VwGH vom 30.08.2011, 2008/21/0538
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des D, vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 317.974/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1963 geborene Beschwerdeführer ist kroatischer Staatsangehöriger. Er reiste, nachdem er sich - den Meldedaten zufolge - schon in den Jahren 2001 und 2002 vorübergehend in Österreich aufgehalten hatte, im Jahr 2003 wieder in das Bundesgebiet ein. Am heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin; diese Ehe wurde mit dem seit rechtskräftigen Gerichtsbeschluss wieder (einvernehmlich) geschieden.
Im Hinblick auf diese Ehe hatte der Beschwerdeführer am einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gestellt, die ihm zunächst bis zuerkannt wurde. Zuletzt verfügte der Beschwerdeführer über eine bis befristete Niederlassungsbewilligung für "jeglichen Aufenthaltszweck (§ 13 Abs. 2 FrG)". Am stellte der Beschwerdeführer sodann bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz den gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt".
Die genannte Behörde hielt dem Beschwerdeführer vor, dass der nach Ablauf der im § 24 Abs. 2 NAG genannten Frist gestellte Antrag als Erstantrag zu werten sei und daher im Ausland hätte eingebracht werden müssen. Dazu brachte der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom vor, er sei seit seiner Einreise durchgehend erwerbstätig, habe nie öffentliche Mittel zur Deckung des Lebensunterhalts in Anspruch genommen und sei seit als Eisenleger selbständig tätig; er sei Arbeitgeber für insgesamt zwölf Personen. Das Arbeitsmarktservice habe dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom eine bis befristete "Arbeitserlaubnis" erteilt, wobei er (irrtümlich) davon ausgegangen sei, damit gelte auch sein Aufenthaltstitel automatisch als verlängert. In Österreich seien sein Bruder, ein österreichischer Staatsbürger, seit 18 Jahren und seine Schwester seit 40 Jahren sowie deren Kinder, ebenfalls österreichische Staatsbürger, aufhältig. Der Beschwerdeführer habe zu diesen Angehörigen "intensiven familiären Kontakt". Die Ausreise und die Auslandsantragstellung mit der damit verbundenen monatelangen Wartezeit im Ausland seien ihm nicht zumutbar, weil er die Geschäftstätigkeit seines mühsam aufgebauten Betriebes einstellen müsste. Sämtliche Aufträge und alle Arbeitsplätze würden verloren gehen. Der Beschwerdeführer erfülle alle für die Erteilung des Aufenthaltstitels notwendigen Voraussetzungen. Die allenfalls verspätete Antragstellung könne nicht dazu führen, dass er hier die Lebensgrundlage verliere, nur um einem rein formellen Erfordernis nachzukommen. Das Beharren auf einer Auslandsantragstellung würde die wirtschaftliche und persönliche Existenz des Beschwerdeführers und seiner Arbeitnehmer zerstören. Dies sei unverhältnismäßig und widerspreche öffentlichen Interessen und den Vorgaben des Art. 8 EMRK. Abschließend stellte der Beschwerdeführer - neben einem Wiedereinsetzungsantrag - den Antrag, die Inlandsantragstellung zuzulassen und den beantragten Aufenthaltstitel zu erteilen.
Mit Bescheid vom wies die Bezirkshauptmannschaft Bregenz den Antrag auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung gemäß § 24 Abs. 2 und § 21 Abs. 1 NAG ab.
Im Zuge des Verfahrens über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung brachte er mit Schriftsatz vom ergänzend vor, er habe am seine langjährige Lebensgefährtin, eine österreichische Staatsbürgerin, geheiratet und er legte dazu die Heiratsurkunde und den Staatsbürgerschaftsnachweis vor. Rechtlich vertrat er die Auffassung, er sei als Ehegatte einer österreichischen Staatsbürgerin zur Inlandsantragstellung berechtigt.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 21 Abs. 1 NAG ab.
Die belangte Behörde ging von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt aus und stützte ihre Ansicht, es handle sich um einen Erstantrag, auf § 24 Abs. 2 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung). Nach dieser Bestimmung gelten Anträge, die nach Ablauf des Aufenthaltstitels gestellt werden, nur dann als Verlängerungsanträge, wenn sie spätestens sechs Monate nach dem Ende der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels gestellt wurden; danach gelten sie als Erstanträge. Es sei daher - so begründete die belangte Behörde weiter - § 21 Abs. 1 NAG zu beachten, wonach Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen seien und die Entscheidung darüber dort abzuwarten sei. Es stehe jedoch fest, dass der Beschwerdeführer den Antrag persönlich bei der Erstbehörde eingebracht und sich auch danach in Österreich aufgehalten habe.
Bei der - wegen der Mitteilung über die nunmehrige Eheschließung erforderlichen - Interessenabwägung gehe die belangte Behörde davon aus, dass zwar durch den Aufenthalt seiner Gattin im Bundesgebiet familiäre Bindungen in Österreich bestünden. Da dem Beschwerdeführer aber kein Aufenthaltsrecht zukomme und es sich um einen Erstantrag handle, könne im vorliegenden Fall jedoch nicht von einer Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gesprochen werden.
Des Weiteren könne die Behörde - so die weitere Begründung des angefochtenen Bescheides sinngemäß - zwar gemäß § 74 NAG von Amts wegen einen im Inland gestellten Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt seien, also in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen. Darauf bestehe jedoch kein subjektiver Anspruch und daher bestehe auch kein durchsetzbares Recht auf eine Inlandsantragstellung.
Aus dem Berufungsschreiben sei ersichtlich, dass der Beschwerdeführer seit über vier Jahren rechtmäßig in Österreich lebe und seit der Einreise durchgehend erwerbstätig gewesen sei. Außerdem sei der Beschwerdeführer sozial integriert, beruflich erfolgreich und die nächsten Verwandten hielten sich hier auf. Daher sei eine Überprüfung im Sinne des § 72 NAG durchgeführt worden.
Das Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland und die Integration in Österreich stellten aber keine Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall dar. Es werde "daher" festgestellt, dass hier kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sei. Eine Inlandsantragstellung werde nicht zugelassen.
Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde abschließend - die Entscheidung über seinen Antrag im Ausland abwarten müssen, weshalb die Antragsabweisung durch die Erstbehörde zu Recht vorgenommen worden sei. Der Gesetzgeber habe bereits bei Erlassung dieser Bestimmung auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich sei.
Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an ihn erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B 831/08-5, abgelehnt. Über gesonderten Antrag hat er die Beschwerde sodann mit Beschluss vom dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag erst nach Ablauf der im § 24 Abs. 2 NAG (in der Stammfassung) genannten Frist von sechs Monaten eingebracht hat. Ein mehr als sechs Monate nach dem Ende der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels gestellter Antrag gilt aber nicht als Verlängerungsantrag, sondern als Erstantrag. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0878). Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die gemäß § 24 NAG gesetzte Frist kommt - wie zu diesem vom Beschwerdeführer auch gestellten Antrag, dessen Nichterledigung in der Beschwerde kritisiert wird, anzumerken ist - nach der im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtslage vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 nicht in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0105, mwN).
Für Erstanträge normiert § 21 Abs. 1 NAG die Verpflichtung, den Antrag vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und die Entscheidung über den Antrag im Ausland abzuwarten. Diese Bedingungen hat der Beschwerdeführer in Bezug auf den gegenständlichen Antrag unstrittig nicht erfüllt.
Das Recht, die Entscheidung über seinen Antrag im Inland abzuwarten, käme daher für den Beschwerdeführer nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Danach ist die Inlandsantragstellung - einschließlich des Abwartens der Entscheidung über den Antrag im Inland - in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen (§ 72 Abs. 1 NAG) von Amts wegen zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. Der (mit BGBl. I Nr. 29/2009 aufgehobene) § 72 NAG stellte insbesondere auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen einen Aufenthaltstitel zu erteilen. Ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" im Sinne dieser Bestimmung liegt auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Verbleib in Österreich besteht (siehe zum Ganzen aus der letzten Zeit etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0480, mwN).
Demnach ist die belangte Behörde zunächst unzutreffend davon ausgegangen, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Zulassung der "Inlandsantragstellung" kein durchsetzbarer Anspruch besteht. Es ist aber auch der im angefochtenen Bescheid weiters vertretenen Auffassung, die Integration des Fremden in Österreich und fehlende Bindungen zum Heimatstaat könnten "keine Grundlage" für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall iSd § 72 NAG darstellen und ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers sei entbehrlich, für die hier maßgebliche Rechtslage nicht beizutreten.
Ausgehend von dieser unrichtigen Rechtsmeinung hat die belangte Behörde die gebotene Interessenabwägung unterlassen. Sie hat sich nicht nur mit den schon in der Stellungnahme vom vorgebrachten und in der Berufung wiederholten, für die Zulässigkeit einer "Inlandsantragstellung" sprechenden Umständen nicht auseinandergesetzt, sondern auch die nunmehrige Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin - mag sie auch erst kurz vor der Berufungsentscheidung geschlossen worden sein - überhaupt nicht berücksichtigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0238, mit dem Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/21/0493, und Zl. 2009/21/0031). Außerdem wäre zu beachten gewesen, dass der unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers lediglich auf einer Versäumung der Antragsfrist beruht, die - seinem Vorbringen zufolge - bloß auf einen Irrtum zurückzuführen war.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der dargelegten, auf einer unzutreffenden Rechtsansicht beruhenden Begründungsmängel in Bezug auf die Zulässigkeit der "Inlandsantragstellung" zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der in der Beschwerde beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
AAAAE-83400