VwGH vom 27.04.2012, 2011/02/0283
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des K L in B, vertreten durch Dr. Bruno Binder, Dr. Josef Broinger, Mag. Markus Miedl, PLL.M. und Mag. Klaus Ferdinand Lughofer, LL.M, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Khevenhüllerstraße 12, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zlen. Senat-AM-10-2001, Senat-AM-10-2002, betreffend Übertretung tierschutzrechtlicher Bestimmungen, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer schuldig erachtet, er habe es zu verantworten, dass in einem bestimmten Zeitraum in einem näher genannten Tierhaltungsbetrieb 55.254 Legehennen in vor dem gebauten Käfigen gemäß Art. 6 der Richtlinie 1999/74/EG zur Festlegung von Mindestanforderungen zum Schutz von Legehennen gehalten worden seien und diesen Tieren durch näher genannte, der Anlage 6 Z 6.3.2.2 der
1. Tierhaltungsverordnung widersprechenden Haltungseinrichtungen, ungerechtfertigt Leiden zugefügt worden seien (Spruchpunkt I.1)) und der Mindestabstand zwischen dem Boden des Gebäudes und den unteren Käfigreihen nicht eingehalten worden sei (Spruchpunkt I.2)) . Der Beschwerdeführer habe dadurch zu I.1) die "§§ 38 Abs. 1 Z 1, 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z. 10 und 13 TSchG" und zu I.2) "§ 38 Abs. 3 TSchG i.V.m. Anlage 6. Punkt 6.3.2.2 aE 1. Tierhaltungsverordnung" übertreten. Er werde daher gemäß § 38 Abs. 1 TSchG (Spruchpunkt 1) zu einer Geldstrafe von EUR 5.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 336 Stunden) und gemäß § 38 Abs. 3 TSchG (Spruchpunkt 2.) zu einer Geldstrafe von EUR 750,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 50 Stunden) verurteilt. Im Übrigen wurde ein hier nicht gegenständlicher Ausspruch eines Verfalls ersatzlos behoben.
In der Begründung gab die belangte Behörde den Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses vom wieder, wonach es der Beschwerdeführer als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG außenvertretungsbefugtes Organ der B GmbH zu verantworten gehabt habe, dass diese Gesellschaft als Tierhalterin dort im Spruch näher genannte Übertretungen begangen habe.
In der Folge gab die belangte Behörde den Verfahrensgang wieder und hielt - soweit für den Beschwerdefall von Bedeutung - fest, am 10. und am hätten Amtstierärztinnen im gegenständlichen Betrieb eine Befundaufnahme durchgeführt. Bei diesen Überprüfungen sei der Beschwerdeführer anwesend gewesen und habe betont zu wissen, dass der Stall überbelegt sei. Aus dem Umstand, dass er im Zuge des Gesprächs von bereits getätigten bzw. geplanten Bestellungen gesprochen habe, sei zu schließen, dass er für die Instandhaltung des Stalles verantwortlich sei. Auch habe er anlässlich der Kontrolle am mögliche zu verwendende Scharrmatten gezeigt, die er bestellen habe wollen. Im Zusammenhang mit der Beleuchtung habe er ausgeführt, dass die Lampen ursprünglich tiefer gehängt gewesen seien, was jedoch im Hinblick auf den Futterwagen nicht möglich gewesen sei. Weiter sei versucht worden, die Lampen tiefer zu hängen und zu säubern, was jedoch nicht möglich gewesen sei bzw. keine Verbesserung gebracht habe. In seiner Rechtfertigung habe der Beschwerdeführer bestritten, die ihm zur Last gelegten Übertretungen begangen zu haben. Er habe ein Vorbringen in der Sache erstattet. In seiner Berufung habe der Beschwerdeführer bestritten, Tierhalter zu sein. In der öffentlichen mündlichen Verhandlung bei der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer darauf verwiesen, dass Halter der Tiere die Geflügelhof L GmbH sei, in der er selbst keine Funktion mehr ausübe. Vielmehr sei Herr J (Beschwerdeführer zur hg. Zl. 2011/02/0284) seit Beginn handelsrechtlicher Geschäftsführer. Der Beschwerdeführer selbst sei lediglich Geschäftsführer der B GmbH, die die Stallungen und teilweise Anlagen an die andere Gesellschaft vermietet habe. Seine Aufgabe im Betrieb sei es, die entsprechenden Änderungen der Käfige durchzuführen und auch sonstige Umbauarbeiten vorzunehmen. Zwar sei Herr J Geschäftsführer der GmbH, jedoch habe der Beschwerdeführer selbst faktisch seine Tätigkeit so wie vorher im Betrieb weitergeführt. Er könne jedoch keine Entscheidung mehr treffen, wo Hühner eingekauft oder verkauft würden. Vor Ort erteile er zwar auch Anweisungen, doch bestehe für ihn keine diesbezügliche Verpflichtung, sondern nehme er dies freiwillig auf Grund seiner Erfahrung wahr. Irgendein Entgelt hiefür erhalte er von der neu gegründeten GmbH nicht. Ansprechpartner vor Ort (etwa für Amtstierärzte) sei er aber nach wie vor geblieben. Die Zeugin S - so die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid weiter - habe angegeben, dass ihr Ansprechpartner vor Ort bzw. ihr Vorgesetzter der Beschwerdeführer sei. Wenn irgendetwas vor Ort anstehe, dann frage sie ihn bzw. melde dies im Büro bzw. dem Beschwerdeführer. Herr J sei sehr selten im Betrieb. Die Zeugin I habe angegeben, ihre Ansprechpartner im Betrieb seien ihre Kollegen und "der Chef", der Beschwerdeführer. Dieser komme in den Betrieb, wenn er angerufen werde bzw. etwas gebraucht würde. Bezüglich des Betriebes wisse sie noch, dass dieser nunmehr Herrn J gehöre, dieser allerdings selten im Betrieb sei. Die Zeugin T habe angegeben, bei Durchführung der Kontrollen sei der Beschwerdeführer ihr Ansprechpartner gewesen. Dieser habe zwar gesagt, nicht Geschäftsführer zu sein, er habe aber auch nie gesagt, dass man sich an den Geschäftsführer wenden solle. Die Zeugin D. habe angegeben, bei Durchführung der Kontrolle sei der Beschwerdeführer ihr Ansprechpartner gewesen. Diese habe auch darauf hingewiesen, dass schon entsprechende Bestellungen vorgenommen worden seien. Der Beschwerdeführer sei auch, wenn die Kontrolle angekündigt worden sei, vor Ort gewesen und sei bei Durchführung der Kontrolle mitgegangen und dabei behilflich gewesen. Des Überbelages sei er sich bewusst gewesen, hinsichtlich der Sitzstangen habe er eine andere Meinung vertreten.
Zur Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei nicht handelsrechtlicher Geschäftsführer der den Betrieb führenden GmbH. Eine Verantwortung für die Einhaltung tierschutzrechtlicher Vorschriften unter Hinweis auf § 9 VStG könne ihm daher entgegen der Annahme der erstinstanzlichen Behörde nicht auferlegt werden. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass jene Person, die faktisch über die Haltungsumstände im Betrieb entscheide und entsprechende Verfügungen treffe, der Beschwerdeführer sei. Dies ergebe sich zum einen aus den Angaben der Amtstierärztinnen, zum anderen aber auch aus jenen der Mitarbeiterinnen vor Ort. Die belangte Behörde gehe daher davon aus, dass dem Beschwerdeführer hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Tiere Haltereigenschaft zukomme.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Unbegründet ist der Einwand des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde, die belangte Behörde hätte seine von der erstinstanzlichen Behörde angenommene Verantwortung als vertretungsbefugtes Organ gemäß § 9 VStG nicht austauschen und das Verfahren gegen ihn als Person nicht führen dürfen.
Nach der ständigen Rechtsprechung normiert § 9 VStG nämlich kein zusätzliches, zum Tatbild der jeweiligen Strafnorm hinzutretendes Tatbestandselement, das mit der Änderung des Rechtsgrundes der Heranziehung zur strafrechtlichen Haftung gleichfalls eine Änderung erführe. Allein durch die Aufrechterhaltung des Schuldspruches des erstbehördlichen Straferkenntnisses durch die Berufungsbehörde mit der Maßgabe, dass dem Beschuldigten die Straftat nicht als gemäß § 9 Abs. 1 VStG Verantwortlicher, sondern für seine Person zuzurechnen sei, findet eine Auswechslung oder eine Überschreitung der Sache nicht statt (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 2006/03/0018, und vom , Zl. 2009/02/0090).
Allerdings erweist sich das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht als Halter im Sinne des § 4 Z 1 TSchG zu betrachten, aus folgenden Gründen als zutreffend:
Gemäß § 4 Z 1 TSchG ist Halter jene Person, die ständig oder vorübergehend für ein Tier verantwortlich ist oder ein Tier in ihrer Obhut hat.
Im Erkenntnis vom , Zl. 2007/05/0125, hat der Verwaltungsgerichtshof zum Begriff des Tierhalters grundlegend Folgendes ausgeführt:
"Die Erläuterungen zum TSchG (GP XXII RV 446, 6) führen zum Halterbegriff aus:
'In Anlehnung an die Legaldefinition in Art. 2 Z 2 der umzusetzenden Richtlinie 98/58/EG über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere definiert Z 1 als Halter jene (natürliche oder juristische) Person, die ständig oder vorübergehend für ein Tier verantwortlich ist oder ein Tier in ihrer Obhut hat. Die Haltereigenschaft kann auch auf mehrere Personen zutreffen. Wer zur Tierhaltung berechtigt ist, wird in § 12 Abs. 1 dieses Bundesgesetzes geregelt.'
Art. 2 Z 2 und Art. 3 der Richtlinie 98/58/EG über den Schutz
landwirtschaftlicher Nutztiere lauten:
'Artikel 2
Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen
1....
2. 'Eigentümer oder Halter': jede natürliche oder juristische Person, die ständig oder vorübergehend für die Tiere verantwortlich ist oder die Tiere versorgt;
Artikel 3
Die Mitgliedsstaaten treffen Vorkehrungen dahingehend, dass der Eigentümer oder Halter alle geeigneten Maßnahmen trifft, um das Wohlergehen seiner Tiere zu gewährleisten und um sicherzustellen, dass den Tieren keine unnötigen Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden.'
Sowohl die Definition in § 4 Z 1 TSchG als auch die entsprechende Definition in der Richtlinie geben klar zu erkennen, dass der Halter eines Tieres nicht mit dem Eigentümer des Tieres ident sein muss. Halter ist vielmehr nach dem TSchG auch jemand, der die Tiere in seiner Obhut hat (nach der Richtlinie: '.... der die Tiere versorgt')."
Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer in jenem Verfahren auf einem Ponyhof für Pferde Futter kaufte, diese fütterte, unterbrachte und betreute, zog der Verwaltungsgerichtshof den Schluss, "dass der Beschwerdeführer die Tiere 'in seiner Obhut' hatte und daher als Halter im Sinne des § 4 Z 1 TSchG anzusehen war."
Das Vorliegen einer Haltereigenschaft hat der Verwaltungsgerichtshof etwa auch dann bejaht, wenn der Betreffende die Tiere täglich gefüttert und sich um diese gekümmert hat (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2008/02/0373). Haltereigenschaft liegt auch dann vor, wenn jemand Tiere überwiegend betreut, füttert und somit in seiner Obhut hat (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2008/02/0382).
Die Haltereigenschaft erfordert demnach eine Nahebeziehung zum Tier selbst, die in einem Verhältnis der Verantwortlichkeit für das Tier oder der Versorgung des Tieres ihren Ausdruck findet. Diese spezifische Nahebeziehung kann etwa aus Füttern, Ausmisten, Ausführen oder Ähnlichem bestehen; sie muss jedenfalls zum Tier selbst gegeben sein. Allein die Verantwortlichkeit für die Ausgestaltung eines Haltungssystems bzw. von Haltungseinrichtungen reicht ohne weiteren Bezug zu einem Tier für eine Unterstellung unter den in Rede stehenden Halterbegriff nicht aus.
Im vorliegenden Fall war der Beschwerdeführer nach den Aussagen der bei der belangten Behörde vernommenen Zeugen zwar für Änderungen der Käfige, Beleuchtung und Umbauarbeiten zuständig, Feststellungen über die Betreuung der Tiere selbst durch den Beschwerdeführer hat die belangte Behörde aber nicht getroffen. Selbst wenn man die im angefochtenen Bescheid von der belangten Behörde einzelnen Zeugen zugeordnete Aussagen als entsprechende Feststellungen wertet, reichen diese für die Annahme, der Beschwerdeführer sei Halter im Sinne des § 4 Z 1 TSchG, nicht aus.
Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit hinsichtlich der Annahme von Tierquälerei im hier angefochtenen Bescheid wird auf das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2011/02/0284, verwiesen; der im vorliegenden Fall spruchmäßig gleiche Bescheid leidet aus den dort genannten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, auch hier an inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am