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VwGH vom 19.05.2011, 2008/21/0547

VwGH vom 19.05.2011, 2008/21/0547

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich in 3100 St. Pölten, Neue Herrengasse 15, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat- FR-08-3050, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: K), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger der Ukraine, reiste mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen, 2001 in Finnland geborenen Kind am nach Österreich ein. Er stellte einen Asylantrag, in dem er u.a. geltend machte, dass für die Tochter in Finnland keine Geburtsurkunde ausgestellt worden sei, weshalb die ukrainischen Behörden die Elternschaft des Mitbeteiligten und seiner Lebensgefährtin angezweifelt hätten und die gemeinsame Tochter hätten entziehen wollen.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag ab und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Mitbeteiligten in die Ukraine fest; zugleich wies es den Mitbeteiligten in die Ukraine aus. Bereits am stellte der Mitbeteiligte einen (weiteren) Antrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesasylamt - verbunden mit einer neuerlichen Ausweisung in die Ukraine - mit Bescheid vom gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Die dagegen erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom ab.

Mit Bescheid vom war gegen den Mitbeteiligten zur Sicherung seiner Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung das gelindere Mittel der Unterkunftnahme in einem bestimmten Gasthof angeordnet worden. Er entzog sich am gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und der gemeinsamen Tochter diesem gelinderen Mittel und verließ Österreich.

Am wurden der Mitbeteiligte, seine Lebensgefährtin und das gemeinsame Kind nach der Dublin II-Verordnung aus Finnland nach Österreich überstellt. Im Anschluss daran verhängte die Bundespolizeidirektion Schwechat mit Bescheid vom gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG gegen die genannten Personen die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung. Sie führte - jedenfalls bezüglich des Mitbeteiligten -

aus, auf Grund der Tatsache, dass er sich bereits am nach Verhängung des gelinderen Mittels einem fremdenpolizeilichen Verfahren entzogen habe, sei davon auszugehen, dass er sich bei Belassung auf freiem Fuß neuerlich dem Zugriff der Fremdenpolizeibehörden entziehen und versuchen werde, illegal im Bundesgebiet bzw. Schengengebiet Aufenthalt zu nehmen.

Der Mitbeteiligte erhob Schubhaftbeschwerde. Darin brachte er u. a. vor, er habe 2007 Österreich verlassen, um nach Finnland zu reisen; er habe gehofft, dass die finnischen Behörden "bei Vorlage der Beweismittel und Darlegung der Probleme", die sie auf Grund der fehlenden Geburtsurkunde in den vergangenen Jahren gehabt hätten, entweder eine Geburtsurkunde für das Kind ausstellen oder ihnen Schutz in Finnland gewähren würden. Da sich diese Hoffnung durch die Rücküberstellung nach Österreich zwischenzeitlich zerschlagen habe, bestehe keine Gefahr, dass sich der Mitbeteiligte erneut einem fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen werde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom gab der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) der Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG Folge; es werde festgestellt, "dass die Verhängung sowie der Vollzug der Schubhaft unverhältnismäßig waren und sohin mit Rechtswidrigkeit belastet sind.".

Über die gegen diesen Bescheid gemäß § 10 FPG erhobene Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde - der Mitbeteiligte sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab - erwogen:

Die belangte Behörde begründete ihre stattgebende (und erkennbar die Unzulässigkeit der Fortsetzung der Haft aussprechende) Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Lebensgefährtin des Mitbeteiligten und die gemeinsame Tochter - nach Entlassung aus der Schubhaft am - wieder in die Bundesbetreuung aufgenommen worden seien. Es sei nicht zu erkennen, inwieweit die Tatsache, dass sich der Mitbeteiligte, seine Lebensgefährtin und die gemeinsame Tochter "in zurückliegender Zeit trotz Anwendung eines gelinderen Mittels nach Finnland begeben hatten", im Falle des Mitbeteiligten derart von Relevanz sei, dass dieser zwingend in Schubhaft zu nehmen sei, während seine Angehörigen trotz identer Sachverhaltslage in die Grundversorgung übernommen hätten werden können. Vielmehr scheine "bei derartiger Konstellation" nicht zwingend von der Gefahr des Untertauchens auszugehen zu sein, zumal die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht a priori aussichtslos erscheine; die seinerzeitige Ausreise nach Finnland habe nämlich "primär dem Versuch einer Dokumentenbeschaffung für die Tochter und nicht schlichtweg dem Abtauchen in die Illegalität" gedient.

Die beschwerdeführende Sicherheitsdirektion hält dieser Argumentation entgegen, dass der Mitbeteiligte bei einer aus Anlass eines weiteren Antrags auf internationalen Schutz erfolgten Befragung am angegeben habe, sich nach Untertauchen aus dem gelinderen Mittel zunächst nach Deutschland begeben und dort um Asyl angesucht zu haben; im Herbst 2007 sei er nach Schweden weitergefahren und habe dort ebenfalls Asyl beantragt; Ende Jänner 2008 sei er schließlich nach Finnland gereist, um dort erneut einen Asylantrag zu stellen. Angesichts dieser mehrmaligen Asylantragstellung in EU-Staaten könne die Annahme, dass die Weiterreise nach Finnland primär der Dokumentenbeschaffung gedient habe, nicht als ausreichend angesehen werden, um den von der Bundespolizeidirektion Schwechat angenommenen Sicherungsbedarf im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung "neuerlich auf die Verhängung des gelinderen Mittels zu reduzieren".

Die eben wiedergegebenen Beschwerdeausführungen sind insofern neu, als sie in der zur seinerzeitigen Schubhaftbeschwerde erstatteten Stellungnahme der Bundespolizeidirektion Schwechat nicht enthalten waren. Den der belangten Behörde zur Verfügung stehenden AIS-Auszügen betreffend den Mitbeteiligten wäre allerdings zu entnehmen gewesen, dass seitens der österreichischen Asylbehörden Zustimmungserklärungen zur "Dublinrücknahme" des Mitbeteiligten abgegeben worden waren, und zwar am an Deutschland und am an Schweden. Außerdem lag der belangten Behörde ein Schreiben der finnischen Behörden vor, wonach sich der Mitbeteiligte und seine Lebensgefährtin geweigert hätten, einem Termin bei der ukrainischen Botschaft zwecks Erlangung eines Staatsbürgerschaftsnachweises für ihre Tochter nachzukommen. Ausgehend von diesen Umständen durfte die belangte Behörde aber nicht ohne Weiteres zugrunde legen, die Entfernung des Mitbeteiligten aus dem seinerzeitigen gelinderen Mittel im Sommer 2007 hätte primär den Zweck gehabt, für die Tochter in Finnland Dokumente zu beschaffen. Da der angefochtene Bescheid wesentlich auf dieser Annahme beruht, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am