VwGH vom 08.10.2014, 2013/10/0109

VwGH vom 08.10.2014, 2013/10/0109

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der A M in S, vertreten durch Rechtsanwälte Schwarzinger Weiser in 1080 Wien, Hamerlingplatz 7/3/14, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. ABT11 B26-3215/2011-4, betreffend Kostenbeitrag nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Spruchpunkt I des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom wurde der Beschwerdeführerin ab dem für die Dauer von zwei Jahren Hilfe durch Wohnen in Einrichtungen zuerkannt, und zwar in Form von vollzeitbetreutem Wohnen für Menschen mit Behinderung mit dem Grad der Beeinträchtigung "mittel" und zusätzlichem Betreuungszuschlag von 25% für einen Zeitraum von sechs Monaten gemäß Pkt. I. A der Anlage 1 der Leistungs- und Entgeltverordnung - LEVO.

Als Rechtgrundlagen hiefür wurden ua. die §§ 1, 2, 3 Abs. 1 lit. i, 18, 42 und 43 des Steiermärkischen Behindertengesetzes 2004, LGBl. Nr. 26/2004 "in der geltenden Fassung" (Stmk. BHG) angeführt.

Mit Spruchpunkt II dieses Bescheides wurde die Beschwerdeführerin gemäß Stmk. BHG verpflichtet, aufgrund ihres Einkommens einen monatlichen Kostenbeitrag von EUR 804,50 ab Eintritt in die Einrichtung, längstens jedoch für die Dauer der in Spruchpunkt I zuerkannten Maßnahme, zu leisten.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde infolge der gegen Spruchpunkt II gerichteten Berufung den erstinstanzlichen Bescheid in diesem Punkt dahin abgeändert, dass "aus dem Einkommen (der Beschwerdeführerin) ein monatlicher Kostenbeitrag in Höhe von EUR 803,60 ab Eintritt, jedoch längstens für die Dauer der mit Spruchpunkt I zuerkannten Maßnahme, zu leisten ist."

Als Rechtsgrundlagen hiefür wurden die §§ 2, 3 Abs. 1 lit. i und 39 Abs. 1 bis 3 Stmk. BHG sowie die Beitragsverordnung zum Stmk. BHG, LGBl. Nr. 9/2011 (BeitrVO) angeführt.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, bei der mit Spruchpunkt I des erstinstanzlichen Bescheides zuerkannten Leistung handle es sich gemäß § 3 Z. 1 BeitrVO um eine beitragspflichtige Hilfeleistung, nämlich um eine Leistung gemäß LEVO Anlage 1, I.A. Die Berechnung des von der Beschwerdeführerin aus ihrem Gesamteinkommen zu leistenden Betrags erfolge gemäß § 39 Stmk. SHG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 BeitrVO.

Die Beschwerdeführerin beziehe laut Akt eine Pension der SVA Bauern in Höhe von EUR 793,40 und Familienbeihilfe (Grundbetrag und Kinderabsetzbetrag) in Höhe von EUR 211,10, sohin ein Gesamteinkommen im Sinne des § 11 Stmk. BHG in Höhe von EUR 1004,50; der Verwaltungsgerichtshof habe ausgesprochen, dass der Grundbetrag der Familienbeihilfe als Einkommen gemäß § 11 Stmk. BHG anzusehen sei (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2006/10/0200, vom , Zl. 2006/10/0166, sowie vom , Zl. 2011/10/0019). Nach Abzug des gemäß § 4 Abs. 1 BeitrVO zu berücksichtigenden Freibetrages (EUR 200,--) und der 80 %-igen Maximalbelastung habe die Beschwerdeführerin daher einen Beitrag von EUR 803,60 zu leisten.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichthof, welcher die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom , B 162/13-3, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom , B 162/2013-5, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - auf Aufforderung ergänzte - Beschwerde erwogen:

Da die vorliegende Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof noch vor dem dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten wurde, sind gemäß § 8 VwGbk-ÜG die Bestimmungen des B-VG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung und des VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung weiterhin anzuwenden.

1.1. Das Steiermärkische Behindertengesetz, LGBl. Nr. 26/2004 in der Fassung LGBl. Nr. 62/2011, lautet auszugsweise:

" § 3

Arten der Hilfeleistungen

(1) Als Hilfeleistung für einen Menschen mit Behinderung kommen in Betracht:

...

e) Lebensunterhalt

...

i) Wohnen in Einrichtungen

...

§ 4

Formen der Hilfeleistung

(1) Die Hilfeleistungen werden mobil, ambulant, teilstationär, stationär bzw. als Geldleistungen erbracht. Solange eine mobile Betreuung möglich ist, ist dieser der Vorrang zu geben, sofern die Kosten der mobilen Betreuung die Kosten einer stationären oder teilstationären Unterbringung nicht übersteigen. Eine befristete Zuerkennung von Leistungen ist zulässig.

(1 a) Im Sinne dieses Gesetzes bedeuten:

1. Vollstationäre Leistungsinanspruchnahme bedeutet, dass der Mensch mit Behinderung Leistungen im Ausmaß von 24 Stunden am Tag in Einrichtungen der Behindertenhilfe in Anspruch nimmt. Die Leistungen können auch von mehreren Leistungserbringern erbracht werden.

...

5. Geldleistung: Leistung, die in Geldeswert erbracht wird.

...

§ 9

Lebensunterhalt

(1) Wenn der Mensch mit Behinderung


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1.
das 18. Lebensjahr überschritten hat,
2.
nicht in einer Einrichtung der Behindertenhilfe vollstationär betreut wird und
3.
...
Ist ihm unter Bedachtnahme auf § 26 Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren, wenn sein Gesamteinkommen (§ 11) die Höhe des Richtsatzes (§ 10 Abs. 1 Z 1) nicht erreicht. ...

(2) Sind durch eine vollstationäre Betreuung nicht alle Leistungen des Lebensunterhalts gedeckt, gebührt dem Mensch mit Behinderung eine anteilsmäßige Hilfe zum Lebensunterhalt.

(3) Der Lebensunterhalt umfasst den Aufwand für die regelmäßig gegebenen Bedürfnisse zur Führung eines menschenwürdigen Lebens, insbesondere für Nahrung, Unterkunft, Hausrat, Beheizung, Bekleidung und andere persönliche Bedürfnisse, zu denen auch eine angemessene Pflege der Beziehungen zur Umwelt und Teilnahme am kulturellen Leben gehören.

...

§ 11

Gesamteinkommen

(1) Gesamteinkommen ist die Summe aller Einkünfte eines Menschen mit Behinderung in Geld oder Geldeswert.

(2) Bei der Feststellung des Gesamteinkommens bleiben außer Betracht:

1. besondere Beihilfen, die auf Grund von Bundesgesetzen gewährt werden, wie insbesondere der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung, der Grundbetrag der Familienbeihilfe dann, wenn er bereits gemäß § 10 berücksichtigt wurde.

...

§ 18

Wohnen in Einrichtungen

Die Hilfe zum Wohnen in Einrichtungen im Sinne des § 43 umfasst die Übernahme der Entgelte für Unterkunft, Verpflegung und Betreuung im Rahmen der Leistungs- und Entgeltverordnung.

...

§ 39

Beiträge, Übergang des Pflegegeldes

(1) Menschen mit Behinderung haben zu den Kosten der Hilfeleistungen gemäß § 8 Abs. 1 lit. a und b und der §§ 16, 18 und 19 Beiträge zu leisten. Als Grundlage für die Festsetzung der Höhe des Beitrags ist das Gesamteinkommen gemäß § 11 heranzuziehen. Der Beitrag darf 80 % des Gesamteinkommens nicht überschreiten und darf den Lebensunterhalt im Sinne des § 9 nicht gefährden. Der Beitrag ist gleichzeitig mit der Gewährung der Hilfeleistung festzusetzen.

(2) Die Landesregierung hat durch Verordnung die Höhe der Beiträge zu den Kosten der im Abs. 1 angeführten Hilfeleistungen gestaffelt nach dem Einkommen festzusetzen. Soweit diese Hilfeleistungen Leistungen gemäß § 9 nicht oder nur zum Teil umfassen, ist bei der Festsetzung des Beitrags das Ausmaß der nicht gedeckten Kosten für den Lebensunterhalt entsprechend zu berücksichtigen.

...

§ 43

Einrichtungen der Behindertenhilfe

(1) Als Einrichtungen der Behindertenhilfe gelten Einrichtungen in der Steiermark, in denen Hilfeleistungen gemäß § 3 Abs. 1 lit. a, c, d, f, h, und i teilstationär oder vollstationär erbracht werden ...

..."

1.2. Die Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom über die Festsetzung der Beiträge für Hilfeleistungen nach dem Stmk. Behindertengesetz, LGBl Nr. 9 (BeitrVO), lautet auszugsweise:

§ 1

Regelungsgegenstand

Diese Verordnung regelt die Höhe der Beiträge, die Menschen mit Behinderung zu den Kosten der Hilfeleistungen gemäß § 8 Abs. 1 lit. a und b und §§ 16, 18 und 19 des Steiermärkischen Behindertengesetzes - Stmk. BHG zu leisten haben.

§ 2

Beitragsgrundlage

(1) Die Höhe des Beitrages richtet sich nach dem Gesamteinkommen gemäß § 11 Stmk. BHG.

...

§ 3

Beitragspflichtige Hilfeleistungen

Ein Beitrag ist zu entrichten für die Inanspruchnahme

1. der Hilfeleistung LEVO I A (= Vollzeitbetreutes Wohnen für Menschen mit Behinderung) und für die Unterbringung in einem Pflegeheim gemäß § 19 Stmk. BHG;

...

§ 4

Beitragszahlungen

(1) Bei der Inanspruchnahme einer Hilfeleistung gemäß § 3 Z 1 ist der über einem monatlichen Gesamteinkommen von 200 Euro liegende Einkommensanteil bis zur Höhe von maximal 80 % des monatlichen Gesamteinkommens als Beitrag zu leisten.

..."

2. Die Beschwerde wendet sich gegen die Einbeziehung des Grundbetrages der Familienbeihilfe in das Gesamteinkommen der Beschwerdeführerin im Sinne des § 11 Abs. 1 Stmk. BHG und bringt dazu im Wesentlichen vor, die belangte Behörde verkenne, dass im Hinblick auf § 12a FLAG die Familienbeihilfe nur dann als anrechenbares Einkommen angesehen werden könne, wenn durch die gewährte Maßnahme der Unterhalt des Familienbeihilfenempfängers vollends gedeckt sei. Demnach sei der Lebensunterhalt nicht vollends gesichert, wenn der Sozialhilfeempfänger mit seinem Einkommen Ausgaben wie Kleidung, Körperpflegemittel, einen Teil der Zimmereinrichtung, Schuhe, Sehbehelfe, Zuschüsse für die Krankenkasse oder Erholungs- und Urlaubsaktionen selbst finanzieren müsse.

Die belangte Behörde hätte zumindest prüfen müssen, ob die Beschwerdeführerin derartige Aufwendungen zu tätigen habe, zumal der Beschwerdeführerin keine anteilsmäßige Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 9 Abs. 2 Stmk. BHG gewährt werde.

3. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

3.1. Vorweg ist festzuhalten, dass die von der belangten Behörde erwähnte hg. Rechtsprechung, wonach der Grundbetrag der Familienbeihilfe zum Gesamteinkommen gemäß § 11 Abs. 1 Stmk. BHG zu zählen sei, zu jenen Fällen ergangen ist, in denen Menschen mit Behinderung Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 3 Abs. 1 lit. e Stmk. BHG) gewährt wurde.

3.2. Im Beschwerdefall wurde hingegen die Hilfeleistung "Wohnen in Einrichtungen" in Form einer vollstationären Betreuung in einer Einrichtung der Behindertenhilfe gewährt (§ 3 Abs. 1 lit. i iVm §§ 18 und 43 Stmk. BHG).

Der Verwaltungsgerichtshof hat - dem Verfassungsgerichtshof folgend - diesbezüglich wiederholt ausgesprochen, dass es entscheidend darauf ankommt, ob der Lebensunterhalt des Hilfeempfängers einschließlich der besonderen Bedürfnisse, die dieser als behinderter Mensch hat, im Rahmen der Maßnahme, d.h. im Rahmen der mit der Unterbringung erbrachten Leistungen vollends gesichert ist. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, kann die Familienbeihilfe zur Leistung eines Beitrages zu den Kosten der Sozialhilfe nicht herangezogen werden (vgl. etwa das zum WBG ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/08/0021, die zum NÖ SHG ergangenen Erkenntnisse vom , Zl. 2003/10/0090, und vom , Zl. 2003/10/0200, sowie das zum Bgld. SHG ergangene Erkenntnis vom , Zl. 2006/10/0013, jeweils mwN).

Entscheidend ist daher, ob die Feststellungen hinsichtlich der Erbringung von Leistungen, die den gesamten Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin einschließlich ihrer Bedürfnisse als behinderter Mensch abdecken, in der Einrichtung, in der er untergebracht ist, aufgrund eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens getroffen wurden, bzw. ausreichend begründet wurde, dass der gesamte Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin einschließlich ihrer besonderen Bedürfnisse durch die Leistungen der Einrichtung abgedeckt wird (vgl. das erwähnte hg. Erkenntnis vom ).

Für den Bereich des Stmk. BHG stellt dessen § 9 Abs. 2 auf jene Fälle ab, in denen durch die Betreuung nicht alle Leistungen des Lebensbedarfs gedeckt sind, und gewährt auch Menschen mit Behinderung in vollstationärer Betreuung Hilfe zum Lebensunterhalt im insofern notwendigen Umfang (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/10/0019).

3.3. Davon ausgehend ist das erwähnte Beschwerdevorbringen geeignet, einen relevanten Verfahrensmangel aufzuzeigen.

Der angefochtene Bescheid enthält nämlich - wie schon der erstinstanzliche Bescheid - keine Feststellungen zur Frage, ob der gesamte Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin einschließlich ihrer besonderen Bedürfnisse im Sinne des § 9 Abs. 3 Stmk. BHG durch die Unterbringung in einer - im angefochtenen Bescheid nicht näher bestimmten - Einrichtung der Behindertenhilfe bzw. allenfalls durch anteilsmäßige Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 9 Abs. 2 leg. cit. abgedeckt wird (vgl. zu Letzterem etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/10/0089).

Die Frage, ob im gegenständlichen Fall die Familienbeihilfe zu Recht in die für die Berechnung des Kostenersatzes maßgebliche Beitragsgrundlage (Gesamteinkommen) gemäß § 11 Stmk BHG iVm § 2 BeitrVO einbezogen wurde, entzieht sich sohin einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben.

5. Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455 (vgl. § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014).

Wien, am