VwGH vom 14.04.2011, 2008/21/0644
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Josef Cudlin, Rechtsanwalt in 3500 Krems, Gartenaugasse 1, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. BMI- 1013277/0003-II/3/2008, betreffend Feststellung gemäß § 51 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Algerien, reiste im April 1994 gemeinsam mit seiner Ehefrau mit einem bis gültigen Sichtvermerk nach Österreich ein. Hier wurde er mehrfach straffällig und zuletzt mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wegen §§ 142 Abs. 1, 143 und 201 Abs. 2 StGB zu einer elfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Zuletzt erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer im Hinblick auf sein strafrechtliches Fehlverhalten ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.
Im Zuge eines vorangegangenen Aufenthaltsverbotsverfahrens hatte der Beschwerdeführer am gemäß § 54 des Fremdengesetzes aus 1992 den Antrag gestellt, die Unzulässigkeit seiner Abschiebung nach Algerien festzustellen.
Die Bundespolizeidirektion Wien wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab. In der dagegen erhobenen Berufung fasste der Beschwerdeführer die ihm von "Moslem-Fundamentalisten" drohende Verfolgung dahingehend zusammen, dass er als Tierarzt in einem staatlichen algerischen Viehzuchtbetrieb tätig gewesen sei und somit als staatlich Bediensteter angesehen werde, dass er befürchte, wegen eines von der "Moslembruderschaft" vermuteten Naheverhältnisses zu einem namentlich genannten befreundeten und untergetauchten Polizisten verschleppt zu werden und dass er wegen einer als "weltoffen" zu bezeichnenden Frau bei den Fundamentalisten "gebrandmarkt" sei.
Der im Devolutionsweg zuständig gewordene Bundesminister für Inneres wies die Berufung des Beschwerdeführers ab. Mit hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/21/1111, hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
Am wurde der Beschwerdeführer im zweiten Rechtsgang im Auftrag des Bundesministers für Inneres in der Justizanstalt Stein - ohne Beiziehung eines Dolmetschers - einvernommen. Die darüber aufgenommene Niederschrift hat folgenden Inhalt:
"Warum haben sie im Zuge der Befragung durch die Bundespolizeidirektion Wien, FrP Büro, am angegeben, in ihrem Heimatland nicht verfolgt zu werden?
Ich bin 1994 mit einem gültigen Reisevisum nach Österreich eingereist. Nach Ablauf des Visums bekam ich einen neuen Reisepass und ein neues Visum von der algerischen Botschaft in Wien. Da ich laut CARITAS keinen Asylantrag stellen konnte, gab ich auch nicht an, dass ich in Algerien politische und religiöse Probleme hatte. Als ich bei der Fremdenpolizei in Wien nachfragte (bezüglich Visum), wurde mir mitgeteilt, dass man das bei der dortigen Behörde nicht entscheiden kann und den Akt an das Oberste Landesgericht übermitteln würde. Ich und meine jetzige Ehegattin bekamen einen Bescheid vom Obersten Landesgericht Wien für 3 Monate, später für 6 Monate Aufenthalt in Österreich. Anschließend bekam meine Gattin eine Niederlassungsbewilligung, die ich leider versäumte.
Welche konkreten Informationen hätten sie dem ihnen bekannten Polizisten mitteilen sollen?
Der Polizist in Algerien ist wie ein Bruder zu mir. Als ich in Algerien Probleme hatte, half er mir nach Österreich einzureisen. Er besorgte mir 4 Visums, jedoch konnte ich erst mit dem 4. Visum ausreisen, da er mir vorher immer abgeraten hatte (die Gründe weiß ich nicht).
Welche konkreten Befürchtungen hatten sie gehegt? Wenn ich in Algerien geblieben wäre, würde ich nicht mehr leben!
Was haben sie getan, um den Schutz der staatlichen Behörden zu erlangen?
Nichts! Wir sind miteinander aufgewachsen und sind wie Brüder.
Seit der im Jahr 1994 erfolgten Einreise in das Bundesgebiet sind bereits mehr als 13 Jahre vergangen. Warum befürchten sie auch heute noch, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden?
Ich bin Moslem und befürchte nach meiner Rückkehr nach Algerien getötet zu werden. Ich lebe seit 13 Jahren in Österreich mit meiner Gattin, wohnhaft im 20. Bezirk, … . Ich habe auch zwei Töchter, 12 und 14 Jahre alt. Meine Gattin und meine beiden Töchter sind bereits österreichische Staatsbürger."
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) hierauf die Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom - nunmehr gestützt auf § 51 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) - neuerlich ab. Das begründete die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften letztlich wie folgt:
"Wie sich aus dem oben angeführten Sachverhalt ergibt, halten Sie sich bereits länger als 13 Jahre außerhalb Algeriens auf. Es ist daher zu prüfen, ob Sie im Falle einer Rückkehr in diesem Staat Bedrohungen im Sinne des § 50 Abs. 1 und 2 FPG zu befürchten hätten.
Dazu befragt gaben Sie bei Ihrer niederschriftlichen Einvernahme am an, Moslem zu sein und im Falle einer Rückkehr getötet zu werden. Es scheint unglaubwürdig, dass Sie wegen Ihres Glaubens einerseits von der Moslembruderschaft verfolgt sein sollten und andererseits von den algerischen Behörden Verfolgungshandlungen gegen Ihre Person gesetzt werden, zumal der Islam Staatsreligion von Algerien ist und ca. 99% der Bevölkerung Anhänger dieser Religion sind.
Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass Sie wegen der vor mehr als 13 Jahren angeblich erfolgten Weitergabe von Informationen an einen Ihnen bekannten Polizisten auch heute noch konkrete Verfolgungen befürchten müssen, haben Sie doch im gesamten gegenständlichen Verfahren - und auch bei Ihrer Befragung am - keinerlei Angaben machen können, welcher Art diese Informationen sein hätten sollen.
Abgesehen von dem Umstand, dass Sie keine entscheidungsrelevante Gefährdung glaubhaft machen konnten, waren Sie ebenso wenig im Stande, glaubhaft darzutun, dass die algerischen Behörden von Seiten der Moslembruderschaft ausgehende Verfolgungshandlungen nicht unterbunden hätten bzw verhindern hätten können. Ausdrücklich danach befragt, was Sie konkret getan hätten, um den Schutz der staatlichen Behörden zu erlangen, gaben Sie nämlich dezidiert an: 'Nichts'".
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Übergangsvorschrift des § 125 Abs. 1 FPG auch auf Verfahren zur Feststellung der Zulässigkeit/Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat anzuwenden ist (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0581). Die belangte Behörde hat daher zu Recht die Bestimmungen des FPG angewendet.
Der Beschwerdeführer hatte ursprünglich als maßgebliche Gefährdung im Sinn des § 37 des Fremdengesetzes aus 1992 (nunmehr § 50 FPG) geltend gemacht - siehe oben -, dass er von radikalen Islamisten wegen seiner Tätigkeit als staatlich Bediensteter, wegen eines vermuteten Naheverhältnisses zu einem befreundeten Polizisten und wegen seiner "weltoffenen" Ehefrau bedroht werde. Dass diesen Behauptungen im gegebenen Zusammenhang grundsätzlich Relevanz zukommen kann, ergibt sich schon aus dem im ersten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis vom .
Die belangte Behörde hat sich zwar nur sehr knapp mit diesem vom Beschwerdeführer ursprünglich geltend gemachten Bedrohungsszenario beschäftigt. Sie hat dabei aber gerade noch erkennen lassen, dass sie dieser behaupteten Gefährdung jedenfalls keine Aktualität mehr zubillige.
Die Beschwerde kommt auf die ursprünglichen Verfolgungsbehauptungen zurück. Konkrete Ausführungen dahingehend, dass die beschriebene Gefährdungslage ungeachtet des seit der Ausreise des Beschwerdeführers aus Algerien verstrichenen Zeitraumes von mehr als 14 Jahren und der seither eingetretenen Veränderungen in seinen Lebensverhältnissen noch aufrecht sei, sind ihr aber nicht zu entnehmen. Auch die am erfolgte, oben wörtlich wiedergegebene Einvernahme des Beschwerdeführers bietet keine Anhaltspunkte in diese Richtung. Seine seinerzeitigen Verfolgungsbehauptungen hat der Beschwerdeführer dabei nicht angesprochen und die Frage nach einer Rückkehrgefährdung lediglich damit beantwortet, dass er Moslem sei. Zu Recht wies die belangte Behörde darauf hin, dass eine daraus resultierende maßgebliche Bedrohung im Sinn des § 50 Abs. 1 oder 2 FPG nicht nachvollziehbar ist. Wenn der Beschwerdeführer bezüglich der Einvernahme vom ausführt, die an ihn gerichteten Fragen seien missverständlich formuliert gewesen, so trifft das nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu. Was aber die weitere Rüge anlangt, es sei die Beiziehung eines Dolmetschers unterblieben, so ist zunächst auf die mehrfachen Hinweise in den vorgelegten Verwaltungsakten zu verweisen, wonach der Beschwerdeführer über gute Deutschkenntnisse verfüge. Beispielsweise sei eine - gleichfalls ohne Dolmetscher erfolgte - Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion Wien vom (aus Anlass einer Anzeige wegen Diebstahls) erwähnt, in der ausdrücklich festgehalten worden ist, dass der Beschwerdeführer gut Deutsch spreche. Im Übrigen ist der vom Beschwerdeführer unterfertigten Niederschrift vom an keiner Stelle ein Indiz für Verständigungsprobleme zu entnehmen. Dass der Beschwerdeführer zum Teil keine sinnvollen Antworten gab, reicht für Vermutungen in diese Richtung nicht aus. Vor allem aber führt die Beschwerde nicht aus, was bei Beiziehung eines Dolmetschers vorgebracht worden wäre. Insofern legt sie jedenfalls die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensfehlers nicht dar. Das gilt auch für die weiteren Rügen, die belangte Behörde habe notwendige Ermittlungsschritte unterlassen.
Da die Beschwerde somit insgesamt die behördliche Annahme, dem Beschwerdeführer drohe in Algerien keine maßgebliche Gefährdung (mehr), nicht mit Erfolg in Frage zu stellen vermag, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
GAAAE-83664