VwGH vom 22.03.2011, 2008/21/0539
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde 1. des E, und 2. des S, beide vertreten durch Dr. Peter Kaliwoda, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten - Spratzern, Freiligrathstraße 1, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 318.317/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel,
Spruch
I) den Beschluss gefasst:
Die vom Erstbeschwerdeführer erhobene Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.
II) zu Recht erkannt:
Die vom Zweitbeschwerdeführer erhobene Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Bund zur ungeteilten Hand Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1967 geborene Erstbeschwerdeführer, ein österreichischer Staatsbürger, ist auf Grund rechtskräftigen Beschlusses des Bezirksgerichtes St. Pölten vom Adoptivvater des am geborenen Zweitbeschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Albanien.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde (ausschließlich) gegenüber dem Zweitbeschwerdeführer den von diesem am gestellten (Haupt )Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 19 Abs. 1, § 21 Abs. 1 sowie § 2 Abs. 1 Z. 9 iVm § 47 Abs. 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG ab.
Begründend führte sie aus, gemäß § 19 Abs. 1 NAG seien Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels persönlich bei der Behörde zu stellen. Da der vorliegende Antrag "via Rechtsvertreter" eingebracht worden sei, habe er dem Erfordernis der genannten Gesetzesstelle nicht entsprochen.
Die belangte Behörde legte weiter dar, der Zweitbeschwerdeführer sei unter Verwendung eines Visums der Kategorie C, ausgestellt von der Österreichischen Botschaft Tirana, das vom 17. August bis zum gültig gewesen sei, in das österreichische Bundesgebiet eingereist und habe hier unter Bezugnahme auf den genannten Adoptionsbeschluss vom die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" (§ 47 Abs. 2 NAG) beantragt. In der Folge sei er aus Österreich ausgereist, sei doch aktenkundig, dass er (mit Geltung vom 27. Februar bis zum ) neuerlich über ein von der Österreichischen Botschaft Tirana ausgestelltes "Visum für Schengener Staaten" verfügt habe. Allerdings liege seit eine durchgehende Meldung des Zweitbeschwerdeführers in St. Pölten vor. Damit stehe § 21 Abs. 1 NAG der Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung" für den Zweitbeschwerdeführer, der bereits am die Volljährigkeit erreicht habe, entgegen.
Der Begriff eines Familienangehörigen iSd § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG - so die belangte Behörde weiter - umfasse Ehegatten und unverheiratete minderjährige Kinder einschließlich Adoptiv- oder Stiefkinder (Kernfamilie). Da für aufenthaltsrechtliche Verfahren grundsätzlich die Rechts- und Sachverhaltslage zum Zeitpunkt der Entscheidung ausschlaggebend sei, sei somit eine Subsumtion des Zweitbeschwerdeführers unter § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG nicht mehr möglich. Der Zweitbeschwerdeführer gelte demnach nicht als Familienangehöriger im Sinn dieser Definition, weshalb eine Familienzusammenführung mit seinem österreichischen Wahlvater nicht stattfinden und der gewünschte Aufenthaltstitel nach § 47 Abs. 2 NAG (auch deshalb) nicht erteilt werden könne.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Zu I):
Der angefochtene, im Instanzenzug ergangene Bescheid der belangten Behörde spricht ausschließlich über den vom Zweitbeschwerdeführer gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ab. Da der Entscheidungsgegenstand des ausdrücklich nur gegenüber dem Zweitbeschwerdeführer erlassenen Bescheides in diesem Sinn eindeutig ist, kommt dessen Ausweitung (auf den Erstbeschwerdeführer, den österreichischen Adoptivvater des Zweitbeschwerdeführers) nicht in Betracht. Dieser konnte durch den angefochtenen Bescheid, der nicht einmal an ihn gerichtet war, nicht in seinen Rechten verletzt werden (vgl. insoweit etwa das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2009/21/0125 bis 0127, mwN).
Die von ihm dennoch erhobene Beschwerde erweist sich somit als unzulässig, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 4 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen war.
Zu II):
§ 19 Abs. 1 NAG sieht vor, dass Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels persönlich bei der Behörde zu stellen sind. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter einzubringen.
Der Zweitbeschwerdeführer macht dazu geltend, er selbst habe den gegenständlichen Antrag (wenn auch anwaltlich vertreten) persönlich - in Gegenwart seines Adoptivvaters - eingebracht.
Dieses Vorbringen wird durch den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten weder bestätigt noch widerlegt. Jedenfalls hat die Erstbehörde ihre abweisende Entscheidung nicht auf eine Verletzung des § 19 Abs. 1 NAG gestützt. Die belangte Behörde wäre daher, um ihre Entscheidung mängelfrei auf die genannte Bestimmung zu stützen, gehalten gewesen, dem Zweitbeschwerdeführer zu diesem erstmals herangezogenen "Abweisungsgrund" rechtliches Gehör einzuräumen und seine persönliche Anwesenheit bei der Einbringung des Antrages abzuklären.
Selbst wenn diese Prüfung zu dem Ergebnis geführt hätte, der Zweitbeschwerdeführer wäre bei der Antragstellung nicht persönlich vor der erstinstanzlichen Niederlassungsbehörde erschienen, ist der Argumentation des angefochtenen Bescheides weiter entgegenzuhalten, dass § 19 Abs. 1 erster Satz NAG ein Formalerfordernis begründet, dessen Missachtung nicht zur sofortigen (richtig:) Zurückweisung führen darf, sondern einer Verbesserung nach § 13 Abs. 3 AVG zugänglich ist. Die - fristwahrende - Verbesserung hat in einer persönlichen Bestätigung der Antragstellung bei der erstinstanzlichen Behörde zu bestehen. Einer auf § 19 Abs. 1 NAG gegründeten Zurückweisung des Antrages hätte daher ein Verbesserungsverfahren vorangehen müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0073, mwN).
Die belangte Behörde wirft dem Zweitbeschwerdeführer außerdem vor, die Entscheidung über seinen Antrag entgegen § 21 Abs. 1 Satz 2 NAG nicht im Ausland abgewartet zu haben. Dies widerspricht jedoch den wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides, der Zweitbeschwerdeführer sei - ohne dass eine neuerliche Einreise festgestellt worden wäre - nach der Antragstellung (die gemäß § 21 Abs. 2 Z 1 NAG zulässigerweise im Inland erfolgte) aus dem Bundesgebiet ausgereist.
Diese Mängel des Verfahrens haben jedoch aus folgenden Überlegungen keinen Einfluss auf die Richtigkeit des den Antrag des Zweitbeschwerdeführers abweisenden angefochtenen Bescheides:
Der Zweitbeschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren einen auf § 47 Abs. 2 NAG gestützten Hauptantrag und einen Eventualantrag nach § 47 Abs. 3 NAG gestellt. Die erstinstanzliche Abweisung des Eventualantrages hat er weder in der an die belangte Behörde gerichteten Berufung bekämpft, noch macht er den genannten Eventualantrag zum Gegenstand der vorliegenden Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Der Hauptantrag gemäß § 47 Abs. 2 NAG konnte jedoch schon im Hinblick auf die Volljährigkeit des Zweitbeschwerdeführers im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht erfolgreich sein.
Bezugnehmend auf die behördlichen Überlegungen zu § 2 Abs. 1 Z. 9 in Verbindung mit § 47 Abs. 2 NAG bringt der Zweitbeschwerdeführer insoweit vor, dass er rechtskräftig von einem Österreicher adoptiert und im Zeitpunkt seiner Antragstellung noch minderjährig, also erst bei Erlassung des erstinstanzlichen sowie des (eine dagegen erhobene Berufung abweisenden) angefochtenen Bescheides volljährig gewesen sei. Er verweist darauf, dass ein gerichtlich genehmigter Adoptionsvertrag rückwirkend wirksam werde. So wie er im gerichtlichen Verfahren außer Streitsachen jedenfalls, auch wenn "die Entscheidung des BG St. Pöltens hinsichtlich der Adoption nach der Großjährigkeit (des Zweitbeschwerdeführers), am , gefallen wäre", als Minderjähriger iSd § 180a Abs. 1 erster Satz ABGB (und nicht als eigenberechtigtes Wahlkind iSd zweiten Satzes dieser Bestimmung) zu behandeln gewesen wäre, müsste auch im hier zu beurteilenden Verwaltungsverfahren stets auf den Zeitpunkt der Antragstellung () abgestellt werden. Andernfalls läge es im Belieben der Behörde, "durch langsames oder rasches Arbeiten" eine andere Rechtsfolge (Anwendung des § 47 Abs. 3 statt des § 47 Abs. 2 NAG) herbeizuführen.
Diese Überlegungen erweisen sich rechtlich in mehrfacher Weise als unzutreffend:
Schon für die Beurteilung der Voraussetzungen der Adoption ist nämlich der Zeitpunkt der gerichtlichen Beschlussfassung entscheidend. So wurde in der oberstgerichtlichen Judikatur zu § 180a Abs. 1 ABGB die Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Wahlkindes zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausdrücklich abgelehnt, wenn das Wahlkind zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt bereits die Volljährigkeit erreicht hatte. Die Annahme an Kindes statt komme nämlich durch zwei streng auseinander zu haltende Akte zustande: 1. Abschluss eines schriftlichen Vertrags und 2. gerichtliche Bewilligung der Annahme. Eine nur auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abstellende und daher während des Bewilligungsverfahrens eintretende Umstände außer Acht lassende Beurteilung der gesetzlich geforderten Voraussetzungen für eine Adoption komme nicht in Betracht, sofern nicht der ausdrücklich geregelte spezielle Fall des Todes des Annehmenden nach Abschluss des Adoptionsvertrags (§ 179a dritter Satz ABGB) eintrete (vgl. dazu etwa die Beschlüsse des Obersten Gerichtshofes vom , 2 Ob 201/06g, und vom , 2 Ob 37/06i, jeweils mwN).
Aus zivilrechtlichen Erwägungen lässt sich für den Zweitbeschwerdeführer damit nichts gewinnen. Davon abgesehen richtet sich die für die Beurteilung eines Bescheides maßgebende Sach- und Rechtslage gemäß der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig nach dem Zeitpunkt seiner Erlassung, also der Zustellung an die Partei. Dieser Grundsatz wurde auch auf Fälle der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG angewendet (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/22/0296, und vom , Zl. 2010/22/0156 mwN). In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt klargestellt, dass für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 NAG das Vorliegen der Minderjährigkeit noch im Entscheidungszeitpunkt und nicht zur Zeit der Antragstellung maßgeblich sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0882, mwN).
Die im vorliegenden Beschwerdeverfahren rechtlich maßgebliche Zustellung des angefochtenen Bescheides ist am erfolgt. Damals war die erwähnte - dessen Minderjährigkeit zu Grunde legende - Adoption des Zweitbeschwerdeführers durch den Erstbeschwerdeführer (mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichtes St. Pölten vom ) wirksam, jedoch war die Volljährigkeit des Zweitbeschwerdeführers bereits eingetreten.
Soweit die Beschwerde (vor allem) der Erstbehörde in diesem Zusammenhang Willkür (Zuwarten mit der Entscheidung) vorwirft, kann sie hieraus nichts gewinnen: Aus der zwischen Antragstellung (am ) und Eintritt der Volljährigkeit () verstrichenen Zeit ist nämlich keine ungebührliche Verzögerung ableitbar (vgl. etwa den zitierten Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom ). Späterem Zuwarten fehlt die Kausalität für die Anwendung des § 47 Abs. 3 statt des § 47 Abs. 2 NAG auf die vorliegende Rechtssache.
Die begehrte Erteilung eines Aufenthaltstitels an den Zweitbeschwerdeführer gemäß § 47 Abs. 2 NAG scheitert nach dem Gesagten am Fehlen von dessen Minderjährigkeit im maßgebenden Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides, weil ihm im Hinblick darauf nicht mehr die Stellung eines Familienangehörigen iSd § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG zukommt.
Der Zweitbeschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid nicht im geltend gemachten Recht auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach § 47 Abs. 2 NAG verletzt worden, sodass die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich gegenüber beiden Beschwerdeführern auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
IAAAE-83406