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VwGH vom 03.12.2021, Ra 2019/13/0076

VwGH vom 03.12.2021, Ra 2019/13/0076

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamtes Österreich, Dienststelle Wien 12/13/14 Purkersdorf in Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7101196/2010, betreffend u.a. Einkommensteuer 2006 bis 2008 (mitbeteiligte Partei: Mag. E in W, vertreten durch die G. Denk Wirtschaftstreuhand Ges.m.b.H., Steuerberatungsgesellschaft in 1070 Wien, Neubaugasse 68/1/13), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang (Einkommensteuer 2006 bis 2008) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Strittig ist im Revisionsverfahren die Behandlung von Aufwendungen der mitbeteiligten Partei für das Pflegeheim ihres Schwagers K in den Jahren 2006 bis 2008.

2Das Finanzamt erkannte in den jeweiligen Veranlagungsjahren das Vorliegen einer außergewöhnlichen Belastung im Zusammenhang mit den strittigen Pflegeheimkosten nicht an, weil es die Zwangsläufigkeit der Kostenübernahme verneinte.

3Das Bundesfinanzgericht gab den Beschwerden der mitbeteiligten Partei in diesem Punkt Folge. Es ging von folgendem Sachverhalt aus:

4Die mitbeteiligte Partei ist die Schwester der im Jahr 2003 verstorbenen Ehefrau von K. K und seine Ehefrau besaßen gemeinsam eine Eigentumswohnung. K war der Erbe des halben Mindestanteils der Ehefrau an der Wohnung, wobei die Ehefrau eine fideikommissarische Substitution zugunsten der Kinder der mitbeteiligten Partei und zweier weiterer Nichten verfügte. K hatte daher ab dem Tode seiner Ehefrau zwei halbe Mindestanteile an der Eigentumswohnung, wobei einer der Anteile mit einer im Grundbuch eingetragenen fideikommissarischen Substitution belastet war. Nach dem Tod von K wurde die Eigentumswohnung um 285.000 € verkauft. Mit Beschluss des Bezirksgerichts vom wurde die mitbeteiligte Partei als Sachwalterin für K aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes bestellt. Die mitbeteiligte Partei machte in den Jahren 2006 bis 2008 Differenzpflegeheimkosten für den Schwager als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Schwager verstarb im Jahr 2009. Er bezog in den Streitjahren eine Pension, Pflegegeld sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

5Das Bundesfinanzgericht stellte fest, dass K seine Wohnung nicht hätte verwerten können. Den geerbten halben Mindestanteil habe er aufgrund der Beschränkung durch die fideikommissarische Substitution weder belasten noch veräußern können. Den anderen Anteil habe er aufgrund von § 13 Abs. 3 WEG durch das Verbot der unterschiedlichen Belastung nicht belasten können. Die Wohnung sei in den Jahren 2005 bis 2007 vermietet worden und hätten diese Einkünfte zur teilweisen Begleichung der Pflegeheimkosten gedient.

6Die mitbeteiligte Partei habe sich ihrer Schwester verpflichtet gefühlt. Der Schwager sei von seiner Ehefrau aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes in einem Pflegeheim untergebracht worden; die Ehefrau habe auch die Kosten dafür getragen. Nach dem Tod der Schwester habe sich der Gesundheitszustand des Schwagers verschlechtert. Das Ehepaar habe keine Kinder gehabt, der Schwager habe einen Bruder, zu dem nur spärlicher Kontakt bestünde. Die mitbeteiligte Partei sei davon ausgegangen, dass nur die Übernahme der Kosten durch sie eine gute Versorgung des Schwagers gewährleisten würde. Sie habe seit Mitte 2004 als Sachwalterin für K fungiert und zwar für sämtliche finanzielle Angelegenheiten. Als solche habe sie regelmäßig Abrechnungen an das Pflegschaftsgericht gelegt, das diese bestätigt habe. Trotz ihrer Funktion als Sachwalterin habe die mitbeteiligte Partei die verbleibenden Kosten als Schwägerin und nicht im Rahmen der Sachwalterschaft übernommen. K habe zum Stichtag über ein Guthaben am Girokonto und die erwähnte Liegenschaft verfügt. Er sei bis März 2006 im Pflegeheim VH untergebracht gewesen, welches im April 2006 aufgelöst worden sei. Er sei im April 2006 in ein anderes Pflegeheim transferiert worden. K sei außer Stande gewesen, die gesamten Pflegeheimkosten zur Gänze zu begleichen; die Differenzkosten seien von der mitbeteiligten Partei getragen worden.

7In der Beweiswürdigung führte das Bundesfinanzgericht aus, es erscheine nachvollziehbar, dass die mitbeteiligte Partei die Heimkosten des Schwagers beglichen habe, weil dieser zwar über genügend Vermögen verfügt habe, die Kosten des Pflegeheimes aber nicht zur Gänze von ihm hätten übernommen werden können. Vom Pflegschaftsgericht seien die Abrechnungen nie beanstandet worden. Es sei gesetzlich nicht vorgesehen, dass ein Sachwalter sämtliche Kosten des Besachwalteten zu übernehmen habe, wenn dieser nicht über genügend Mittel verfüge. Es sei daher davon auszugehen, dass die mitbeteiligte Partei die Kosten als Privatperson bzw. Angehörige und nicht als Sachwalterin übernommen habe. Sie habe auch glaubhaft dargetan, dass sie die einzige Person (Angehörige) gewesen sei, die zur Übernahme der Kosten in Betracht gekommen sei.

8In der rechtlichen Beurteilung bejahte das Bundesfinanzgericht das Vorliegen der Außergewöhnlichkeit und der Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der mitbeteiligten Partei. Hinsichtlich der Zwangsläufigkeit komme nur eine sittliche Verpflichtung in Betracht. Der Schwager sei als Angehöriger im Sinne des § 25 BAO anzusehen. Die Kosten für die Unterbringung einer nicht über ein kostendeckendes Einkommen oder Vermögen verfügenden Person in einem Pflegeheim würden, soweit nicht gesetzlich unterhaltsverpflichtete Angehörige diese bestreiten könnten und müssten, der allgemeinen Lebenserfahrung nach von der Allgemeinheit getragen. Somit sei auch im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Übernahme derartiger Zahlungen, die in letzter Konsequenz von der Allgemeinheit übernommen worden wären, als nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen durch die Sittenordnung geboten schiene. Übernehme die Schwägerin diese Zahlungen, erfolge dies nicht nur aus rein persönlichen Motiven, sondern sei die Bestreitung dieser Aufwendungen durch die Sittenordnung geboten, zumal keine weiteren Personen zur Leistung dieser Zahlungen in Betracht gekommen seien. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass K in einem privaten Pflegeheim untergebracht worden sei, weil mit Ausnahme der Verlegung in ein anderes Pflegeheim des Heimträgers eine weitere Verlegung auf Grund seines derart schlechten Gesundheitszustandes in ein „öffentliches“ Heim nicht in Frage gekommen wäre und die Allgemeinheit letzten Endes unabhängig vom Pflegeheim hätte einspringen müssen. Dem vom Finanzamt vorgebrachten Einwand, dass ein öffentliches Heim billiger gewesen sein könnte und der mitbeteiligten Partei unter Umständen gar keine Kosten entstanden wären, könne daher nicht gefolgt werden.

9Es könne auch dem Einwand des Finanzamtes nicht gefolgt werden, man hätte die Wohnung des Schwagers verkaufen können, zumal diese Wohnung ohnehin vermietet gewesen sei und der Mietertrag für die Bestreitung der Pflegeheimkosten verwendet worden sei. Der Schwager sei als Vorerbe in seinem Eigentumsrecht beschränkt gewesen. Der Verkauf des Hälfteanteils sei rechtlich und praktisch ausgeschlossen gewesen, weil die Wohnung vermietet gewesen sei. Dem Argument des Finanzamtes, die mitbeteiligte Partei habe die Pflegekosten nur übernommen, um das Erbe ihrer Kinder abzusichern, könne daher nicht gefolgt werden, weil diese ohnehin abgesichert gewesen seien.

10Gegen dieses Erkenntnis - soweit die Pflegeheimkosten als außergewöhnliche Belastung anerkannt wurden (Einkommensteuer 2006-2008) - richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, die mitbeteiligte Partei sei 2006 bis 2008 als Sachwalterin von K bestellt gewesen. Sie habe daher die Differenzpflegekosten als Sachwalterin getragen. Es bestehe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dahingehend, wie Zahlungen, die ein Sachwalter, der ein naher Angehöriger im Sinne des § 25 BAO, aber kein gesetzlicher Erbe der besachwalterten Person und nicht unterhaltspflichtig sei, zu behandeln seien. Die mitbeteiligte Partei sei nicht verpflichtet gewesen, die Kosten des Pflegeheims ihres Schwagers zu decken. Die Revision bringt weiters vor, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Personen, die eine Betreuung in einem Pflegeheim in Anspruch nehmen müssen, verpflichtet seien, diese Kosten aus eigenem Einkommen und Vermögen zu decken. Sollte das laufende Einkommen nicht ausreichen, hätten sie zur Deckung der Pflegeheimkosten auch ihren Vermögensstamm heranzuziehen. Das Bundesfinanzgericht habe eine mögliche pfandrechtliche Belastung des unbelasteten Liegenschaftsanteiles nicht geprüft. Eine Zwangsläufigkeit sei auch deshalb zu verneinen, weil die mitbeteiligte Partei die Kosten für das Pflegeheim im Verlassenschaftsverfahren nicht angemeldet habe. Auch eine wirtschaftliche Beeinträchtigung hätte diesfalls nicht vorgelegen. Zudem bringt die Revision vor, der Schwager habe einen leiblichen Bruder gehabt, der vorrangig verpflichtet gewesen wäre, die Kosten zu tragen.

11Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, auf die das Finanzamt repliziert hat, erwogen:

12Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen zur Anmeldung der Kosten im Verlassenschaftsverfahren zulässig und auch begründet.

13Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss insbesondere außergewöhnlich sein (Z 1) und zwangsläufig erwachsen (Z 2). Die Belastung ist nach § 34 Abs. 2 EStG 1988 außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleicher Vermögensverhältnisse erwächst. Die Belastung erwächst nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

14Im Revisionsfall ist das Bundesfinanzgericht davon ausgegangen, dass die mitbeteiligte Partei sittlich verpflichtet war, die Differenzpflegeheimkosten ihres Schwagers zu übernehmen.

15Eine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes voraus, dass sich der Steuerpflichtige nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen zu der Leistung verpflichtet halten kann. Nicht das persönliche Pflichtgefühl des Steuerpflichtigen, sondern der objektive Pflichtbegriff nach den herrschenden moralischen Anschauungen ist entscheidend. Es reicht daher nicht aus, dass die Leistung menschlich verständlich ist, es muss vielmehr die Sittenordnung das Handeln gebieten (vgl. ; , 92/15/0214, jeweils mwN).

16Das Bundesfinanzgericht führt zur Begründung der sittlichen Verpflichtung aus, dass die Übernahme von Zahlungen, die in letzter Konsequenz von der Allgemeinheit übernommen worden wären, als nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen durch die Sittenordnung geboten scheine. Eine sittliche Verpflichtung besteht in der Regel allerdings nur gegenüber Personen (vor allem solchen, zu denen man eine Nahebeziehung hat) und nicht abstrakt gegenüber der Allgemeinheit. Die Übernahme von Kosten, die ohnedies die öffentliche Hand getragen hätte, gebietet die Sittenordnung grundsätzlich nicht, vor allem wenn dies ohne Beeinträchtigung des Hilfsbedürftigen erfolgt. Ob im Revisionsfall dennoch eine sittliche Verpflichtung vorgelegen hat, weil die Kostentragung durch die öffentliche Hand etwa mit einer weiteren - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts nicht zumutbaren - Verlegung des Schwagers in ein anderes Pflegeheim verbunden gewesen wäre, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil die Zwangsläufigkeit aus anderen Gründen zu verneinen ist.

17Aufwendungen können nur insoweit als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, als sie vom Steuerpflichtigen endgültig aus eigenem getragen werden müssen. Beträge, die der Steuerpflichtige zunächst verausgabt, die ihm aber später ersetzt werden, gelten nicht als Aufwendungen im Sinn des § 34 EStG 1988 (vgl. ). Verzichtet der Steuerpflichtige auf einen ihm zustehenden Aufwandersatz liegt keine Zwangsläufigkeit vor, weil in diesem Fall die endgültige Tragung der Aufwendungen auf einen freien Entschluss des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist (vgl. ).

18Der Schwager der mitbeteiligten Partei verfügte über einen Mindestanteil an einer Eigentumswohnung, die nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts im Jahr 2010 um 285.000 € verkauft wurde. Die Sittenordnung gebietet es nicht, dass die Schwägerin eines Pflegebedürftigen Aufwendungen in Höhe von ca. 30.000 € endgültig tragen muss, wenn dieser über Vermögen verfügt, dessen Wert weit über diesen Kosten liegt und in weiterer Folge an andere Personen vererbt wird. Die Aufwandstragung hätte daher auch nur vorläufig (zB als Darlehen, gegebenenfalls nach Bewilligung des Pflegschaftsgerichts) erfolgen müssen, um die Ansprüche dann gegen die Verlassenschaft geltend zu machen. Weiters hätte die mitbeteiligte Partei prüfen können, ob andere zivilrechtliche Titel in Frage gekommen wären, um die Aufwendungen gegen die Verlassenschaft geltend zu machen. Stellt sich die endgültige Tragung des Aufwandes nicht als Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung dar, so fehlt der geltend gemachten außergewöhnlichen Belastung das Tatbestandsmerkmal der Zwangsläufigkeit (vgl. ).

19Das angefochtene Erkenntnis ist daher mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet und war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG im angefochtenen Umfang aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019130076.L00

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