VwGH vom 28.06.2016, 2013/10/0138
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des A F in S, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Hamerlingplatz 7/3/14, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. ABT11 B26- 3674/2013-8, betreffend Kostenbeitrag für eine Hilfeleistung nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 1. Mit dem angefochtenen Bescheid vom verpflichtete die Steiermärkische Landesregierung (die belangte Behörde) den Beschwerdeführer dazu, zu den Kosten der ihm mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hartberg (der Erstbehörde) vom gewährten Hilfeleistung "Vollzeitbetreutes Wohnen für Menschen mit Behinderung mit dem Grad der Behinderung höchst" ab bis , längstens jedoch für die Dauer des vollzeitbetreuten Wohnens, einen Kostenbeitrag von monatlich EUR 39,66 zu leisten.
2 Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der genannte Bescheid der Erstbehörde vom habe die Übernahme der Kosten der Leistung "nach LEVO I.A." (I.A. der Anlage 1 der Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung über die Festlegung von Leistungen und Leistungsentgelten nach dem Stmk. Behindertengesetz) zugesprochen.
3 Der Beschwerdeführer beziehe seit eine Waisenpension in Höhe von EUR 143,36 zuzüglich Pflegegeld der Stufe 7 in Höhe von EUR 1.595,80. Davon seien ein Verpflegskostenanteil von EUR 1.391,28 sowie ein "Ruhensbetrag" in Höhe von EUR 274,90 in Abzug zu bringen, sodass dem Beschwerdeführer EUR 72,98 (EUR 44,30 Taschengeld aus dem Pflegegeld und EUR 28,66 Waisenpension) verblieben. Weiters beziehe er Familienbeihilfe (Grundbetrag und Kinderabsetzbetrag) in Höhe von EUR 211,10, sodass sein Gesamteinkommen EUR 239,76 betrage (weil das Taschengeld aus dem Pflegegeld in Höhe von EUR 44,30 nicht als Einkommen eingerechnet werde).
4 Gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung über die Festsetzung der Beiträge für Hilfeleistungen nach dem Stmk. Behindertengesetz sei von diesem Gesamteinkommen von EUR 239,76 ein Einkommensanteil von EUR 200,-- abzuziehen, sodass sich EUR 39,76 ergäben. Da dieser Betrag 80 % des monatlichen Gesamteinkommens des Beschwerdeführers nicht übersteige, sei der Kostenbeitrag nach § 39 Steiermärkisches Behindertengesetz - Stmk. BHG iVm der genannten Verordnung in dieser Höhe vorzuschreiben.
5 Mit Blick auf Vorbringen des Beschwerdeführers zur der ihm gewährten Familienbeihilfe führte die belangte Behörde aus, nach der hg. Rechtsprechung stehe nunmehr fest, dass der Grundbetrag der Familienbeihilfe sowie der Kinderabsetzbetrag eines Menschen mit Behinderung als dessen Einkommen gemäß § 11 Stmk. BHG anzusehen seien.
6 2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 1. Vorauszuschicken ist, dass auf den vorliegenden mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen lauten:
8 Gesetz über Hilfeleistungen für Menschen mit Behinderung (Steiermärkisches Behindertengesetz - Stmk. BHG), LGBl. Nr. 26/2004 idF LGBl. Nr. 83/2012:
"§ 1
Ziele
Ziel dieses Gesetzes ist es, Menschen mit Behinderung zu unterstützen, damit sie an der Gesellschaft in gleicher Weise wie nicht behinderte Menschen teilhaben und ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. Durch Gesetzesmaßnahmen, Leistungen und Beratung sollen Menschen mit Behinderung altersentsprechend Zugang zu den verschiedenen Lebensbereichen wie Familie, Erziehungs- und Bildungswesen, Arbeit und Beschäftigung, Gesundheitsversorgung sowie Kultur und Freizeit haben, um ihnen - wie nicht behinderten Menschen auch - die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.
(...)
§ 3
Arten der Hilfeleistungen
(1) Als Hilfeleistung für einen Menschen mit Behinderung kommen in Betracht:
(...)
e) Lebensunterhalt
(...)
i) Wohnen in Einrichtungen
(...)
§ 10
Richtsätze
(1) Die Landesregierung hat für die Hilfe zum Lebensunterhalt durch Verordnung festzulegen:
1. Richtsätze für die Bemessung der monatlichen Geldleistungen für
(...)
§ 11
Gesamteinkommen
(1) Gesamteinkommen ist die Summe aller Einkünfte eines Menschen mit Behinderung in Geld oder Geldeswert.
(2) Bei der Feststellung des Gesamteinkommens bleiben außer Betracht:
1. besondere Beihilfen, die auf Grund von Bundesgesetzen gewährt werden, wie insbesondere der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung, der Grundbetrag der Familienbeihilfe dann, wenn er bereits gemäß § 10 berücksichtigt wurde,
(...)
§ 18
Wohnen in Einrichtungen
Die Hilfe zum Wohnen in Einrichtungen im Sinne des § 43
umfasst die Übernahme der Entgelte für Unterkunft, Verpflegung und Betreuung.
(...)
§ 39
Beiträge
(1) Menschen mit Behinderung haben zu den Kosten der Hilfeleistungen gemäß § 8 Abs. 1 lit. a und b und der §§ 16, 18 und 19 Beiträge zu leisten. Als Grundlage für die Festsetzung der Höhe des Beitrags ist das Gesamteinkommen gemäß § 11 heranzuziehen. Der Beitrag darf 80 % des Gesamteinkommens nicht überschreiten und darf den Lebensunterhalt im Sinne des § 9 nicht gefährden. (...)
(2) Die Landesregierung hat durch Verordnung die Höhe der Beiträge zu den Kosten der im Abs. 1 angeführten Hilfeleistungen gestaffelt nach dem Einkommen festzusetzen. (...)
(3) Zählen zum Gesamteinkommen gemäß § 11 Ansprüche des Menschen mit Behinderung auf Pensionsleistungen, so gehen diese Ansprüche bis zur Höhe des festgelegten Beitrags, höchstens aber in Höhe der diesbezüglichen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen auf den Sozialhilfeträger über. (...)
§ 43
Einrichtungen der Behindertenhilfe
(1) Als Einrichtung der Behindertenhilfe gelten Einrichtungen in der Steiermark, in denen Hilfeleistungen gemäß § 3 Abs. 1 lit. a, c, d, fa, h und i teilstationär oder vollstationär erbracht werden. Sie dürfen nur mit Bewilligung der Landesregierung betrieben werden.
(2) (...)"
9 Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung über die Festlegung von Leistungen und Leistungsentgelten nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz - Leistungs- und Entgeltverordnung (LEVO-StBHG) , LGBl. Nr. 43/2004 idF LGBl. Nr. 29/2013:
"§ 1
Regelungsgegenstand
(1) Diese Verordnung regelt
1. in Anlage 1 die sachlichen, fachlichen und personellen Erfordernisse der für die Erbringung der Hilfe erforderlichen Leistungen und die Maßnahmen der Qualitätssicherung und des Controllings (Leistungskatalog),
(...)
Anlage 1
zur LEVO-StBHG, LGBl. Nr. 43/2004, zuletzt in der Fassung
LGBl. Nr. 29/2013
LEISTUNGSBESCHREIBUNGEN
(...)
Anlage 1
Vollzeitbetreutes Wohnen für Menschen mit Behinderung (WH BHG) I.A.
1. Funktion und Ziele
1.1. DEFINITION
Kurzbeschreibung:
Vollzeitbetreutes Wohnen richtet sich an Jugendliche nach Beendigung der Schulpflicht, Erwachsene mit intellektueller/kognitiver, körperlicher, Sinnes- bzw. mehrfacher Behinderung. Vollzeitbetreutes Wohnen hat Menschen mit Behinderung, die auf eine permanente Betreuung und Hilfestellung durch professionelles Fachpersonal angewiesen sind, eine bedarfs- und bedürfnisorientierte Form der Begleitung und Unterstützung in allen Bereichen der privaten Lebensgestaltung anzubieten. Die Intensität der Unterstützungsleistung hat sich von der Assistenz und Hilfestellung über die Anleitung und Übung bis hin zum stellvertretenden Handeln zu erstrecken. In der Regel stehen diese Menschen mit Behinderung tagsüber in Beschäftigung bzw. nehmen eine Tagesstruktur in Anspruch.
(...)"
10 Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung über die Festsetzung der Beiträge für Hilfeleistungen nach dem Stmk. Behindertengesetz (Beitragsverordnung StBHG - BeitrVO-StBHG) , LGBl. Nr. 9/2011:
"§ 1
Regelungsgegenstand
Diese Verordnung regelt die Höhe der Beiträge, die Menschen mit Behinderung zu den Kosten der Hilfeleistungen gemäß § 8 Abs. 1 lit. a und b und §§ 16, 18 und 19 des Steiermärkischen Behindertengesetzes - Stmk. BHG zu leisten haben.
§ 2
Beitragsgrundlage
(1) Die Höhe des Beitrages richtet sich nach dem Gesamteinkommen gemäß § 11 Stmk. BHG.
(...)
§ 3
Beitragspflichtige Hilfeleistungen
Ein Beitrag ist zu entrichten für die Inanspruchnahme
1. der Hilfeleistung LEVO I A und für die Unterbringung in einem Pflegeheim gemäß § 19 Stmk. BHG;
(...)
§ 4
Beitragszahlungen
(1) Bei der Inanspruchnahme einer Hilfeleistung gemäß § 3 Z. 1 ist der über einem monatlichen Gesamteinkommen von 200 Euro liegende Einkommensanteil bis zur Höhe von maximal 80 % des monatlichen Gesamteinkommens als Beitrag zu leisten.
(...)"
11 3. Die Beschwerde wendet sich gegen die Einbeziehung des Grundbetrages der Familienbeihilfe in das Gesamteinkommen des Beschwerdeführers im Sinne des § 11 Abs. 1 Stmk. BHG und bringt dazu im Wesentlichen vor, richtigerweise sei - in Anknüpfung an Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - die Familienbeihilfe nur dann als anrechenbares Einkommen anzusehen und dürfe nur dann zum Ersatz der Kosten einer Sozialhilfemaßnahme herangezogen werden, wenn durch die gewährte Maßnahme der Unterhalt des Familienbeihilfeempfängers "vollends gedeckt" sei.
12 Da nach der "Anlage 1." der LEVO-StBHG Leistungen wie Bekleidung und Schuhe, individuelle Freizeitgestaltung außerhalb der Einrichtung sowie die notwendige Begleitung dabei, erhebliche aufwändige Begleitungen außerhalb der Einrichtungen, individuelle Wohnraumgestaltung, Dinge des persönlichen Bedarfs, individuelle Toiletteartikel, Ausflugsfahrten und Urlaubsaufenthalte und Besuchsdienste nicht von der vollstationären Betreuung umfasst seien, hätte die belangte Behörde die Familienbeihilfe nicht zum Kostenersatz nach § 39 Stmk. BHG heranziehen dürfen; jedenfalls hätte sie prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer derartige Aufwendungen zu tätigen hat.
13 4. Der vorliegende Fall gleicht sowohl in rechtlicher wie auch in tatsächlicher Hinsicht jenem, der dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2013/10/0109, zugrunde lag.
14 Aus den in jenem Erkenntnis angeführten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, war auch der hier angefochtene Bescheid wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
15 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 und der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
RAAAE-83215