VwGH vom 12.10.2010, 2008/21/0550
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der S, vertreten durch Dr. Manfred Rath, Mag. Gerhard Stingl und Mag. Georg Dieter, Rechtsanwälte in 8020 Graz, Friedhofgasse 20, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 151.378/3- III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den von der Beschwerdeführerin, einer ägyptischen Staatsangehörigen, am im Weg der Österreichischen Botschaft Kairo gestellten Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für den Zweck "Familiengemeinschaft mit Studierendem" gemäß § 69 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG ab.
Begründend führte sie aus, gemäß § 69 Abs. 1 NAG (in der Stammfassung) könne Familienangehörigen und den nachgeborenen Kindern eine abgeleitete Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG erfüllen und im Herkunftsstaat des Drittstaatsangehörigen eine Familiengemeinschaft bestanden habe. Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG sei Familienangehöriger im Sinn dieses Bundesgesetzes, wer Ehegatte oder unverheiratetes minderjähriges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind (Kernfamilie) sei. Da die Beschwerdeführerin erst seit dem verheiratet sei, erfülle sie erst seit diesem Tag die in § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG eindeutig festgelegte Begriffsbestimmung einer Familienangehörigen. Ihr Ehemann, ebenfalls ein Staatsangehöriger Ägyptens, sei jedoch bereits seit dem Jahr 2000 rechtmäßig mit dem Aufenthaltstitel für "Ausbildung" bzw. "Studierender" in Österreich aufhältig. Er sei zuletzt im Besitz einer bis gültigen Aufenthaltsbewilligung "Studierender" gewesen und habe am einen entsprechenden Verlängerungsantrag gestellt.
Der Beschwerdeführerin sei zunächst, nachdem die zuständigen Behörden vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 NAG ausgegangen seien, von der genannten Botschaft ein Visum "D" mit Gültigkeit vom bis ausgestellt worden. Sie sei unter Verwendung dieses Visums in das Bundesgebiet eingereist, sei seit in Graz an der Adresse ihres Ehemannes gemeldet und habe in Österreich ein Kind geboren.
Allerdings habe sich die Beschwerdeführerin - in der an die belangte Behörde gerichteten Berufung - darauf gestützt, mit ihrem nunmehrigen Ehemann seit dem Jahr 2000 verlobt gewesen zu sein. Sie hätte mit ihm vor seiner Einreise in Österreich und auch in den folgenden Jahren (während "Studienferien") ein Familienleben geführt. Es stehe jedoch fest, dass ihr Ehemann seit dem durchgehend mit dem Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet sei. Die Beschwerdeführerin habe erst im April 2006 den gegenständlichen Antrag auf Familiennachzug zu ihrem in Österreich lebenden Ehegatten gestellt. Inwiefern tatsächlich ein Familienleben vor ihrer Einreise nach Österreich stattgefunden habe, sei "auf Grund der Aktenlage und ihren Ausführungen im Berufungsantrag nicht feststellbar". Ebenso seien dem Verwaltungsakt keine konkreten Angaben zum Grad der Integration entnehmbar. Zur Selbsterhaltungsfähigkeit sei auszuführen, dass der österreichische Staatsbürger H. am eine Haftungserklärung abgegeben habe. Der Ehemann der Beschwerdeführerin habe lediglich eine Sparbuchkopie mit einem Einlagenstand am von EUR 3.043,60 vorgelegt. Es sei daher "nicht auszuschließen", dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin "zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft" führen könnte. Bindungen zum Heimatstaat "dürften jedenfalls noch vorliegen", sei die Beschwerdeführerin doch erst im Dezember 2007 nach Österreich eingereist. "Ausreichende humanitäre Gründe iSd § 72 NAG" seien hingegen nicht zu erkennen. Die Voraussetzungen für eine Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels lägen demnach nicht vor.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Vorweg ist anzumerken, dass die Überlegungen der belangten Behörde zu den finanziellen Verhältnissen der Beschwerdeführerin zwar im Zusammenhang mit § 72 NAG erfolgten und nicht erkennen lassen, sie erachte die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG als nicht erfüllt.
§ 69 Abs. 1 Satz 1 NAG in der - nach dem Zeitpunkt der Bescheiderlassung anzuwendenden - Stammfassung lautete:
"Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft
§ 69. (1) Bestand im Herkunftsstaat des Drittstaatsangehörigen eine Familiengemeinschaft, so kann seinen Familienangehörigen und seinen nachgeborenen Kindern eine abgeleitete Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen."
Die Regierungsvorlage zum Fremdenrechtspaket 2005 (952 BlgNR 22. GP 146) führt dazu auszugsweise aus:
"Unbeschadet jener Fälle, in denen eine Familienzusammenführung unter Beachtung der Bestimmungen zur Richtlinie betreffend des Rechts auf Familienzusammenführung und zur Richtlinie über das Recht der Unionsbürger und deren Familienangehörigen erfolgt, soll Fremden mit einer Aufenthaltsbewilligung nur die Aufrechterhaltung einer Familiengemeinschaft ermöglicht werden, die im Herkunftsstaat bereits bestanden hat. ..."
Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG in der Stammfassung ist unter einem "Familienangehörigen" u.a. der Ehegatte zu verstehen.
Wenn § 69 Abs. 1 NAG in der dargestellten Fassung auf den Bestand einer Familiengemeinschaft im Herkunftsstaat des Drittstaatsangehörigen abstellte, so sollten damit offenkundig nur jene Fälle von der Erteilung einer "abgeleiteten Aufenthaltsbewilligung" ausgeschlossen werden, in denen die Familiengemeinschaft erst in Österreich entstanden ist.
Die vorliegende Beschwerde rügt von daher zu Recht als Mangelhaftigkeit des Verfahrens, dass die - auf Grund des wiedergegebenen Berufungsvorbringens gebotene - Prüfung des früheren Bestehens einer Familiengemeinschaft der Beschwerdeführerin mit ihrem Ehemann iSd § 69 Abs. 1 NAG in dessen Herkunftsstaat (bei gemeinsamen Aufenthalten in Ägypten, nach dem Vorbringen während "Studienferien") unterblieben ist.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen des aufgezeigten relevanten Verfahrensmangels gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
KAAAE-83427