VwGH vom 05.07.2011, 2008/21/0384

VwGH vom 05.07.2011, 2008/21/0384

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Karin Leitner, Rechtsanwältin in 8700 Leoben, Mühltalerstraße 29, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom , Zl. 2Fr 80/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste am nach Österreich ein und stellte in der Folge unter der Identität S. H., geboren 1962, einen Asylantrag. Das Verfahren über diesen Antrag wurde vom Bundesasylamt am gemäß § 30 AsylG 1997 eingestellt.

Dem Beschwerdeführer waren bereits davor über seinen Antrag vom beginnend mit von der Niederlassungsbehörde wiederholt verlängerte Aufenthaltstitel erteilt worden. Zuletzt verfügte der Beschwerdeführer über einen ihm am ausgestellten Niederlassungsnachweis.

Die Familie des Beschwerdeführers (Ehefrau, drei minderjährige und drei volljährige Kinder) leben in Pakistan. In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Angehörigen. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt aus der Tätigkeit als Zeitungszusteller.

Mit dem vorliegend angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 und 2 sowie §§ 61, 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

In der Begründung stellte die belangte Behörde über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus fest, der Beschwerdeführer habe am beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gestellt. In der Folge seien die von ihm vorgelegten pakistanischen Urkunden (Strafregisterauszug, Geburtsurkunde und Heiratsurkunde) zur Überprüfung ihrer Echtheit der Österreichischen Botschaft in Islamabad übermittelt worden. Laut dem hierauf ergangenen Überprüfungsbericht handle es sich bei der vom Beschwerdeführer vorgelegten Geburtsurkunde zweifelsfrei um eine Fälschung, weil diese nie, wie angegeben, "im Register" verzeichnet worden sei. Der richtige Name des Beschwerdeführers sei mit "A" ermittelt worden; bei der Person mit dem Vornamen "S" handle es nach dem Bericht um den leiblichen Bruder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer sei deshalb am wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB bei der Staatsanwaltschaft Graz angezeigt worden. Das diesbezügliche Strafverfahren sei sodann mit Beschluss des Bezirksgerichtes Graz-Ost vom gemäß § 200 Abs. 5 iVm § 199 StPO eingestellt worden, nachdem der Beschwerdeführer die ihm als Diversionsmaßnahme auferlegte Geldbuße von EUR 240,-- gezahlt gehabt habe. Voraussetzung für die Diversion sei unter anderem die Bereitschaft, für die Tat einzustehen und allfällige Folgen der Tat auszugleichen.

Somit - so führte die belangte Behörde daran anschließend weiter aus - nehme sie als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer seit seiner Einreise gegenüber österreichischen Behörden im vollen Bewusstsein eine falsche Identität vorgegeben habe. Er habe nämlich selbst vor dem genannten Gericht zugegeben, eine falsche oder verfälschte Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht zu haben. Der Beschwerdeführer habe vor der Asylbehörde unrichtige Angaben gemacht, um sich eine (zunächst vorläufige und sodann dauernde) Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zu verschaffen. Von daher sei die belangte Behörde der Ansicht, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt sei und dass dieser Tatbestand von ihr "als Orientierungsmaßstab" herangezogen werde. Letzteres bezieht sich offenbar auf die später folgenden Ausführungen, dass ein Aufenthaltsverbot auch dann erlassen werden könne, wenn keiner der im § 60 Abs. 2 FPG beispielhaft aufgezählten Tatbestände verwirklicht sei, jedoch andere bestimmte, eine Gefährdungsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG rechtfertigende Tatsachen vorlägen, wobei die im § 60 Abs. 2 FPG genannten Sachverhalte dabei als Maßstab heranzuziehen seien. Jedenfalls hielt die belangte Behörde im Hinblick auf die Verwendung des falschen Vornamens durch den Beschwerdeführer gegenüber der Asylbehörde und (an anderer Stelle des Bescheides) auch gegenüber der Niederlassungsbehörde die Annahme gemäß § 60 Abs. 1 FPG für gerechtfertigt.

Nach Ansicht der belangten Behörde in der weiteren Bescheidbegründung habe der Beschwerdeführer den Namen seines Bruders missbräuchlich im Rechtsverkehr verwendet und er könne aus diesem Missbrauch kein Recht ableiten. Das bedeute, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner illegalen Einreise am bis dato "im illegalen Aufenthalt in Österreich" befinde. Für den Beschwerdeführer komme daher aufgrund der von ihm bewusst gebrauchten falschen Verfahrensidentität "eine Aufenthaltsverfestigung im Sinne des § 55 FPG" nicht zum Tragen.

Die belangte Behörde ging von einem durch das Aufenthaltsverbot bewirkten Eingriff in das "Privat- und Familienleben" des Beschwerdeführers aus, doch werde dieser Eingriff durch den "permanenten illegalen Aufenthalt sowie das der Diversion zugrunde liegende Gesamtfehlverhalten" relativiert. Weiters habe die erlangte Integration in der wesentlichen "sozialen Komponente" durch das Täuschungsverhalten eine "ganz erhebliche Beeinträchtigung erfahren". Das Aufenthaltsverbot sei daher gemäß § 66 Abs. 1 FPG dringend erforderlich, liege dem Beschwerdeführer doch ein im Lichte des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften verwerfliches Fehlverhalten zur Last. Das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes würde wesentlich schwerer wiegen als die dadurch verursachten Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, zumal er sich - abgesehen von vorläufigen Aufenthaltsberechtigungen nach dem Asylgesetz - seit seiner Einreise nie rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe, weil die beantragten Aufenthaltstitel immer auf eine falsche Identität ausgestellt worden seien. Das Aufenthaltsverbot sei daher auch im Sinne des § 66 Abs. 2 FPG zulässig.

Im gegenständlichen Fall komme noch dazu, dass sich der Beschwerdeführer bei seiner Reisebewegung vom Heimatland nach Österreich eines Schleppers bedient habe, was die Notwendigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes verstärke. "Das Vergehen - Verbrechen - der Schlepperei", so die belangte Behörde unter Bezugnahme auf § 114 FPG weiter, gehöre zu den schwerwiegendsten strafbaren Tatbeständen, zumal diese Art der organisierten Kriminalität bereits Formen angenommen habe, die ein rigoroses Vorgehen mit allen zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln aufgrund des besonders großen öffentlichen Interesses an der Bekämpfung des Schlepperunwesens dringend erforderlich mache. Auch habe die mit der Schlepperei einhergehende Begleitkriminalität bereits lebens- und gesundheitsgefährdende Maße angenommen, sodass ein Gegensteuern aus sicherheitspolitischer Sicht unerlässlich sei. Im Lichte der geschilderten Tatsachen sei es im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens unumgänglich, dass auch gegen jene Personen vorgegangen werde, die bei ihrer Einreise die Dienste von Schlepperorganisationen bloß in Anspruch nähmen, da diese Personen gerade die Basis für das kriminelle Handeln von Schlepperorganisationen bildeten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG (idF vor dem FrÄG 2011) kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Nach § 60 Abs. 2 FPG hat (unter anderem) als bestimmte, die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung zu verschaffen (Z 6).

Wie sich aus der Wiedergabe der Bescheidbegründung ergibt, bleibt unklar, ob die belangte Behörde von der Verwirklichung des zuletzt zitierten Tatbestandes ausgegangen ist oder ob sie das Aufenthaltsverbot (wie auch die im Spruch zitierten Rechtsgrundlagen indizieren) direkt auf § 60 Abs. 1 FPG gestützt hat. Letzteres wäre grundsätzlich zulässig (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0113, und aus der letzten Zeit das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0105), sodass diese Widersprüchlichkeit im angefochtenen Bescheid noch nicht dessen Rechtswidrigkeit bewirkt, ist doch den Ausführungen der belangten Behörde eindeutig zu entnehmen, sie erachte im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer den Vornamen seines Bruders, somit eine falsche Identität, gegenüber österreichischen Behördenorganen verwendet habe, die Gefährdungsprognose iSd § 60 Abs. 1 FPG für gerechtfertigt. Das wäre aber - ausgehend vom festgestellten Sachverhalt - auch nicht zu beanstanden, weil sich aus diesem fremdenrechtlich verpönten Verhalten die Gefahr eines neuerlichen Zuwiderhandelns gegen die Fremdenrechtsordnung durchaus ableiten lässt.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach § 66 Abs. 2 FPG (in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Gemäß § 60 Abs. 6 FPG gilt das sinngemäß auch für Aufenthaltsverbote.

Bei dieser Interessenabwägung hat die belangte Behörde zwar zutreffend darauf verwiesen, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0311). Der belangten Behörde ist auch einzuräumen, dass unrichtige Identitätsangaben gegenüber Behördenorganen dieses maßgebliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen erheblich beeinträchtigen. Sie hätte bei der Wertung des vorliegend zu beurteilenden Verhaltens des Beschwerdeführers aber einbeziehen müssen, dass es jedenfalls von den Strafverfolgungsbehörden für nicht strafwürdig angesehen und die Zustimmung zur Diversion schon gegen Zahlung einer geringen Geldbuße gegeben wurde.

Vor allem hat die belangte Behörde aber das gegenläufige Interesse des Beschwerdeführers, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen, nicht ausreichend gewichtet. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde bewirkte nämlich der Umstand, dass dem Beschwerdeführer die Aufenthaltstitel von der Niederlassungsbehörde unter einer falschen (Verfahrens )Identität ausgestellt wurden, nicht, dass sein Aufenthalt deshalb als unrechtmäßig anzusehen wäre (vgl. das eine ähnliche Argumentation verwerfende Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0249). Demnach hätte die belangte Behörde davon ausgehen müssen, dass dem Beschwerdeführer nicht nur eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 zugekommen war, sondern auch davon, dass sein Aufenthalt aufgrund der ihm seit erteilten Aufenthaltstitel seit mehr als zehn Jahren durchgehend rechtmäßig war. Der - im Übrigen offenbar unbescholtene - Beschwerdeführer hat die Zeit in Österreich überdies genutzt, um sich am Arbeitsmarkt zu integrieren und bestreitet aus dem erzielten Einkommen auch seinen Unterhalt, weshalb eine gelungene Integration unterstellt werden muss. Dass demgegenüber durch Täuschungshandlungen gegenüber Behördenorganen die "soziale Komponente" der Integration beeinträchtigt sein soll, wie es im angefochtenen Bescheid heißt, ist nicht nachvollziehbar.

Anders als die belangte Behörde schließlich noch meint, kommt dem Gesichtspunkt, dass der Beschwerdeführer (bezogen auf den Bescheiderlassungszeitpunkt) vor fast dreizehn Jahren mit Hilfe eines Schleppers nach Österreich eingereist ist, nach so langer Zeit für die Frage der aktuellen Berechtigung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme überhaupt keine Bedeutung zu. Die gegenteilige Auffassung der belangten Behörde steht im ausdrücklichen Widerspruch zu den diesbezüglichen Erwägungen im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2004/21/0242, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden kann (siehe danach etwa auch noch das Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0249, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0089, mwN).

Vor diesem Hintergrund kann der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung der belangten Behörde, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführers sei im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten und die Interessenabwägung nach § 66 Abs. 2 FPG habe nicht zu seinen Gunsten auszugehen, nicht teilen.

Schon deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf die Einwände in der Beschwerde, bei der Überprüfung der Geburtsurkunde des Beschwerdeführers in Pakistan sei ein Fehler unterlaufen und der Beschwerdeführer habe die ihm vorgeworfenen Täuschungshandlungen nicht begangen, und auf die diesbezüglich geltend gemachten Begründungs- und Verfahrensmängel noch einzugehen war. Es bedarf auch keiner weiteren Erörterung, ob gegen den Beschwerdeführer als Inhaber eines Niederlassungsnachweises ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 56 FPG hätte erlassen werden dürfen, obwohl die inkriminierten Handlungen schon vor Erteilung dieses nunmehr als "Daueraufenthalt - EG" geltenden Aufenthaltstitels gesetzt wurden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0603).

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am