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VwGH vom 09.11.2010, 2008/21/0454

VwGH vom 09.11.2010, 2008/21/0454

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des G, vertreten durch Dr. Andreas Kolar, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Stafflerstraße 2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 318.175/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde einen Antrag des Beschwerdeführers, eines kroatischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als Selbständiger gemäß § 60 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG ab.

Begründend führte sie nach Darstellung der Rechtslage aus, der Beschwerdeführer habe vom bis , vom 23. August bis , vom 6. Juni bis zum und vom 3. Mai bis zum über Aufenthaltstitel für den Aufenthaltszweck "befristete Beschäftigung, § 12 Abs. 2 FrG" verfügt. Mit Bescheid vom sei ihm vom Arbeitsmarktservice Innsbruck (im Folgenden kurz: AMS) eine Beschäftigungsbewilligung (Branchenkontingent) für die berufliche Tätigkeit als landwirtschaftlicher Gehilfe betreffend die Zeit vom 6. Juni bis zum für den örtlichen Geltungsbereich Innsbruck erteilt worden.

Am habe der Beschwerdeführer einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für Selbständige auf Werkvertragsbasis gestellt. Er habe einen mit datierten "Werkvertrag für neue Selbständige" von der Landwirtschaft G. vorgelegt, bei der er "bis zu diesem Zeitpunkt als Saisonarbeiter (landwirtschaftlicher Gehilfe) beschäftigt" gewesen sei. Recherchen hätten ergeben, dass er "seit nicht mehr bei der Landwirtschaft G. beschäftigt" sei. "Auch" sei er bis bei Herrn G. wohnhaft gewesen.

Infolge begründeter Zweifel am Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit sei das AMS um Überprüfung ersucht worden. Laut Aktenvermerk der Erstbehörde vom habe das AMS mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer "nicht als Selbständiger auf Werkvertragsbasis tätig sein könne und es sich in (seinem) Fall offensichtlich um eine versteckte Erwerbstätigkeit handle". "Demnach" liege die Ausübung von "landwirtschaftlichen Dienstleistungen" des Beschwerdeführers bei der Firma G. weder aus wirtschaftlicher noch aus arbeitsmarktpolitischer Betrachtung im Interesse Österreichs. "Auf Grund der aufgezeigten Fakten" stehe fest, dass es sich bei der beabsichtigten Tätigkeit um keine iSd § 60 Abs. 1 NAG handle.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

§ 60 NAG Abs. 1 idF BGBl. I Nr. 157/2005, Abs. 2 idF BGBl. I

Nr. 99/2006, lautet samt Überschrift:

"Selbständige

§ 60. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine Aufenthaltsbewilligung als Selbständiger ausgestellt werden, wenn


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1.
sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen,
2.
sie sich zur Durchführung einer bestimmten selbständigen Tätigkeit vertraglich verpflichtet haben und diese Verpflichtung länger als sechs Monate bestehen wird und
3.
die zuständige Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice bei begründeten Zweifeln der Behörde am Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit auf deren Anfrage festgestellt hat, dass auf Grund der vorgelegten Unterlagen eine selbständige Tätigkeit im Sinne der Z 2 vorliegt, die Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes nicht verletzt werden und die Ausübung dieser Tätigkeit unter wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten im Interesse Österreichs liegt.
§
2 Abs. 4 AuslBG bleibt unberührt.

(2) Nach Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach Abs. 1 hat die Behörde die Bewilligungen und jeweils eine Kopie des Vertrages und der Feststellung der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice der für die Vollziehung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zuständigen Abgabenbehörde nach Maßgabe der Bestimmungen des Abgabenverwaltungsorganisationsgesetzes - AVOG, BGBl. Nr. 18/1975, zu übermitteln, in deren örtlichen Zuständigkeitsbereich der Auftraggeber seinen Sitz hat. Hat der Auftraggeber keinen Sitz im Inland, sind diese der nach dem Wohnsitz des Drittstaatsangehörigen zuständigen Abgabenbehörde nach Maßgabe der Bestimmungen des AVOG zu übermitteln. Die Behörde hat den Drittstaatsangehörigen bei der Antragstellung von dieser Übermittlung nachweislich in Kenntnis zu setzen."

In den Materialien (RV 952 BlgNR 22. GP 144) zur Stammfassung des § 60 NAG wird ausgeführt, dass die Bestimmung des § 60 Abs. 1 NAG gewährleisten soll, jenen Fremden, die eine selbständige Tätigkeit ausüben, aber keine Niederlassungsabsicht haben, unter der Voraussetzung, dass sie zu einer länger als sechs Monate dauernden selbständigen Tätigkeit vertraglich verpflichtet sind, den Aufenthalt zu ermöglichen. Aus den Materialien ergibt sich ferner, dass Sinn der Übermittlungspflicht nach § 60 Abs. 2 NAG sein soll, Fälle von Scheinselbständigkeit besser nachverfolgen und aufdecken zu können. Die bei den Zollämtern eingerichteten Kontrollorgane ("KIAB") sollen dadurch bei der Durchführung ihrer Aufgaben unterstützt werden.

Die Z 3 in § 60 Abs. 1 NAG war in der Regierungsvorlage zum Fremdenrechtspaket 2005 noch nicht enthalten, sondern wurde erst im weiteren Gesetzgebungsverfahren ergänzt. Dazu wurde im Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten (AB 1055 BlgNR 22. GP 7 f) festgehalten, durch die Einfügung der Z 3 in Abs. 1 solle sichergestellt werden, dass nicht jede Selbständigkeit von der Erteilung dieser Aufenthaltsbewilligung umfasst ist, sondern nur eine solche, an der ein wirtschaftliches und arbeitsmarktpolitisches Interesse Österreichs nachgewiesen wird. Es sei daher Aufgabe des Antragstellers, die entsprechenden Unterlagen - im Sinne des § 19 Abs. 2 und 3 NAG - beizubringen. Die nachprüfende Kontrolle durch die KIAB solle ein vorabprüfendes Anschlussstück erhalten, womit Scheinselbständigkeit bestmöglich hintan gehalten werden soll.

Darüber hinaus enthält der Ausschussbericht zu § 60 NAG folgende Feststellung (AB 1055 BlgNR 22. GP 11):

"Nach § 2 Abs. 3 NAG stellt der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung keine Niederlassung im Sinne des NAG dar. Der Ausschuss hält dazu ausdrücklich fest, dass die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung für Selbständige gemäß § 60 NAG nur dann in Frage kommt, wenn seitens des Antragstellers nachweislich keine Absicht zur Niederlassung besteht. Eine Absicht zur Niederlassung besteht dann, wenn etwa der Wohnsitz im Herkunftsstaat aufgegeben wird, zur Ausübung der Tätigkeit Betriebsmittel über das Ausmaß geringwertiger Wirtschaftsgüter benötigt werden oder Bestandsobjekte (wie etwa Büro- oder Lagerräume) angeschafft, gemietet oder gepachtet werden müssen. Auch die Notwendigkeit einer Berechtigung nach der Gewerbeordnung ist ein Indiz für die Niederlassung. Die Behörde hat bis zum Nachweis des Gegenteils durch den Antragsteller von der Niederlassung auszugehen und wird in diesen Fällen eine Aufenthaltsbewilligung für Selbständige nicht erteilen können."

Im Ausschussbericht (AB 1154 BlgNR 22. GP 3) zur Novellierung des § 60 Abs. 1 NAG (erfolgt mit BGBl. I Nr. 157/2005), mit der (u.a.) § 60 Abs. 1 Z 3 NAG neu gefasst wurde, wird festgehalten, dass die (Neu )Regelung eine möglichst verwaltungsökonomische Zulassung von Selbständigen gewährleisten soll. Dem würde die ursprünglich vorgesehene zwingende Einbindung des AMS auch in Fällen, in denen keine Zweifel am Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit bestehen, zuwiderlaufen. Hat die Behörde keine Zweifel am Vorliegen der Selbständigkeit, soll sie somit unmittelbar die Aufenthaltsbewilligung erteilen können. Umgekehrt soll gelten, dass bei klaren Fällen einer Umgehungshandlung (Vorliegen einer Scheinselbständigkeit) auch unmittelbar, d.h. ohne Befassung des AMS, eine abweisende Entscheidung getroffen werden kann.

Die vom Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf ein in seinem Eigentum stehendes Haus in Kroatien und den Umstand, Österreich bei früheren zulässigen Aufenthalten stets fristgerecht verlassen zu haben, in Abrede gestellte Absicht, sich im Bundesgebiet niederzulassen, wird auch im angefochtenen Bescheid nicht unterstellt. Die Antragsabweisung wird vielmehr sowohl mit einer Verneinung des Vorliegens einer selbständigen Erwerbstätigkeit (laut "Gutachten" des AMS) als auch mit dem Fehlen eines Interesses Österreichs iSd § 60 Abs. 1 Z. 3 NAG begründet.

Der Beschwerdeführer tritt dem entgegen und macht geltend, die Folgerung, er könne nicht selbständig tätig werden, sei aus den (oben wiedergegebenen) Feststellungen des angefochtenen Bescheides, im Ergebnis also bloß aufgrund einer Bezugnahme auf frühere unselbständige Tätigkeiten im Bundesgebiet, nicht schlüssig ableitbar. Er sei als Mechaniker ausgebildet und verfüge über umfangreiche Kenntnisse sowie Erfahrungen im Bereich von Landwirtschaften. Dies befähige ihn, übernommene selbständige Tätigkeiten im Unternehmen des G. tatsächlich auszuführen. Weiters treffe es nicht zu, dass ein Interesse Österreichs an der Ausführung derartiger Arbeiten im landwirtschaftlichen Bereich zu verneinen sei.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer wesentliche Verfahrensfehler der belangten Behörde auf:

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0880, mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass ein Gutachten (umso mehr also die vorliegende - im Ergebnis unbegründete - Stellungnahme) des AMS - mit Blick darauf, dass es keinem eigenen Verwaltungsrechtszug unterliegt - vom Antragsteller entkräftet oder widerlegt werden kann und die Niederlassungsbehörde an ein unschlüssiges Gutachten nicht gebunden ist. Es wäre somit Aufgabe der belangten Behörde gewesen, die erwähnte Stellungnahme des AMS auf ihre Schlüssigkeit hin zu prüfen und sie im Fall der Unschlüssigkeit ihrer Entscheidung nicht zu Grunde zu legen.

Dieser Verpflichtung hat die belangte Behörde nicht entsprochen. Vielmehr hat sie die - wie der Beschwerdeführer zutreffend darlegt - nicht nachvollziehbare negative Stellungnahme des AMS sowie einander (im Umfang des Zeitraumes zwischen 13. November und ) widersprechende Feststellungen zu den Vortätigkeiten des Beschwerdeführers als zur Begründung der Antragsabweisung ausreichend erachtet und ist auf die dargestellten Einwände des Beschwerdeführers nicht inhaltlich eingegangen (vgl. dazu weiters etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0452).

Dazu kommt, dass auch eine taugliche Begründung dafür fehlt, warum die Ausübung der vom Beschwerdeführer beabsichtigten Tätigkeiten unter wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten nicht im Interesse Österreichs liege (§ 60 Abs. 1 Z. 3 NAG). Der bloße Verweis auf die unbegründete Stellungnahme des AMS ist dafür nicht ausreichend (vgl. neuerlich das zitierte hg. Erkenntnis vom ).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 Wien, am