmacht für rechtswidrig zu erklären.
3 Mit Bescheid vom ordnete die Landespolizeidirektion Tirol „gemäß § 53 Abs. 1 Z 1 lit a Glücksspielgesetz die Beschlagnahme der am in [...], im Lokal [...], in amtliche Verwahrung genommenen (Abs. 4 leg cit) Glücksspielautomaten, an“, wobei es die beiden Geräte im Spruch noch näher bezeichnete.
4 Die vom Mitbeteiligten gegen den Bescheid vom erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Tirol mit Erkenntnis vom , LVwG-2018/14/1462-3, ab, wobei es den Spruch des angefochtenen Bescheids dahingehend richtig stellte, dass die Glücksspielautomaten am „“ in amtliche Verwahrung genommen worden seien.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Tirol der Maßnahmenbeschwerde Folge und stellte fest, „dass der am im Lokal [...] in [...] durch Organe der Landespolizeidirektion Tirol durch den Abtransport der beiden Glücksspielautomaten [...] erfolgte Entzug aus der Verfügungsmacht des [Mitbeteiligten] bis zur Erlassung des Beschlagnahmebescheides [...] rechtswidrig war“. Das Verwaltungsgericht verpflichtete den Bund zum Aufwandersatz und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens gemäß § 36 VwGG und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten - in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen hat:
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision (gesondert) vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 In der Amtsrevision wird zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach eine Maßnahmenbeschwerde einen subsidiären Rechtsbehelf darstelle, der unzulässig sei, wenn in derselben Sache bereits ein Bescheid erlassen worden sei.
10 Die Revision ist zulässig und begründet.
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dient der Rechtsbehelf der Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dem Zweck, eine Lücke im Rechtsschutzsystem zu schließen. Mit dieser Beschwerde sollten aber keine Zweigleisigkeiten für die Verfolgung ein und desselben Rechts geschaffen werden. Was in einem Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, kann nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein (vgl. etwa , mwN).
12 Wird ein Bescheid erlassen, können die - bereits vorgenommenen - damit zusammenhängenden faktischen Verfügungen nicht mehr mit Maßnahmenbeschwerde bekämpft werden (vgl. etwa ). Ein bereits anhängiges Verfahren über eine Maßnahmenbeschwerde ist in diesem Fall einzustellen (vgl. etwa ).
13 Eine allfällige Rechtwidrigkeit des Bescheids kann nur im Wege der Bescheidbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. etwa ).
14 Mit dem Bescheid vom hat die Landespolizeidirektion Tirol über die Beschlagnahme zweier näher bezeichneter, am in amtliche Verwahrung genommener Glücksspielautomaten abgesprochen. Damit sind auch die im Revisionsfall strittige faktische Amtshandlung des Abtransports der Glücksspielautomaten und deren amtliche Verwahrung ab dem vom Spruch des Beschlagnahmebescheids umfasst. Ob diese vorangegangene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt von einem Organ der öffentlichen Aufsicht (§ 53 Abs. 2 GSpG) oder von einem zur Erlassung eines Bescheids nach § 53 Abs. 1 GSpG befugten Organ der Behörde erfolgte, ist dafür - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts - nicht entscheidend.
15 Eine Rechtswidrigkeit des Bescheids wäre daher im Wege der Bescheidbeschwerde geltend zu machen gewesen. Indem das Landesverwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage das Maßnahmenbeschwerdeverfahren nicht einstellte, sondern inhaltlich erledigte, belastete es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019160107.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAE-83679