VwGH vom 02.09.2022, Ra 2019/14/0304
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel, Dr.in Sembacher, Mag. I. Zehetner und Mag. Bayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des S H, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W161 2172839-1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , E 2625/2019-19, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom , E 2625/2019-21, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5In der Folge wurde die gegenständliche außerordentliche Revision eingebracht, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringt, dass das Bundesverwaltungsgericht von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, da eine nach der Geschäftsverteilung unzuständige Gerichtsabteilung die angefochtene Entscheidung erlassen habe. Zum Zeitpunkt des Einlangens der Beschwerde des Revisionswerbers seien sowohl die Rechtssachen seiner Eltern als auch die eines Bruders des Revisionswerbers und dessen Familie beim Bundesverwaltungsgericht anhängig gewesen. Die Rechtssache des Revisionswerbers, die dieselbe Zuweisungsgruppe „AFR“ betroffen habe, hätte daher derselben Gerichtsabteilung zugewiesen werden müssen, die bereits für die Verfahren seiner Eltern zuständig gewesen sei bzw. hätten jene der Eltern bereits nach den Bestimmungen über die Annexität der für das Verfahren des Bruders des Revisionswerbers zuständigen Geschäftsabteilung - sowie in weiterer Folge auch seine Rechtssache - zugewiesen werden müssen.
6Nach Einleitung des Vorverfahrens ersuchte der Verwaltungsgerichtshof das Bundesverwaltungsgericht insbesondere um Darstellung, welche Gerichtsabteilungen in den Beschwerdeverfahren der Familie des Revisionswerbers jeweils aufgrund welcher rechtlichen Grundlage betraut waren. Dazu führte das Bundesverwaltungsgericht unter Vorlage von Unterlagen aus, soweit verfahrensrelevant, dass die Rechtssache des Revisionswerbers am beim Bundesverwaltungsgericht einlangte (ebenso wie die Rechtssachen seines Bruders S H und dessen Familienmitgliedern) und der unter weiblicher Leitung stehenden Gerichtsabteilung W252 zugewiesen wurde. Nach Erhebung einer Unzuständigkeitsanzeige durch die Leiterin der Gerichtsabteilung W252 wegen eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung des Revisionswerbers gemäß § 20 AsylG 2005 iVm § 6 Geschäftsverteilung 2017 wurde die gegenständliche Rechtssache der unter männlicher Leitung stehenden Gerichtsabteilung W124 zugewiesen. In der Folge wurden dieser Gerichtsabteilung mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts vom die jüngsten 100 Rechtssachen abgenommen, darunter auch die gegenständliche Rechtssache, die der Gerichtsabteilung W161 unter weiblicher Leitung zugewiesen wurde. Nach einer Unzuständigkeitsanzeige durch die Leiterin dieser Gerichtsabteilung, erneut wegen des behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung des Revisionswerbers, und einer weiteren Unzuständigkeitsanzeige durch den Leiter der hierauf zuständigen Gerichtsabteilung W159 aufgrund der vom Revisionswerber in der Beschwerde beantragten Einvernahme durch eine Richterin, wurde die gegenständliche Rechtssache mit Entscheidung des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts vom endgültig der Gerichtsabteilung W161 unter weiblicher Leitung zugewiesen.
7Die Rechtssachen der Eltern des Revisionswerbers, N und S H, nach dem AsylG 2005 langten am beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurden schließlich beide der Gerichtsabteilung W121 unter weiblicher Leitung zugewiesen. Sie wurden mit Erkenntnissen vom abgeschlossen.
8Die Rechtssachen eines weiteren Bruders des Revisionswerbers, S H und dessen Familienmitgliedern u.a. nach dem AsylG 2005 langten am beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurden der Gerichtsabteilung W220 unter weiblicher Leitung zugewiesen; ebenso die Rechtssachen der in den folgenden Jahren geborenen Kinder dieses Bruders. Sie alle wurden mit Erkenntnissen vom abgeschlossen.
9Der Revisionswerber erstattete im Verfahren vor dem VwGH eine Stellungnahme, in der er nochmals auf die Verletzung der Geschäftsverteilung einging. Weitere Stellungnahmen oder eine Revisionsbeantwortung erfolgten nicht.
10Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass der Revisionswerber bereits im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als einen Fluchtgrund einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung vorbrachte und in seiner Beschwerde die Einvernahme durch eine Richterin gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 2005 beantragte.
11Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
12Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen zu der nach der Geschäftsverteilung zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichts zulässig. Sie ist auch begründet.
13Art. 135 B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012 lautet auszugsweise wie folgt:
„Artikel 135. (1) Die Verwaltungsgerichte erkennen durch Einzelrichter. Im Gesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte oder in Bundes- oder Landesgesetzen kann vorgesehen werden, dass die Verwaltungsgerichte durch Senate entscheiden. [...]
(2) Die vom Verwaltungsgericht zu besorgenden Geschäfte sind durch die Vollversammlung oder einen aus ihrer Mitte zu wählenden Ausschuss [...] auf die Einzelrichter und die Senate für die gesetzlich bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen. [...]
(3) Eine nach der Geschäftsverteilung einem Mitglied zufallende Sache darf ihm nur durch das gemäß Abs. 2 zuständige Organ und nur im Fall seiner Verhinderung oder dann abgenommen werden, wenn es wegen des Umfangs seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist.
[...]“
14§ 17 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), in der unveränderten Stammfassung BGBl. I Nr. 10/2013, hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
„Zuweisung und Abnahme von Rechtssachen
§ 17. (1) Jede im Bundesverwaltungsgericht anfallende Rechtssache wird dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter oder Senat zugewiesen.
[...]
(3) Der Geschäftsverteilungsausschuss kann einem Einzelrichter oder Senat eine ihm zufallende Rechtssache durch Verfügung abnehmen, wenn der Einzelrichter oder Senat verhindert oder wegen des Umfangs seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist.“
15Im vorliegenden Fall ist die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach dessen Geschäftsverteilung 2017 (GV 2017) in der Fassung vom aufgrund der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Einlangens der Beschwerde des Revisionswerbers beim Bundesverwaltungsgericht zu beurteilen (vgl. , mwN).
Die relevanten Bestimmungen der GV 2017 lauten auszugsweise:
„§ 6. Unzuständigkeit
(1) Eine Richterin oder ein Richter ist im Sinne dieser Geschäftsverteilung unzuständig, wenn
1.der zugehörigen Gerichtsabteilung die Rechtssache auf Grund gesetzlicher Bestimmungen nicht zugewiesen hätte werden dürfen;
2.sie oder er als Einzelrichter/-in oder als Vorsitzende/Vorsitzender in der betreffenden Rechtssache nach § 6 VwGVG iVm. § 7 AVG befangen ist; in diesem Fall hat sich die Richterin oder der Richter unter Anzeige an den Präsidenten und bei Richterinnen und Richtern einer Außenstelle (§§ 16 bis 18) bei gleichzeitiger Mitteilung an die Leiterin oder den Leiter der Außenstelle in der betreffenden Rechtssache der weiteren Ausübung des Amtes zu enthalten (§ 27);
3.ihr/ihm zwei oder mehrere Rechtssachen zwar ursprünglich zu Recht zugewiesen worden sind oder die Unzuständigkeit als geheilt gilt, sich nachträglich aber durch die Zuweisung einer weiteren Rechtssache ergibt, dass sie im Sinne des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 mit dieser weiteren Rechtssache unter einem zu führen sind;
4.sie oder er wegen eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung gemäß § 20 AsylG 2005 für die betreffende Rechtssache nicht zuständig ist;
5.der zugehörigen Gerichtsabteilung die Rechtssache nach den Bestimmungen der jeweils bei der Zuweisung geltenden Geschäftsverteilung nicht zugewiesen hätte werden dürfen (z.B. wegen Annexität).
(2) Setzt die Richterin oder der Richter, deren/dessen Gerichtsabteilung die Rechtssache zugewiesen worden ist, einen außenwirksamen Akt oder erhebt sie oder er nicht rechtzeitig eine Unzuständigkeitsanzeige, so wird diese Richterin oder dieser Richter für die betreffende Rechtssache zuständig, sofern keine Unzuständigkeit iSd. Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt. [...]
(3) Ist eine Richterin oder ein Richter als Einzelrichter/-in oder als Vorsitzende/Vorsitzender eines Senates in einer Rechtssache wegen eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung gemäß § 20 AsylG 2005 unzuständig und wird aus diesem Grund diese Rechtssache erneut zugewiesen, so verliert sie oder er damit gleichzeitig auch die Zuständigkeit für alle Rechtssachen, die zu dieser Rechtssache annex sind oder zu denen diese Rechtssache annex ist.
(4) Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit der Richterinnen und Richter und das weitere Verfahren richten sich nach den diesbezüglichen Bestimmungen der Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichtes.
[...]
§ 22. Protokollierung und Sortierung; Verteilung auf die Zuweisungsgruppen
[...]
(5) Annexsachen und Rechtssachen, die vorweg zuzuweisen sind, werden ohne Bedachtnahme auf die allgemeine Zuweisung gesondert nach den Bestimmungen der §§ 24 und 32 zugewiesen.
§ 23. Durchführung und Priorisierung der allgemeinen Zuweisung
[...]
(7) Bei Rechtssachen der Zuweisungsgruppen AFR, DUB und ASY-Ü, in denen eine Richterin oder ein Richter auf Grund eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung gemäß § 20 AsylG 2005 unzuständig (§ 6 Abs. 1 Z 4) ist, gilt folgendes:
1.Solche Rechtssachen sind in sinngemäßer Anwendung der Abs. 3 bis 6 einzeln und nacheinander nur jenen Gerichtsabteilungen zuzuweisen, deren Leiterinnen bzw. Leiter demselben Geschlecht angehören wie die betreffende beschwerdeführende Partei, selbst nicht verhindert oder unzuständig sind und in deren Zuständigkeit die betreffende Zuweisungsgruppe fällt.
2.Kommt eine Zuweisung nach Z 1 nicht in Frage, so gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass bei der Zuweisung nur jene Gerichtsabteilungen derselben Kammer zu berücksichtigen sind, deren Leiterinnen bzw. Leiter demselben Geschlecht angehören wie die beschwerdeführende Partei der betreffenden Rechtssache, selbst nicht verhindert oder unzuständig sind und in deren Zuständigkeit zumindest eine Zuweisungsgruppe AFR fällt.
3.Kommt auch eine Zuweisung nach Z 2 nicht in Frage, so gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass bei der Zuweisung nur jene Gerichtsabteilungen derselben Kammer zu berücksichtigen sind, deren Leiterinnen bzw. Leiter demselben Geschlecht angehören wie die beschwerdeführende Partei der betreffenden Rechtssache, selbst nicht verhindert oder unzuständig sind und unbeachtlich des Zuständigkeitsbereichs dieser Gerichtsabteilung.
[...]
§ 24. Zuweisung von Annexsachen
(1) Annexsachen werden ohne Bedachtnahme auf die allgemeine Zuweisung einzeln den dafür jeweils zuständigen Gerichtsabteilungen zugewiesen.
(2) Annexsachen sind Rechtssachen derselben Zuweisungsgruppe, die nach Maßgabe der Bestimmungen der folgenden Absätze zu einer oder mehreren anderen, früher zugewiesenen Rechtssachen im Verhältnis der Annexität stehen.
(3) Annexität liegt in folgenden Fällen vor:
1.wenn sich eine Rechtssache nach dem AsylG 2005, dem BFA-VG, dem FPG oder dem GVG-B 2005 (Zuweisungsgruppen AFR, VIS, DUB oder SCH) auf dieselbe Person wie ein anhängiges Verfahren derselben Zuweisungsgruppe (Zuweisungsgruppen AFR, VIS, DUB oder SCH bzw. ASY oder FRE idF GV 2014) bezieht;
2.wenn sich eine Rechtssache nach dem AsylG 2005, dem BFA-VG, dem FPG oder dem GVG-B 2005 (Zuweisungsgruppen AFR, VIS, DUB oder SCH) auf ein Familienmitglied einer Person bezieht, auf die sich ein anderes anhängiges Verfahren nach dem AsylG 2005, dem BFA-VG (in diesen Fällen einschließlich § 22a BFA-VG), dem FPG oder dem GVG-B 2005 (Zuweisungsgruppen AFR, VIS, DUB oder SCH bzw. ASY oder FRE idF GV 2014) bezieht (Bezugsperson); Familienmitglieder in diesem Sinne sind:
a)der Ehegatte oder der eingetragene Partner der Bezugsperson oder eine Person, die mit der Bezugsperson im Sinne des Art. 8 EMRK ein Familienleben in Form einer Lebensgemeinschaft führt, sowie die Geschwister, Eltern und Kinder des Ehegatten oder des eingetragenen Partners oder des Lebensgefährten;
b)Vorfahren und Nachkommen der Bezugsperson sowie die Ehegatten, eingetragenen Partner und Lebensgefährten dieser Vorfahren und Nachkommen und die Geschwister und Kinder dieser Ehegatten, eingetragenen Partner und Lebensgefährten;
c)Geschwister der Bezugsperson sowie die Ehegatten, eingetragenen Partner, Lebensgefährten und Kinder dieser Geschwister.
3.bei Rechtssachen nach dem AsylG 2005, wenn ein Verfahren betreffend ein Familienmitglied im Sinne der Z 2 in einer Zuweisungsgruppe ASY-Ü idF GV 2014 zugewiesen wurde und nach wie vor anhängig ist.
[...]
(6) Bei Vorliegen mehrfacher Annexität gilt Folgendes:
1.Ist eine Rechtssache zu mehreren Rechtssachen annex, so hat Vorrang die Annexität zur ältesten anhängigen und sodann zur zuletzt abgeschlossenen Rechtsache.
2.Ist eine Rechtssache im Sinne des Abs. 3 Z 2 zu mehreren Rechtssachen annex, so hat Vorrang in der folgenden Reihenfolge: die Annexität zur ältesten anhängigen Rechtssache, mit der sie im Familienverfahren unter einem zu führen ist, sodann die Annexität zur ältesten anhängigen Rechtssache und die Annexität zur zuletzt abgeschlossenen Rechtssache.
3.Ist eine Rechtssache nach dem AsylG 2005, dem BFA-VG, dem FPG oder dem GVG-B 2005 (Zuweisungsgruppen AFR, VIS und DUB) zu mehreren Rechtssachen annex, und zwar nach Abs. 3 Z 1 und nach Abs. 3 Z 2, so hat Vorrang in der folgenden Reihenfolge: die Annexität zur ältesten anhängigen Rechtssache, mit der sie im Familienverfahren unter einem zu führen ist, sodann die Annexität nach Abs. 3 Z 1 und die Annexität nach Abs. 3 Z 2.
(7) Annexsachen, die auf Grund einer auch für Annexsachen geltenden Zuweisungssperre (§ 33) nicht der an sich für diese Annexsache zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen werden können, sind im Rahmen der allgemeinen Zuweisung zuzuweisen.
[...]
§ 32. Vorwegzuweisungen
[...]
(3) Annexsachen sind bei der Vorwegzuweisung, soweit im Einzelfall nichts anderes bestimmt ist, nicht zu berücksichtigen, sondern nach § 24 gesondert zuzuweisen.
[...]
§ 37. Zuweisung von abgenommenen Rechtssachen
Abgenommene Rechtssachen werden wie neu eingelangte Rechtssachen zugewiesen, es sei denn, in der entsprechenden Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses wird etwas anderes bestimmt.“
16§ 17 der Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichtes (GO-BVwG) idF des Beschlusses vom hat folgenden Wortlaut:
„§ 17. Wahrnehmung der Unzuständigkeit
(1) Erachtet eine Richterin oder ein Richter, dass sie/er für die Erledigung einer zugewiesenen Rechtssache nach den Bestimmungen der Geschäftsverteilung nicht zuständig ist, so hat sie/er den betreffenden Verfahrensakt der Geschäftsstelle samt einem mit einer Begründung versehenen Aktenvermerk, warum eine Zuständigkeit nicht vorliegt, zuzuleiten, unbeachtlich dessen, ob es sich um die Zuständigkeit als Einzelrichter/-in oder als Vorsitzende/Vorsitzender eines Senates handelt (Unzuständigkeitsanzeige).
(2) Die Unzuständigkeitsanzeige hat bei Eilsachen im Sinne der Geschäftsverteilung innerhalb von zwei Arbeitstagen, andernfalls innerhalb von zwei Wochen nach erfolgter Zuweisung oder nach erlangter Kenntnis des nachträglichen Entstehens einer Unzuständigkeit zu erfolgen. Nach Ablauf dieser Frist hat eine neuerliche Zuweisung der Rechtssache wegen Unzuständigkeit nur dann zu erfolgen, wenn dies gesetzlich zwingend vorgesehen ist. Die Frist, binnen der eine Unzuständigkeit anzuzeigen ist, ruht während der gerechtfertigten Abwesenheit einer Richterin oder eines Richters.
(3) Die Geschäftsstelle hat die betreffende Rechtssache unter Bedachtnahme auf die Unzuständigkeitsanzeige nach der Geschäftsverteilung neu zuzuweisen; Fristen nach Abs. 2 beginnen nach einer neuerlichen Zuweisung erneut zu laufen.
(4) Erachtet sich die Richterin oder der Richter, der/dem eine Rechtssache auf Grund einer Unzuständigkeitsanzeige nach Abs. 3 zugewiesen wurde, ebenfalls als unzuständig, so hat diese Richterin oder dieser Richter dies ebenso nach Abs. 1 anzuzeigen. Der diese Rechtssache betreffende Verfahrensakt ist daraufhin von der Geschäftsstelle mit den beiden Unzuständigkeitsanzeigen der sich jeweils als unzuständig erachtenden Richterinnen oder Richter unverzüglich dem Präsidenten vorzulegen.
(5) Der Präsident entscheidet endgültig über die Zuständigkeit für die betreffende Rechtssache. Die Geschäftsstelle hat daraufhin in Entsprechung der Entscheidung des Präsidenten die Rechtssache endgültig zuzuweisen und die betroffenen Richterinnen und Richter darüber in Kenntnis zu setzen.“
17Die relevanten Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, in der zum Zeitpunkt des Einlangens der Beschwerde des Revisionswerbers beim Bundesverwaltungsgericht maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, lauten auszugsweise:
„Begriffsbestimmungen
§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
[...]
22.Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat;
[...]
Einvernahmen von Opfern bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung
§ 20. (1) Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.
(2) Für Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt Abs. 1 nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesamt oder in der Beschwerde behauptet hat. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Ein Verlangen nach Abs. 1 ist spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde zu stellen.
[...]
Familienverfahren im Inland
§ 34. [...]
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; [...]
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
[...]“
18Der dem (für die „ordentliche“ Gerichtsbarkeit geltenden) Art. 87 Abs. 3 B-VG nachgebildete Art. 135 Abs. 3 B-VG statuiert auch für die Verwaltungsgerichte den „Grundsatz der festen Geschäftsverteilung“. Diese Einrichtung steht (u.a.) auch im engen Zusammenhang mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 83 Abs. 2 B-VG. Im Geltungsbereich des verfassungsgesetzlich geregelten Prinzips der festen Geschäftsverteilung bedeutet diese Garantie auch das Recht auf eine Entscheidung durch den gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Organwalter; in diesem Sinne handelt es sich bei der Geschäftsverteilung um eine zuständigkeitsbegründende Rechtsvorschrift (vgl. , mwN).
19Entscheidet ein nach der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zuständiger (Einzel)Richter, so führt dies im Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zur Aufhebung der Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. , mwN).
20Zum Zeitpunkt des Einlangens der Beschwerde des Revisionswerbers beim Bundesverwaltungsgericht am waren, wie sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Unterlagen ergibt, bereits die Rechtssachen nach dem AsylG 2005 seiner Eltern (seit ) als auch die seines Bruders S H und dessen Familie (seit ) dort anhängig.
21Eine Annexität der Rechtssachen von Familienmitgliedern liegt gemäß § 24 Abs. 3 Z 2 GV 2017 u.a. vor, wenn sich eine Rechtssache nach dem AsylG 2005 auf ein Familienmitglied einer Person bezieht, auf die sich ein anderes anhängiges Verfahren nach dem AsylG 2005 bezieht (Bezugsperson). Familienmitglieder in diesem Sinne sind unter anderem Nachkommen sowie Geschwister der Bezugsperson (lit. b und c der zuletzt genannten GV 2017). Demnach war sowohl eine Annexität der Rechtssache des Revisionswerbers zu den Rechtssachen seiner Eltern als auch zur Rechtssache seines Bruders S H als Bezugsperson gegeben.
22§ 24 Abs. 6 Z 2 GV 2017 trifft Regelungen zum Vorliegen mehrfacher Annexität bei Rechtssachen von Familienmitgliedern. Da der Revisionswerber im Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz bereits volljährig war und daher kein unter einem zu führendes Familienverfahren mit seinen Eltern vorlag (vgl. § 34 Abs. 4 iVm § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005), ist im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 6 Z 2 GV 2017 die Annexität zur ältesten anhängigen Rechtssache ausschlaggebend. Zur Volljährigkeit ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass das im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellte (spätestmögliche) Geburtsdatum des Revisionswerbers nicht weiter bestritten wurde.
23Gemäß § 24 Abs. 3 Z 2 lit. c iVm Abs. 6 Z 2 GV 2017 hätte daher die Rechtssache des Revisionswerbers im Zeitpunkt des Einlangens beim Bundesverwaltungsgericht nicht der Gerichtsabteilung W252, sondern der für das Verfahren seines Bruders S H zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen werden müssen (das war die Gerichtsabteilung W220).
24§ 23 GV 2017 („Durchführung und Priorisierung der allgemeinen Zuweisung“) enthält in seinem Abs. 7 Regelungen zur Zuweisung bei Rechtssachen bestimmter Zuweisungsgruppen, in denen eine Richterin oder ein Richter auf Grund eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung gemäß § 20 AsylG 2005 unzuständig ist. Eine dieser Zuweisungsgruppen ist die im vorliegenden Fall zur Anwendung kommende Zuweisungsgruppe Asyl- und Fremdenrecht („AFR“). Jedoch werden gemäß § 22 Abs. 5 iVm § 24 Abs. 1 GV 2017 Annexsachen ohne Bedachtnahme auf die allgemeine Zuweisung einzeln den dafür jeweils zuständigen Gerichtsabteilungen zugewiesen. Die Rechtssache des Revisionswerbers, der bereits im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung geltend gemacht und in seiner Beschwerde die Einvernahme durch eine Richterin gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 2005 beantragt hatte, wäre demnach auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens gemäß § 22 Abs. 5 iVm § 24 Abs. 1 GV 2017 der für das Verfahren seines Bruders S H zuständigen Gerichtsabteilung W220 zuzuweisen gewesen (wobei sich diese Gerichtsabteilung ohnehin unter weiblicher Leitung befand).
25Die im Beschwerdefall des Revisionswerbers erfolgten mehrfachen Neuzuteilungen der Rechtssache aufgrund der Unzuständigkeitsanzeigen der betroffenen Gerichtsabteilungen, der diesbezüglichen Entscheidung des Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts vom und der Abnahme von Rechtssachen durch Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom können wegen der bereits ursprünglich nicht gesetzmäßig erfolgten Zuweisung der Rechtssache des Revisionswerbers keine Auswirkungen auf das dargelegte Ergebnis haben.
26Daran ändert auch § 6 Abs. 2 GV 2017 nichts. Dieser sieht zwar vor, dass der Richter oder die Richterin, deren Gerichtsabteilung die Rechtssache zugewiesen worden ist, (von bestimmten Ausnahmefällen abgesehen) zuständig wird, wenn sie einen außenwirksamen Akt setzt oder nicht rechtzeitig eine Unzuständigkeitsanzeige erhebt. In der Zusammenschau mit § 17 GO-BVwG ergibt sich jedoch, dass § 6 Abs. 2 GV 2017 an die Richterinnen und Richter adressiert ist und keine nach außen wirkende und somit den Parteien gegenüber bindende Zuständigkeit begründet (vgl. , zum inhaltsgleichen § 6 Abs. 2 BVwG-GV 2014). Demnach kann eine Heilung des Mangels einer sich aus der Geschäftsverteilung ergebenden Unzuständigkeit aus den Gründen des § 6 Abs. 2 gegenüber der Partei, wofür es auch keine gesetzliche Deckung gibt, nicht eintreten (vgl. auch dazu , mwN, zur GV 2016).
27Die unterschiedliche Schreibweise des Nachnamens des Revisionswerbers und seiner Familienmitglieder fällt mangels einer entsprechenden Regelung ebenfalls nicht ins Gewicht.
28Das Bundesverwaltungsgericht hat somit nicht in der gesetzmäßig vorgeschriebenen Besetzung entschieden. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben.
29Auf die weiteren Vorbringen der Revision war vor diesem Hintergrund nicht mehr einzugehen.
30Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019140304.L00 |
Schlagworte: | Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Besondere Rechtsgebiete |
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