VwGH vom 22.02.2013, 2011/02/0227

VwGH vom 22.02.2013, 2011/02/0227

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Beck, Dr. Köller und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde der B. in G., vertreten durch Mag. Jörg C. Müller, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 20, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Zwettl, vom , Zl. Senat-MI-10-3006, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Beschwerdeführerin für schuldig erkannt, sie habe in ihrer Eigenschaft als handelsrechtliche Geschäftsführerin und damit zur Vertretung nach außen berufenes Organ der H.-GmbH in H., somit als Arbeitgeberin, wie am von einem Organ des Arbeitsinspektorates für den

5. Aufsichtsbezirk bei der Arbeitsstätte in S. festgestellt worden sei, den zwei beschäftigten Arbeitnehmerinnen keinen entsprechenden Tisch zum Einnehmen der Mahlzeiten und eine Möglichkeit zum Kühlen von mitgebrachten Speisen und Getränken zur Verfügung gestellt, obwohl gemäß den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) den Arbeitnehmern in den Aufenthaltsräumen, wenn solche nicht bestehen, an sonstigen geeigneten Plätzen, Sitzgelegenheiten mit Rückenlehnen und Tische zur Einnahme der Mahlzeiten sowie Einrichtungen zum Kühlen und Wärmen von mitgebrachten Speisen und Getränken zur Verfügung zu stellen seien.

Sie habe dadurch eine Übertretung des § 28 Abs. 2 i.V.m.

§ 130 Abs. 1 Z. 15 ASchG begangen, weshalb über sie eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird u.a. ausgeführt, entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin habe es der Gesetzgeber nach § 28 Abs. 1 ASchG unterlassen, die gleiche Diktion wie im § 11 Arbeitszeitgesetz (AZG) anzuführen. So werde im ASchG von "Arbeitspausen" gesprochen und nicht von "Ruhepausen". Im AZG werde auch niemals von "Arbeitspausen", sondern von "Ruhepausen" von je einer Viertelstunde oder 10 Minuten gesprochen. Weiters sei die Rede von Kurzpausen, nicht jedoch von Arbeitspausen im Sinne des ASchG. Diese Arbeitspausen würden im ASchG nicht gesondert geregelt. Hätte der Gesetzgeber die Einrichtung von Aufenthaltsräumen (§ 28 Abs. 1 ASchG) unter anderem von der geleisteten Arbeitszeit abhängig machen wollen, so hätte er den im AZG gebräuchlichen Ausdruck "Ruhepause" aufgenommen, um erst nach sechs Stunden eine derartige Pause zuzulassen.

Im Hinblick auf die im ASchG zum Ausdruck kommende Fürsorgepflicht des Arbeitgebers müsse es jedoch als zulässig und schlüssig angesehen werden, dass die Einnahme von Getränken und Speisen gleichsam zwischendurch und dem Bedürfnis des jeweiligen Arbeitnehmers entsprechend möglich sei. Damit die Konsumation nicht in den Verkaufs- und Produktionsräumen stattfinden müsse, habe der Gesetzgeber bestimmt, dass entsprechende Einrichtungen und Ausstattungsgegenstände seitens des Arbeitgebers zur Verfügung zu stellen seien.

Ob die in der Filiale jeweils allein anwesende Arbeitnehmerin überhaupt in der Lage sei, diese Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, sei dahingestellt. Unbestritten sei, dass die einschreitende Arbeitsinspektorin zum angeführten Tatzeitpunkt keinen entsprechenden Tisch zum Einnehmen von Mahlzeiten vorgefunden habe. Es sei lediglich der Arbeitsbereich vorhanden gewesen, wo Blumen geschnitten und gebunden worden seien. Dies entspreche nicht den hygienischen Standards und es könnten zudem die mit Spritzmittel behandelten Blumen auch eine gesundheitliche Beeinträchtigung darstellen.

Der Umstand, dass die mitgebrachten Lebensmittel im Kühlhaus für die Blumen in einem Behälter zum Kühlen aufbewahrt werden müssten, stelle keine den Anforderungen einer arbeitnehmergerechten Bereitstellung einer Einrichtung zum Kühlen der mitgebrachten Speisen und Getränke dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

In der Beschwerde wird u.a. ausgeführt, dass nach den Recherchen der Beschwerdeführerin noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage existiere, ob Sozialeinrichtungen gemäß § 28 ASchG auch dann verpflichtend vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen seien, wenn Ruhepausen und/oder Kurzpausen im Sinne des § 11 AZG weder gewährt werden müssten, noch vereinbart worden seien.

Die im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsansicht, dass der Begriff der "Arbeitspause" in § 28 Abs. 1 ASchG nicht an die Pausenregelung des § 11 AZG anknüpfe und dass vielmehr ein aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers abzuleitendes Recht des Arbeitnehmers zur Einnahme von Speisen während der Arbeitszeit und "quasi nebenbei" existiere, sei nach Auffassung der Beschwerdeführerin verfehlt.

Es wäre vollkommen systemwidrig und würde § 28 ASchG in offenen Widerspruch zu § 11 AZG setzen, wenn dem Gesetzgeber unterstellt würde, dass er den Arbeitgeber über das von § 11 AZG vorgegebene Mindestausmaß hinaus und quasi unbegrenzt zur Duldung von zeitlich nicht geregelten Arbeitsunterbrechungen zwecks Nahrungszubereitung und -einnahme verhalten wollte, die dann sogar in die Arbeitszeit einzurechnen wären. Denn damit bleibe die Anordnung von Mindestruhepausen in § 11 AZG sinnlos. Es bestehe keinerlei Grundlage für die Annahme, dass der Arbeitgeber über § 11 AZG hinaus ganz allgemein und außerhalb von Ruhepausen zur Duldung der Essensaufnahme am Arbeitsplatz und während der Arbeitszeit verhalten sei.

Dieses Vorbringen ist nicht zielführend.

Nach § 28 Abs. 1 ASchG sind den Arbeitnehmern für den Aufenthalt während der Arbeitspausen geeignete Aufenthaltsräume zur Verfügung zu stellen, wenn

1. Sicherheits- oder Gesundheitsgründe dies erfordern,

insbesondere wegen der Art der ausgeübten Tätigkeit, der Verwendung gefährlicher Arbeitsstoffe, der Lärmeinwirkung, Erschütterungen oder sonstigen gesundheitsgefährdenden Einwirkungen sowie bei längerdauernden Arbeiten im Freien, oder

2. ein Arbeitgeber in einer Arbeitsstätte regelmäßig

mehr als zwölf Arbeitnehmer beschäftigt.

Gemäß § 28 Abs. 2 ASchG sind den Arbeitnehmern in den Aufenthaltsräumen, wenn solche nicht bestehen, an sonstigen geeigneten Plätzen, Sitzgelegenheiten mit Rückenlehne und Tische in ausreichender Anzahl zur Einnahme der Mahlzeiten sowie Einrichtungen zum Wärmen und zum Kühlen von mitgebrachten Speisen und Getränken zur Verfügung zu stellen.

Unbestritten ist, dass zum Tatzeitpunkt an der gegenständlichen Arbeitsstätte kein entsprechender Tisch zum Einnehmen von Mahlzeiten und auch keine geeignete Möglichkeit zum Kühlen von mitgebrachten Speisen und Getränken zur Verfügung stand.

Es besteht nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 2 ASchG die Verpflichtung, den Arbeitnehmern in den Aufenthaltsräumen, wenn solche nicht bestehen, an sonstigen geeigneten Plätzen, Sitzgelegenheiten mit Rückenlehne und Tische in ausreichender Anzahl zur Einnahme der Mahlzeiten sowie Einrichtungen zum Wärmen und zum Kühlen von mitgebrachten Speisen und Getränken zur Verfügung zu stellen, unabhängig davon, ob diesen Arbeitnehmern auch eine Ruhepause im Sinne des AZG zusteht oder nicht.

§ 28 Abs. 2 ASchG enthält auch keine Ausnahme für die Bereitstellung von Aufenthaltsräumen bzw. sonstigen geeigneten Plätzen, für den Fall, dass ein Arbeitgeber an einer Arbeitsstätte nur Arbeitnehmer beschäftigt, denen nach § 11 Abs. 1 AZG keine Ruhepausen zustehen.

Die Beschwerdeführerin vermag daher keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzulegen.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden. Der Anforderung des Art. 6 EMRK wurde im gegenständlichen Fall durch die Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde, einem Tribunal im Sinne der EMRK, Genüge getan (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/02/0220, m.w.N.).

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am