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VwGH vom 25.04.2014, 2013/10/0169

VwGH vom 25.04.2014, 2013/10/0169

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der S U in Wien, vertreten durch Mag. Katrin Ehrbar, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Zelinkagasse 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-SOZ/38/15207/2012-4, betreffend Mindestsicherung (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom auf Zuerkennung einer Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs gemäß §§ 4, 7, 8, 9, 10 und 12 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, in ihrem Antrag habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, dass sie über Arbeitslosengeld in der Höhe von täglich EUR 19,37 verfüge. Sie wohne gemeinsam mit ihren mj. Kindern in Wien 23; die Wohnungsmiete betrage EUR 395,71. Dem Antrag seien die AMS-Bestätigung über den Leistungsanspruch vom , die Bestätigung über einen Dauerauftrag, wonach monatlich EUR 580,-- an Alimenten für die Kinder überwiesen würden, und ein Scheidungsvergleich vom beigelegt worden.

Aus dem Scheidungsvergleich gehe hervor, dass die Beschwerdeführerin und ihr (geschiedener) Ehemann R.U. wechselseitig auf Ehegattenunterhalt verzichtet hätten. Dieser Verzicht umfasse jedoch nicht den "Fall (un)verschuldeter Not, geänderter Verhältnisse und Rechtslage". Die Beschwerdeführerin habe sich für diese Fälle die "Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches" gegenüber R.U. "ausdrücklich ausbedungen".

Weiters sei im Scheidungsvergleich festgestellt worden, dass es bei türkischen Hochzeiten üblich sei, dass die Braut persönliche Geschenke erhalte. Diese Zuwendungen bestünden im vorliegenden Fall aus Gold und Geld, die hauptsächlich von der Familie des Bräutigams aufzubringen seien. Die Goldgeschenke zugunsten der Braut hätten einen Wert in der Höhe von rund EUR 25.000,--. Darüber hinaus hätte es Geldgeschenke zugunsten der Braut in der Höhe von rund EUR 25.000,-- zum Zeitpunkt der Eheschließung gegeben; dieser Betrag sei durch laufende Ansparungen auf rund EUR 50.000,-- angewachsen. Festgehalten worden sei, dass der Vater von R.U. das Gold und das Geld mit der Verpflichtung, diese lediglich zu verwahren, an sich genommen habe, und R.U. sich verantwortlich erklärt habe zu veranlassen, dass diese Brautgeschenke im Zuge der Ehescheidung an die Beschwerdeführerin herausgegeben würden.

Somit verfüge - so die belangte Behörde weiter - die Beschwerdeführerin aus dem Titel Scheidungsvergleich über ein Vermögen in der Höhe von EUR 75.000,--. R.U. habe sich im Scheidungsvergleich dazu verpflichtet, dieses Vermögen der Beschwerdeführerin "auszuhändigen". Damit habe die Beschwerdeführerin einen vollstreckbaren Titel gegen R.U. in Händen, womit sie sogleich Exekution führen könne. Zudem habe sich die Beschwerdeführerin im Scheidungsvergleich auch die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches gegenüber R.U. "im Falle unverschuldeter Not" vorbehalten.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde schließlich aus, dass im Sinne des gemäß § 1 Abs. 3 WMG geltenden Subsidiaritätsprinzips eine Zuerkennung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nur erfolge, wenn der Mindestbedarf nicht durch eigene Mittel oder Leistungen Dritter gedeckt werden könne. Der Hilfesuchende habe Ansprüche gemäß § 6 Abs. 4 WMG nachhaltig zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtlos, unzumutbar oder mit unverhältnismäßigem Kostenrisiko verbunden sei.

Bei Umsetzung "sämtlicher rechtlicher Schritte" stünden der Beschwerdeführerin ausreichend Geldmittel zur Verfügung, um ihre Bedarfe zu decken.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, allerdings auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 1 Abs. 3 Wiener Mindestsicherungsgesetz - WMG (LGBl. 38/2010 in der hier maßgeblichen Fassung des LGBl. Nr. 6/2011) ist die Zuerkennung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung subsidiär; sie erfolgt nur, wenn der Mindestbedarf nicht durch Einsatz eigener Arbeitskraft, eigener Mittel oder Leistungen Dritter gedeckt werden kann.

Nach § 6 Abs. 1 Z. 4 WMG haben Hilfe suchende oder empfangende Personen Ansprüche, die der Deckung der Bedarfe nach diesem Gesetz dienen, nachhaltig zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos, unzumutbar oder mit unverhältnismäßigem Kostenrisiko verbunden ist.

Gemäß § 10 Abs. 4 WMG sind gesetzliche oder vertragliche und der Höhe nach bestimmte Ansprüche der Hilfe suchenden Person auf Leistungen, die der zumindest teilweisen Deckung der Bedarfe nach § 3 WMG dienen, auch dann anzurechnen, wenn die Hilfe suchende Person diese nicht nachhaltig, auch behördlich (gerichtlich) verfolgt, sofern die Geltendmachung weder offenbar aussichtslos noch unzumutbar ist. Dies ist von der unterhaltsberechtigten Person oder ihrer gesetzlichen Vertretung glaubhaft zu machen.

2. Die Beschwerde bringt vor, entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde enthalte der Scheidungsvergleich vom keinerlei Verpflichtungserklärung des R.U., der Beschwerdeführerin EUR 75.000,-- auszuhändigen, sondern eine bloße, nicht exekutierbare Absichtserklärung, dass R.U. die Brautgeschenke seinem Vater abverlangen und sie sodann der Beschwerdeführerin aushändigen werde. Es sei der Beschwerdeführerin somit rechtlich unmöglich, aufgrund dieses Scheidungsvergleichs Exekution auf Zahlung von EUR 50.000,-- bzw. auf Übergabe der Goldgeschenke gegen R.U. zu führen.

Aus dem Scheidungsvergleich gehe hervor, dass sich die Brautgeschenke in der Gewahrsame des Vaters von R.U. befänden. Da dieser deren Herausgabe verweigere, müsste die Beschwerdeführerin eine Klage auf Herausgabe gegen den in der Türkei lebenden Vater von R.U. in der Türkei einbringen.

Bei rechtlich richtiger Beurteilung hätte die belangte Behörde diesbezüglich zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Beschwerdeführerin eine solche Klagsführung gegen den Vater von R.U. in der Türkei im Sinn des § 6 Abs. 1 Z. 4 WMG unzumutbar sei, weil die Beschwerdeführerin hiefür - unter entsprechendem finanziellen Aufwand - in die Türkei reisen müsste, um dort rechtliche Beratung einzuholen und gegebenenfalls auch am Prozess teilzunehmen. Angesichts der finanziellen Lage der Beschwerdeführerin sei ihr dies keinesfalls zumutbar.

Auch die Einbringung einer Unterhaltsklage gegen R.U. sei nicht Voraussetzung für die Gewährung von Mindestsicherung an die Beschwerdeführerin. Bei Abschluss des Scheidungsvergleichs habe die Beschwerdeführerin über ein monatliches Einkommen von rund EUR 1.000,-- und R.U. über ein solches von EUR 1.750,-- verfügt. Die Verhältnisse hätten sich allerdings geändert. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe die Beschwerdeführerin über monatlich rund EUR 600,-- und (wie schon in der Berufungsverhandlung vorgebracht wurde) R.U. über EUR 800,-- verfügt, wobei er nach wie vor monatlich EUR 580,-- an Kindesunterhalt an die Beschwerdeführerin leiste. Eine Einbringung einer Unterhaltsklage gegen R.U. wäre daher offensichtlich aussichtslos, letztlich möglicherweise sogar kontraproduktiv und damit unzumutbar, weil sich in diesem Fall die Unterhaltsverpflichtung gegenüber den mj. Kindern allenfalls sogar vermindern könnte.

3. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg:

3.1. Bereits in ihrer Berufung gegen den erstbehördlichen Bescheid hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, die im Scheidungsvergleich angeführten Brautgeschenke befänden sich nicht in ihrer Gewahrsame, sondern in jener ihres - in der Türkei lebenden - ehemaligen Schwiegervaters, welcher "jetzt nach der Scheidung" trotz mehrmaliger Aufforderung die Herausgabe verweigere. Es bestehe "keine reale Erfolgsprognose hinsichtlich einer Einforderung des Brautgeschenkes aus der Türkei"; eine diesbezügliche Prozessführung in der Türkei sei (u.a.) "so langwierig", dass die Beschwerdeführerin "inzwischen unzumutbarer Notlage ausgesetzt" sei.

Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde angegeben, ihr nach wie vor in Wien lebender geschiedener Ehemann habe (mittlerweile nur noch) ein Einkommen in der Höhe von ca. EUR 800,--.

3.2. Mit den unter Punkt 3.1. wiedergegebenen Behauptungen hat die Beschwerdeführerin daher im Verwaltungsverfahren ein nicht unerhebliches Vorbringen erstattet; angesichts dessen hätte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin auffordern müssen, die Aussichtslosigkeit bzw. Unzumutbarkeit einer Prozessführung gegen den Vater ihres geschiedenen Ehemannes bzw. (mit Blick auf allfällige Unterhaltsansprüche) gegen den geschiedenen Ehemann selbst durch konkretes Tatsachenvorbringen zu ergänzen und glaubhaft zu machen (vgl. § 10 Abs. 4 WMG).

4. Dass die belangte Behörde dies unterlassen hat, belastet den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften; dieser war - weil die belangte Behörde bei Vermeidung des Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG (in der hier maßgeblichen bis zum Ablauf des geltenden Fassung) aufzuheben.

5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG (idF BGBl. I Nr. 122/2013) und § 3 Z. 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 auf die §§ 47ff VwGG (in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung) iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am