VwGH vom 18.02.2009, 2008/21/0548

VwGH vom 18.02.2009, 2008/21/0548

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. Evamaria Sluka-Grabner, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Herzog Leopold-Strasse 12, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Kiew vom , betreffend Versagung eines Visums, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach dem Inhalt der Beschwerde und des mit ihr vorgelegten angefochtenen Bescheides ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Ukraine, stellte am bei der österreichischen Botschaft in Kiew den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines Visums zum Zweck des Besuchs ihrer in Österreich lebenden Schwester und von deren Ehemann, einem österreichischen Staatsangehörigen. Sie legte dazu diverse Unterlagen vor, unter anderem eine entsprechende Verpflichtungserklärung ihres einladenden Schwagers. Aus den vorgelegten Dokumenten ergab sich auch, dass die Beschwerdeführerin in aufrechter Ehe, der zwei Kinder im Alter von zweieinhalb und zehn Jahren entstammen, verheiratet ist.

Mit Schreiben vom teilte die genannte Botschaft der Beschwerdeführerin mit, dem Antrag könne nicht stattgegeben werden, weil Grund zur Annahme bestehe, dass die Beschwerdeführerin im Verfahren zur Erteilung eines Visums über ihre wahre Identität, ihre Staatsangehörigkeit oder die Echtheit ihrer Dokumente zu täuschen versucht habe und dass die Beschwerdeführerin das Bundesgebiet nach Ablauf der Gültigkeit des Visums nicht unaufgefordert verlassen werde.

Mit der hierauf noch am selben Tag erstatteten Stellungnahme der Beschwerdeführerin ersuchte sie, man möge ausführlich begründen, aufgrund welcher Dokumente die unterstellte Täuschungshandlung festgestellt worden sei. Sämtliche Unterlagen seien nämlich echt und richtig.

Ohne weiteres Verfahren wies die Österreichische Botschaft Kiew (die belangte Behörde) den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung des begehrten Visums mit dem angefochtenen Bescheid vom unter Verwendung eines formularmäßigen Vordrucks ab. Dabei wurde durch Ankreuzen des dafür vorgesehenen Feldes zum Ausdruck gebracht, dass die belangte Behörde die Erteilungsvoraussetzung nach § 21 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG als nicht erfüllt erachtete, weil Grund zur Annahme bestehe, dass die Wiederausreise nicht gesichert scheine.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, nach deren Einlangen mit Verfügung vom das Vorverfahren mit dem Auftrag an die belangte Behörde eingeleitet wurde, binnen vier Wochen eine Gegenschrift einzubringen und die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen. Dieser Auftrag war mit dem Hinweis auf die Bestimmung des § 38 Abs. 2 VwGG, wonach der Verwaltungsgerichtshof im Falle des Unterbleibens einer fristgerechten Aktenvorlage berechtigt sei, auf Grund der Beschwerdebehauptungen zu erkennen, verbunden.

Trotz zweimaliger, unter Fristsetzung erfolgter Urgenzen, die neuerlich mit dem Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 38 Abs. 2 VwGG vorgenommen worden waren, erstattete die belangte Behörde weder eine Gegenschrift noch legte sie die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Nach § 38 Abs. 2 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof, wenn - wie hier - die Behörde die Akten nicht vorgelegt hat und auf diese Säumnisfolge vorher ausdrücklich hingewiesen worden war, auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers erkennen. Der Verwaltungsgerichtshof kann den vorliegenden Beschwerdefall daher auf der Grundlage der mit der Beschwerde vorgelegten Aktenbestandteile (angefochtener Bescheid) und der Sachverhaltsangaben in der Beschwerde entscheiden; dabei ist vom Grundsatz auszugehen, dass eine Unvollständigkeit der Akten bzw. Zweifel über deren Inhalt sich nicht zum Nachteil der Beschwerdeführerin auswirken dürfen. Entscheidet der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 38 Abs. 2 VwGG auf Grund der Behauptungen in der Beschwerde, so hat er deren Richtigkeit nicht zu prüfen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 95/04/0030, und vom , Zl. 2002/05/1002).

Die Bestimmung des § 21 FPG enthält unter anderem die (allgemeinen) Voraussetzungen für die Erteilung von Visa; deren Abs. 1 Z 2 lautet:

"Erteilung von Visa

§ 21. (1) Visa dürfen einem Fremden auf Antrag erteilt werden, wenn

...

2. die Wiederausreise des Fremden gesichert erscheint;"

Die belangte Behörde begründete - wie oben dargestellt - die Versagung des Visums nur mit dem Hinweis auf die für maßgeblich angesehene Gesetzesstelle, nämlich auf § 21 Abs. 1 Z 2 FPG. Das allein stellt zwar vor dem Hintergrund der besonderen Regeln für das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden (vgl. § 11 Abs. 2 iVm Abs. 6 letzter Satz FPG) - wie auch die Beschwerdeführerin erkennt - noch keinen Begründungsmangel dar, weil es danach genügt, dass der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt zumindest im Akt nachvollziehbar ist (vgl. ausführlich den hg. Beschluss vom , Zl. 2007/21/0216). Das kann aber im vorliegenden Fall schon deshalb nicht gesagt werden, weil keine Aktenteile vorgelegt wurden, aus denen sich nachvollziehbare Anhaltspunkte für die behördliche Annahme finden ließen, die Wiederausreise der Beschwerdeführerin scheine nicht gesichert.

Im Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0104, beschäftigte sich der Verwaltungsgerichtshof näher mit der Erteilungsvoraussetzung nach § 21 Abs. 1 Z 2 FPG. Zunächst kann daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen werden. Insbesondere wurde dort zum Ausdruck gebracht, es dürfe nicht ohne Weiteres ("generell") unterstellt werden, dass Fremde - mag es auch einzelne Gesichtspunkte geben, die auf ein Naheverhältnis zu Österreich oder auf eine bloß "lockere" Verbindung zum Herkunftsland hinweisen - unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin in Österreich (unrechtmäßig) aufhältig bleiben werden. Es bedürfe vielmehr konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung, andernfalls werde davon auszugehen sein, dass die Wiederausreise des Fremden gesichert erscheint (vgl. in diesem Sinne im Anschluss an die genannte Entscheidung auch das Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0207). Liegen allerdings entsprechende Anhaltspunkte für den Verdacht eines Verbleibens in Österreich über die Gültigkeitsdauer des Visums hinaus vor, welche die Behörde im Rahmen ihrer sich aus § 11 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG resultierenden Verpflichtung zur Wahrung des Parteiengehörs gegenüber dem Fremden konkret darzulegen hat, so ist es dessen Sache, die sich daraus ergebenden Bedenken durch unter Beweis zu stellendes geeignetes Vorbringen zu zerstreuen.

Da die belangte Behörde nach der maßgeblichen Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerde der genannten Verpflichtung, im Rahmen des Parteiengehörs konkret die Gründe für die Annahme einer nicht gesicherten Wiederausreise darzulegen, nicht nachgekommen war, musste die Beschwerdeführerin insoweit auch keine ergänzenden Nachweise erbringen (vgl. in diesem Zusammenhang auch das Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0229). Dazu bestand auch deshalb kein Anlass, weil sich aus den Antragsunterlagen ergab, dass die Beschwerdeführerin ausreichende familiäre Bindungen zum Heimatstaat aufweist, die gegen einen Verbleib in Österreich über die Visumsdauer hinaus sprechen. Im Übrigen soll die Beschwerdeführerin - folgt man ihrem Vorbringen in der Beschwerde - in ihrer Heimatstadt seit September 2007 in einem mit der Herstellung landwirtschaftlicher Geräte befassten Unternehmen als Buchhalterin aufrecht beschäftigt sein. Geht man im Sinne der eingangs erwähnten Zweifelsregel davon aus, dass es sich insoweit nicht um eine (im Sinne des § 41 Abs. 1 erster Satz unzulässige) Neuerung handelt, bestehen somit weitere Anhaltspunkte, die im Widerspruch zur behördlichen Annahme einer nicht gesicherten Wiederausreise stehen.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben ist.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Abschließend ist zur formularmäßigen Rechtsmittelbelehrung des bekämpften Bescheides noch darauf hinzuweisen, dass gegen Bescheide der österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten - abgesehen von der für begünstigte Drittstaatsangehörige vorgesehenen Berufungsmöglichkeit an den unabhängigen Verwaltungssenat nach § 9 Abs. 4 FPG - nicht nur Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, sondern gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG (bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen) auch an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden kann.

Wien, am