VwGH vom 25.11.2015, 2013/10/0227
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der E A in Wien, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-SOZ/53/4205/2013-8, betreffend Mindestsicherung (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid vom wies der Magistrat der Stadt Wien (die Behörde erster Instanz) einen Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gemäß § 5 Wiener Mindestsicherungsgesetz - WMG ab, weil die Beschwerdeführerin als Staatsangehörige von Nigeria "keinen gültigen Aufenthaltstitel zum Bezug von" Mindestsicherung habe.
In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, ihre mit ihr im gemeinsamen Haushalt in Wien lebende Tochter, geboren am , besitze die ungarische Staatsangehörigkeit und sei als Unionsbürgerin grundsätzlich berechtigt, in Österreich Wohnung zu nehmen. Unter Hinweis (u.a.) auf das ( Zhu und Chen ), berief sich die Beschwerdeführerin auf ihr direkt aus der Richtlinie 2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürgerrichtlinie), erfließendes Aufenthaltsrecht, aufgrund dessen sie gemäß § 5 Abs. 2 Z. 2 WMG Inländern gleichgestellt sei.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, aus dem von der Beschwerdeführerin dargestellten Sachverhalt lasse sich nicht ableiten, dass diese Angehörige eines der nach § 5 WMG anspruchsberechtigten Personenkreise wäre. So sei die Beschwerdeführerin unstrittig nicht Staatsangehörige eines EUoder EWR-Staates und verfüge weder über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" oder "Daueraufenthalt-Familienangehöriger" noch über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EG" eines anderen Mitgliedstaates der EU, auf dessen Grundlage eine Niederlassungsbewilligung nach § 49 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG erteilt worden wäre.
Da die Beschwerdeführerin, deren Asylantrag mit Berufungsbescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom abgewiesen worden sei, auch nicht Asylberechtigte bzw. subsidiär Schutzberechtigte nach dem Asylgesetz 2005 sei, werde ihre Berufung abgewiesen.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, allerdings auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.
II.
1. Vorauszuschicken ist, dass auf den vorliegenden, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
2.1. § 5 WMG, LGBl. Nr. 38/2010 idF LGBl. Nr. 16/2013, hat - auszugsweise - folgenden Wortlaut:
"§ 5.
Personenkreis
(1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.
(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:
1. Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte, denen dieser Status nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005) zuerkannt wurde;
2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;
3. Personen mit einem Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' oder 'Daueraufenthalt - Familienangehöriger', denen dieser Aufenthaltstitel nach § 45 oder § 48 NAG erteilt wurde oder deren vor In-Kraft-Treten des NAG erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung als solche gemäß § 81 Abs. 2 NAG in Verbindung mit der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung - NAG-DV) weiter gilt;
4. Personen mit einem Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, denen eine Niederlassungsbewilligung nach § 49 NAG erteilt wurde.
(...)"
2.2. Gemäß § 5 Abs. 2 Z. 2 WMG sind unter der Voraussetzung des rechtmäßigen Aufenthalts und der Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges u.a. Unionsbürger, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 NAG erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben, und "deren Familienangehörige" den österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt und daher anspruchsberechtigt.
Mit dieser Bestimmung stellt das Gesetz - wie der Verwaltungsgerichtshof jüngst mit Erkenntnis vom , Zl. Ro 2014/10/0083, mit näherer Begründung unter Bezugnahme auf das NAG und die Unionsbürgerrichtlinie ausgesprochen hat - auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger ab, deren Aufenthaltsrecht nicht vom Vorhandensein ausreichender Existenzmittel abhängt und die daher für die Gewährung von Mindestsicherung in Betracht kommen. Wenn das Gesetz das Anspruchsrecht auf "deren Familienangehörige" ausdehnt, so sind damit im Sinn der Mindestsicherungsvereinbarung, die vom WMG umgesetzt wurde, jene Personen zu verstehen, denen ein Aufenthaltsrecht nach der Unionsbürgerrichtlinie zukommt, das seine Grundlage in der Stellung als Familienangehörige eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat. Derartige Personen gehören somit zum Kreis der Anspruchsberechtigten gemäß § 5 Abs. 2 Z. 2 WMG.
Der für Angehörige von EWR-Bürgern einschlägige § 54 NAG sieht für deren zum Aufenthalt berechtigte Familienangehörige - in Umsetzung der Unionsbürgerrichtlinie - die Ausstellung einer Aufenthaltskarte vor (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/10/0228).
3. Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zugrunde, die Beschwerdeführerin, die nicht Unions- oder EWR-Bürgerin ist, könne sich nicht auf § 5 Abs. 2 WMG berufen, weil sie keinen der in § 5 Abs. 2 Z. 3 und 4 genannten Aufenthaltstitel vorweisen könne und auch nicht Asylberechtigte bzw. subsidiär Schutzberechtigte nach dem Asylgesetz 2005 sei (vgl. § 5 Abs. 2 Z. 1 WMG).
4. Die Beschwerde bringt dem gegenüber im Wesentlichen vor, die Beschwerdeführerin sei als Familienangehörige ihres Kindes nach § 5 WMG Österreichern gleichzustellen. Der angefochtene Bescheid sei unter anderem deshalb rechtswidrig, weil die belangte Behörde einen ihr am übermittelten Bescheid der Bundesministerin für Inneres, mit dem der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren erteilt worden sei, nicht berücksichtigt habe.
5. Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:
5.1. Aus den Verwaltungsakten ist ersichtlich, dass der belangten Behörde am - und somit vor Erlassung des angefochtenen Bescheides - (unter anderem) ein Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom übermittelt wurde, mit dem der Beschwerdeführerin auf deren Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren erteilt wurde.
Der Begründung dieses Bescheides ist im Kern zu entnehmen, dass sich zufolge des ( Zhu und Chen ), auch ein Kind im Kleinkindalter - wie die Tochter der Beschwerdeführerin - auf die unionsrechtlich gewährleisteten Rechte auf Freizügigkeit und auf Aufenthalt berufen könne, wenn es angemessen krankenversichert sei und ihm Unterhalt von einem Elternteil gewährt werde, der Staatsangehöriger eines Drittstaates sei und dessen Mittel ausreichten, um eine Belastung der öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaates durch den Minderjährigen zu verhindern; in einem solchen Fall sei es auch dem Elternteil, der für diesen Staatsangehörigen tatsächlich sorge, erlaubt, sich mit ihm im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten. Da nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ausreichende Unterhaltsmittel und ein Krankenversicherungsschutz für die Beschwerdeführerin und deren Tochter vorlägen, sei der Beschwerdeführerin in sinngemäßer Anwendung des § 54 NAG eine Aufenthaltskarte auszustellen.
5.2. Die belangte Behörde hat sich in Verkennung des unter Punkt 2.2. Gesagten mit der dem wiedergegebenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom zugrunde liegenden Annahme des Bestehens eines unmittelbar aus der Unionsbürgerrichtlinie abgeleiteten Aufenthaltsrechts der Beschwerdeführerin nicht befasst.
6. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 und der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am